Donnerstag, 18. April 2024

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Bessere Hochschullehre
"Wir haben teilweise ein Lehrprekariat"

Der Wissenschaftsrat hat eine Strategie für bessere Lehre entwickelt - und stößt damit aufseiten der Hochschulen nicht auf Begeisterung. Dem Konzept liege ein sehr technokratisches Verständnis von Lehre zugrunde, sagte der Marcel Schütz von der Universität Oldenburg im DLF. Die sehr schlechte Ausfinanzierung der Lehre werde vom Wissenschaftsrat nicht thematisiert.

Marcel Schütz im Gespräch mit Manfred Götzke | 11.05.2017
    Studenten an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen verfolgen eine Vorlesung im Fach Maschinenbau.
    Die Frage sei, was zwischen den vielen Managementbegriffen operativ unter Lehre verstanden wird, sagte der Doktorand Marcel Schütz von der Universität Oldenburg im DLF. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Manfred Götzke: "Lehre muss sich wieder lohnen" – dieser von der FDP inspirierte Leitsatz kommt vom Wissenschaftsrat. Das wichtigste Beratungsgremium in Sachen Forschung hat jetzt nämlich auch die Lehre für sich entdeckt. Der Rat will, dass schlechte Seminare und unmotivierte Dozenten bald der Vergangenheit angehören und hat eine Strategie für bessere Lehre entwickelt. Ich nenne mal zwei Kernpunkte: gute Leistungen in der Lehre sollen sich finanziell für die Hochschulen auszahlen; außerdem soll eine neue Organisation gegründet werden, die Fördermittel verteilt und dafür sorgt, dass sich gute Lernkonzepte weiterverbreiten an anderen Hochschulen.
    Bei den Lehrenden selber kommen diese Vorschläge allerdings nur so mittelgut an. Die Hochschulrektorenkonferenz, die hat der Idee schon eine Absage erteilt, und auch eine Gruppe von Dozenten und Professoren, die ist eher dagegen. Einer von ihnen ist Marcel Schütz, Doktorand der Organisationswissenschaften an der Universität Oldenburg. Ich grüße Sie!
    Marcel Schütz: Hallo!
    Götzke: Herr Schütz, was spricht denn dagegen, die Lehre zu verbessern?
    Schütz: Ja, zunächst einmal spricht da wenig gegen. Wir wollen ja alle die Lehre konsequent weiterentwickeln. Nur, die Frage ist, in welchem Rahmen man die Lehrentwicklung betrachtet. Unser eigener Blick auf das Thema Lehrverfassung, wie es jetzt angedacht ist durch den Wissenschaftsrat, oder eine mögliche Lehrqualitätseinrichtung ist natürlich, bedingt durch unsere eigenen Hintergründe, auf zwei wesentliche kritische Aspekte gelenkt: Zum einen die Facette der Organisation von Lehre, zum anderen die Facette der Hochschuldidaktik. Es geht unserseits wesentlich um die Frage, inwieweit eigentlich Strukturreformen, wie sie dem Wissenschaftsrat gegenwärtig vorschweben, eigentlich dem Rahmen der Hochschullehre gerecht werden können, und da gibt es doch einige Zweifel, vor allem aber die Beobachtung, dass dem Wissenschaftsrat so eine Art Rezeptologie, könnte man vielleicht sagen, der akademischen Lehre vorschwebt, die sich mit der Gliederung einer klassischen deutschen, durchschnittlichen Universität schwer verbinden lässt, die zunächst einmal …
    "Es geht vor allen Dingen um den Strategiebegriff"
    Götzke: Das heißt, der Wissenschaftsrat hat keine Ahnung von dem, wie es aussieht an den Hochschulen.
    Schütz: Na, das wäre wahrscheinlich zu pointiert ausgedrückt. Es geht vor allen Dingen um den Strategiebegriff. Dem Papier liegt eigentlich ein sehr technologisches, man könnte vielleicht auch sagen, technokratisches Verständnis von Lehre zugrunde, und da ist schon die Frage zwischen der teilweise sehr schillernden Partizipationsrhetorik und den vielen Managementkonzepten und Managementbegriffen, die in diesem Papier hervortreten, was eigentlich operativ unter Lehre verstanden wird, und inwiefern möglicherweise konterkariert wird, die vielen Bemühungen konterkariert werden, die von Lehrenden tagtäglich erfolgen, die sich aber nicht durch große Reformvorschläge abbilden, sondern durch Innovation, durch Kreativität und vor allen Dingen auch durch das Recht und die Möglichkeit, von der Regel abzuweichen.
    "Wir haben teilweise ein Lehrproletariat, man könnte vielleicht auch sagen Lehrprekariat"
    Götzke: Aber konkret geht es doch darum, mehr Geld zu geben für die Hochschulen. Das ist doch erst mal eine gute Sache. Warum sind Sie dagegen?
    Schütz: Ja, das ist eine gute Sache einerseits. Auf der anderen Seite kennen wir natürlich aus der Exzellenzorientierung der Hochschulforschung der letzten Jahre die Entwicklung, dass wir damit neue Abhängigkeiten eingehen. Das ist ja in gewisser Weise immer ein Deal, der von politischer Seite und von Hochschulleitungsseite ausgehandelt wird oder organisiert wird. Es gibt Mittelzusagen, dafür gibt es gewisse Pflichten, die eingehalten werden müssen, und mit einer neuen Qualitätslehraufsichtsorganisation, könnte man vielleicht sagen, wird ja operativ in den Niederungen der Lehre wenig wirklich verändert.
    Wir haben nach wie vor die große Problematik der sehr schlechten Ausfinanzierung der Lehre, wir haben teilweise ein Lehrproletariat, man könnte vielleicht auch sagen Lehrprekariat. Mit keinem einzigen Wort wird dieser Aspekt in dem Wissenschaftspapier des Wissenschaftsrates angesprochen. Das ist schon sehr verwunderlich.
    "Sehr weit weg von einem sehr praktischen Lehrverständnis"
    Götzke: Also wenn ich Sie da richtig verstehe, haben Sie das Problem damit, das ist hier so ein Wettbewerb, und da sollen irgendwelche Institutionen geschaffen werden, statt in die Grundausstattung, die Grundfinanzierung der Hochschulen mehr Geld zu geben, das dann auch konkret den Dozenten, also Leuten wie Ihnen, zugutekommen würde.
    Schütz: Ja, wir denken, dass die Hochschulentwicklung, wenn man so sagen kann, gewissermaßen daran leidet, dass man von großen Strukturreformen ausgeht, die man quasi einmal über das ganze Land aufzieht, ein Papier aufsetzt und Stück für Stück kaskadiert, was zu tun ist. Das ist aber sehr weit weg von einem sehr praktischen Lehrverständnis und lässt nach wie vor die Frage offen, wie diese konkrete Unterstützung aussehen soll. Im Prinzip hat man über die Jahre die Lehrfokussierung sehr aus dem gegenwärtigen forschungsfinanzierten Wissenschaftssystem in Stabsstellen ausgelagert, der Hochschulleitung, und jetzt gibt es die kuriose Entwicklung, dass man alles das wieder rückführen möchte mit dem, ja gewissermaßen, Verdacht und auch der unterschwelligen Kritik, dass Lehrende offenbar nicht hochwertig genug ihre Lehre verrichten würden, und ich denke, das geht meilenweit an der Realität unterschiedlicher Fächer vorbei.
    "Wir haben Lehrbeauftragte, die fast kostenfrei ihre Lehrtätigkeit verrichten"
    Götzke: Okay, wenn ich Sie da richtig verstehe, landet das Geld in irgendwelchen Stabsstellen und nicht bei den Dozenten.
    Schütz: Ja, ich würde mal die Frage stellen und die Wette auch eingehen, wie sehr wir dadurch tatsächlich eine zweite Ausfinanzierung zustande bekommen. Noch mal: Wir haben einen erheblichen Personalkörper, wenn man es auch so nennen kann, es ist kein eigentliches Personal der Universität, an zusätzlich gewissermaßen mit Lehre Beschäftigten. Wir haben Lehrbeauftragte, wir haben Habilitanden, die also auf ihre Berufung warten und gewissermaßen von Uni zu Uni ziehen und fast kostenfrei, man könnte auch etwas schöner sagen kosteneffizient ihre Lehrtätigkeit verrichten. Diese eigentlichen operativen Punkte einerseits, und auf der anderen Seite eine stärkere Betonung von Kreativität und innovativen Konzepten, die man nicht über einen Leisten quasi scheren kann, das ist eigentlich der zentrale Punkt.
    Götzke: Das sagt der Dozent Marcel Schütz von der Universität Oldenburg. Mit ihm habe ich über die Vorschläge des Wissenschaftsrates gesprochen. Der will eine neue Organisation für gute Lehre gründen. Die Dozenten halten davon eher weniger. Dankeschön!
    Schütz: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.