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Todestag von Boris Nemzow
"Die politischen Morde werden weitergehen"

Heute vor einem Jahr wurde der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau erschossen, 200 Meter von der Kremlmauer entfernt. Nemzow hatte Korruption in den höchsten Regierungskreisen und Russlands Aggression gegen die Ukraine kritisiert. Seine Anhänger haben heute zu Gedenkmärschen aufgerufen. Sie wollen sich nicht einschüchtern lassen.

Von Gesine Dornblüth | 27.02.2016
    Boris Nemzow starb an diesem Punkt auf der Kreml-Brücke
    Boris Nemzow starb an diesem Punkt auf der Kreml-Brücke - Menschen haben Blumen niedergelegt (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    In vielen russischen Städten sind heute Gedenkmärsche für den ermordeten Oppositionspolitiker Boris Nemzow angekündigt, in Moskau soll er am Mittag beginnen. Im Vorfeld haben prominente Kremlkritiker in Videobotschaften zur Teilnahme aufgerufen. Dmitrij Gudkow, einer der letzten unabhängigen Duma-Abgeordneten:
    "Boris Nemzow hat für ein freies Russland gekämpft, für unsere Verfassungsrechte. Wer Anstand hat, muss an diesem Marsch teilnehmen."
    Dem Publizisten Alexander Ryklin geht es nicht nur ums Gedenken, sondern auch um Protest: "Ich will meine Haltung zu dem ausdrücken, was im Land passiert. Es hat aufgehört, ein normales Land zu sein. Ich denke, wir werden viele. Irgendwann erreichen wir, wofür Boris Nemzow gekämpft hat."
    Hintermänner auf freiem Fuß
    Boris Nemzow, in den 90er Jahren stellvertretender Premierminister, Putin-Kritiker, zuletzt Abgeordneter in einem Regionalparlament, starb kurz vor Mitternacht vor einem Jahr, auf dem Heimweg aus einem Café, zweihundert Meter vom Kreml entfernt. Der Mörder schoss ihm in den Rücken und verschwand mit dem Auto. Präsident Wladimir Putin ordnete noch nachts den Einsatz einer Sonderermittlungsgruppe an. Bereits wenige Tage später wurden fünf Tatverdächtige festgenommen. Sie stammen aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien und haben zum Teil gestanden. Die Hintermänner aber sind weiter auf freiem Fuß.
    Die Zeitung "Nowaja Gaseta" hat recherchiert, dass der Chef des russischen Geheimdienstes Präsident Wladimir Putin bereits drei Tage nach dem Mord über den mutmaßlichen Tathergang informierte. Demnach soll ein stellvertretender Bataillonskommandeur aus Tschetschenien den Mord an Nemzow organisiert haben. Gegen den Mann wurde nie Anklage erhoben. Er ist der Cousin eines Duma-Abgeordneten der Kreml-Partei Einiges Russland. Der Abgeordnete wiederum ist einer der engsten Vertrauten von Republikchef Ramsan Kadyrow.
    Hinweise auf Kadyrows Umfeld
    Im Umfeld des ermordeten Nemzow glaubt man, dass Kadyrow die mutmaßlichen Täter deckt, wahrscheinlich sogar selbst am Mord beteiligt war. Ilja Jaschin von der Partei Parnas, deren Co-Vorsitzender Nemzow war:
    "Die Leute, die Nemzow umgebracht haben, sind mit dem Umfeld Kadyrows verbunden. Ich habe große Zweifel, dass sie handeln konnten, ohne das mit Ramsan Kadyrow abzustimmen. Aber ob Kadyrow das letzte Glied der Kette ist, weiß ich nicht."
    Jaschin wirft den Ermittlern Versagen vor: "Wenn wieder mal die Auftraggeber eines aufsehenerregenden politisches Mordes frei bleiben, dann heißt das, die politischen Morde werden weitergehen."
    In den letzten Wochen haben sich die Drohungen gegen russische Oppositionelle gehäuft. Im Internet tauchte ein Video auf, das den Co-Vorsitzenden der Parnas-Partei, Michail Kasjanow, in einem Fadenkreuz zeigt. Es wurde im Namen Ramsan Kadyrows veröffentlicht.
    "Boris Nemzow nicht vergessen"
    Es sei wichtig, sich trotzdem nicht einschüchtern zu lassen, sagt Wladimir Kara-Mursa. Er leitet die Open Russia Stiftung in Russland, ein von dem Ex-Oligarchen und Putin-Kritiker Michail Chodorkowskij finanziertes Netzwerk. Kara-Mursa wurde im vergangenen Mai, drei Monate nach Nemzows Tod, vergiftet und überlebte nur knapp. Die Umstände sind bisher ungeklärt.
    "Die Mörder setzen darauf, dass wir Angst bekommen, verstummen, vielleicht sogar Russland verlassen. Wir dürfen ihnen den Gefallen nicht tun. Ich hoffe, wir werden heute viele. Denn wir müssen zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, und dass wir Boris Nemzow nicht vergessen."