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Transparenz in der Sackgasse

Im Prinzip hat jeder EU-Bürger die Möglichkeit, die Entscheidungsprozesse der EU-Bürokraten zu kontrollieren - auch mit Hilfe von Akteneinsicht. Allerdings nur im Prinzip, denn häufig wird der Zugang zu EU-Dokumenten verwehrt. Kritiker sehen darin einen Mangel an Transparenz.

Von Patrick Wellinski | 19.09.2013
    "I can see the commission is fascinated. Chair! Maybe you can ask or point out to the commissioner that we are having a debate here?”
    - "Herr Kommissar? Excuse me? Herr Kommissar? Please, the speaker is trying to adress you …”"

    Kurz vor Mitternacht im europäischen Parlament. Dem Kommissionsgesandten fallen hin und wieder die Augen zu. Wahrscheinlich liegt das weniger an der fortgeschrittenen Stunde, sondern viel mehr am debattierten Thema: Denn auf der Tagesordnung steht die Ausweitung der Transparenz in der EU. Die Verhandlungen zwischen Europa-Parlament und Kommission befinden sich seit Jahren in der Sackgasse. Kaum einer vermag sich an diesem Abend noch wirklich aufzuregen. Bis auf die streitlustige niederländische Abgeordnete Sophie in’t Veld. Sie pocht auf das Recht der Informationsfreiheit, verlangt Zugang zu allen Dokumenten für alle Bürger, beschuldigt die europäische Kommission der Intransparenz und kündigt an–sie – wenn es sein muss – mit Klagen zu überhäufen.

    ""There is no culture of transparency in the European commission. And I can testify to that because I actually took the commission to court in a case where they refuse access to documents. I took the council to court. And I am very ready to take the commission to court again and I am pretty sure that that will happen."”

    Nicht nur Abgeordnete, auch immer mehr EU-Bürger verlangen von den Institutionen der Europäischen Union Akteneinsicht. Laut dem aktuellen Bericht des EU-Bürgerbeauftragten, ist fast jede vierte Beschwerde eine Klage gegen die mangelnde Transparenz. Dabei garantiert der EU-Vertrag das Recht auf freien Zugang zu Dokumenten. Und in der Tat hat sich bereits vieles gebessert, weiß Ronny Patz, Mitarbeiter von Transparency International in Brüssel.

    ""Im Prinzip ist der Zugang frei und in den letzten Jahren auch einfacher geworden, d.h. durch die Register, die es auf den vielen Websites gibt; über die vereinfachten Formulare für Anfragen von Dokumenten, ist zumindest im Prinzip der Zugang zu Dokumenten möglich, und wenn man Länder wie Spanien sieht, in denen es kein Informationsfreiheitsgesetz gibt, sind wir hier zumindest auf dem richtigen Weg."

    Dennoch tun sich die verschiedenen EU-Institutionen mit der Transparenz immer noch schwer. Gegner einer Ausweitung befürchten, dass wenn jede Besprechung und Abstimmung öffentlich gemacht werde, der Platz zum vertraulichen Meinungsaustausch verloren gehen könnte. Doch dieser "Room-to-think" sei nur eine Ausrede, meint Ronny Patz. Auch das Argument, dass durch eine Offenlegung aller Dokumente vor allem Lobbygruppen massiv in die EU-Entscheidungsprozesse eingreifen könnten, hält er für reichlich übertrieben:
    "Ich glaube, dass der Zugang zu internen Dokumenten durch Lobbyisten, längst schon geben ist. Und mehr Transparenz führt eigentlich zu fairen Spielregeln für alle. Lobbyisten brauchen keine Informationsfreiheitsanfragen zu machen, die oftmals mit den Fristen die es gibt viel zu lange dauern, um im politischen Prozess Dokumente zu bekommen, die man dann benutzen kann, um Einfluss zu nehmen. Das heißt: Mehr Transparenz bedeutet, das alle zu jeder Zeit wissen was passiert und Einfluss nehmen können."

    Den größten Widerstand in diesem Zusammenhang leistet bisher der Rat. Und das liegt in erster Linie an den unterschiedlichen Transparenz-Kulturen der Mitgliedsstaaten. Während Länder mit traditionell liberalen Informationsgesetzen wie Schweden, Finnland oder auch Estland immer für mehr Transparenz stimmen, ist eine Mehrheit der Mitglieder dagegen. Das Absurde: Selbst dieses Abstimmungsverhalten sei intransparent, so Patz.

    "Es gibt eine strukturelle Mehrheit im Rat, die nicht für "mehr" Transparenz auf EU-Ebene ist und das betrifft insbesondere die Positionen von Mitgliedsstaaten, die sie während der Verhandlungen vertreten, das heißt, die sind für uns als Öffentlichkeit immer erst zugänglich nachdem alle Entscheidungen schon getroffen worden sind. Das bedeutet einen direkten Einfluss zu nehmen auf die Entscheidungen im Rat ist quasi unmöglich."

    Wie so vieles in der häufig zähen EU-Bürokratie sei auch der Weg zu einer umfassenden Transparenz-Politik ein Lernprozess, der einfach noch nicht alle erreicht habe. Doch das werde sich schon bald ändern. Davon ist Ronny Patz überzeugt und betont, dass nicht nur die EU-Beamten dazulernen müssen, sondern die ganze europäische Öffentlichkeit.

    ""Wichtig ist, dass die Öffentlichkeit als Ganzes mehr Nachfragen stellt. Dass z.B. Journalisten nicht nur auf Ihre Quellen Zugriff nehmen, sondern auch Informationen nachträglich öffentlich erfragen, damit so eine Gewöhnung der Institutionen an öffentliche Anfragen passiert. Wenn es immer nur die Experten sind, die nachfragen - und wissen was sie konkret wollen - dann ist der Lernprozess einfach zu langsam."