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Top-Akademiker in Europa
Der Grad an Freiheit zählt

Im Ausland oder in der freien Wirtschaft können Spitzenforscher mehr verdienen als an der Universität. Wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeiten, Freiräume in der Gestaltung und individuelle Bezüge seien jedoch ausschlaggebende Faktoren, um sie dennoch anzuwerben - und zu halten, ermittelt eine Studie.

Von Eleonora Pauli | 21.07.2017
    793 Studenten sitzen bei der Erstsemesterbegrüßung am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau in Koblenz-Rheinland-Pfalz im großen Hörsaal.
    Forscherinnen und Forscher als Wissenschaftsmanager - das ist Alltag in der deutschen akademischen Spitze. (dpa / picture alliance / Thomas Frey)
    Es ist Nachmittag. An der Fachhochschule für Wirtschaft und Recht Berlin verabschiedet Birgit Felden ihre Studierenden. Seit elf Jahren leitet die Professorin den Studiengang "Unternehmensgründung und Unternehmensnachfolge", außerdem ist sie Direktorin eines interdisziplinären Forschungsinstituts und Wissensschaftbotschafterin für Berlin.
    Besonders gefällt Birgit Felden an ihrer Arbeit: "… dass es total bunt ist und jeder Tag anders aussieht. Ich habe Tage, an denen ich bei Familienunternehmen bin, dann habe ich Tage, da habe ich Lehre, wie heute. Tage, an denen ich meine Forschungsprojekte weiterentwickele, und manchmal ist auch alles an einem Tag - sehr bunt, sehr vielfältig, und das ist genau das was es reizvoll macht."

    Forschung, Lehre, Koordination von Mitarbeitern, Einwerben von Drittmitteln - knapp 5.000 Euro brutto bekommt die Berliner Fachhochschulprofessorin dafür im Monat - 1.500 Euro weniger als ihre Kolleginnen an den Universitäten, wobei sich die Bezüge je nach Bundesland unterscheiden. Mit den Verdiensten und der Arbeit von Wissenschaftlern an der akademischen Spitze hat sich Marek Kwiek näher beschäftigt.
    Viele Publikationen - viel Geld, aber nicht in Europa
    Kwiek ist Professor an der Universität Posen und Inhaber des UNESCO Chair "Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung". Anhand von Daten aus zehn europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, untersuchte Kwiek, wer unter den vollzeitbeschäftigten über 40-jährigen MitarbeiterInnen an den Hochschulen besonders viel verdient.
    "Ich wollte herausfinden, ob in Europa Forscherinnen, die besonders viel veröffentlichen auch besonders viel verdienen oder nicht. Dafür habe ich die beiden Gruppen kombiniert und das Ergebnis war: Definitiv ja - wer mehr veröffentlicht, verdient im Großen und Ganzen mehr."
    Überrascht war Kwiek aber über die Faktoren, die dahinterstecken. "Aufgrund von Studien aus dem angelsächsischen Raum nahmen wir bisher an: Je mehr Zeit man mit Forschung und je weniger man mit Lehre verbringt, desto höher das Gehalt." Mehr Forschung, mehr Publikationen, mehr Gehalt - diese Gleichung gehe in Europa so nicht auf.
    "Interessant ist, dass die Top-Verdiener in der europäischen Wissenschaft nicht mehr Stunden in Forschung investieren als ihre Kollegen, sondern in Administration: Also in Beratung, dem Einwerben und Verwalten von Drittmitteln, mit dem Verfassen von Berichten und so weiter." Die Ursachen werden in der empirischen Studie zwar nicht genannt. Marek Kwiek hat aber eine Vermutung. "Ich vermute, sie betreuen viele Doktoranden, sie treten als Mitverfasser in vielen Publikationen auf, sie sind für jede Art von Kooperation offen - so werben sie Mittel ein und haben mehr Publikationen."
    Veröffentlichungs- und Drittmittelhype
    Forscherinnen und Forscher als Wissenschaftsmanager. Abschreckend für forschungszentrierte Top-Wissenschaftler? Einen regelrechten Veröffentlichungs- und Drittmittelhype beobachtet auch Jan-Hendrik Olbertz. Sechs Jahre lang war der 62-Jährige Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, vorher war er Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt.
    Nun sitzt Olbertz als "ordentlicher" Professor in seinem neuen, etwas kahlen Büro am Institut für Erziehungswissenschaften und erinnert sich daran, wie er Forscherinnen und Forschern bei Einstellungsgesprächen motivieren konnte - und wie nicht:
    "Freiräume und Ausstattung. Freiräume sind immer da umstritten, wo unser hoch formalisiertes Lehrdeputat auch als Hindernis für Forschung angesehen wird. Hier Freiräume zu bieten ist für einen Universitäts-Präsidenten, der eine Verhandlung führt mit einem Professor, manchmal richtig schwer."
    Andere Stellschrauben - von den wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten über die Freiräume in der Gestaltung bis hin zur Ausstattung von Laboren - seien aber mindestens genauso wichtig, um Spitzenforscher anzuwerben oder zu halten. Mittlerweile hätten deutsche Universitäten außerdem Möglichkeit, individuelle Bezüge flexibler zu gestalten als früher.
    "Mit der W-Besoldung gibt es fixe Grundgehälter für alle. Dann aber ist der Betrag oberhalb dieses fixen Grundgehaltes verhandelbar und kann durchaus höher sein als der Grundbetrag. Das sind Kolleginnen und Kollegen, wo ich immer gesagt habe, der Ertrag für die Uni und auch die Wirkung auf die Reputation ist richtig hoch."
    Bildungsforscher Marek Kwiek hält das für einen guten Ansatz. "Ich finde das fantastisch, denn es bringt uns näher zur Top-Konkurrenz, den USA. Und auf diesem Weg werden mehr Top-Akademiker in Europa bleiben."
    Im Ausland oder in der freien Wirtschaft viel mehr verdienen könnte auch Professor Brigit Felden von der HWR Berlin. Aber für sie - und viele ihrer Kollegen - sind andere Faktoren wichtiger einfach wichtiger.
    "Geld ist glaube ich für die wenigsten Professoren wirklich der ausschlaggebende Faktor, sondern es sind die Freiheitsgrade, das Gestalten, sich mit dem Thema zu beschäftigen, was einen interessiert. Prof sein ist nicht einfach nur ein Job."