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Treue oder Gummi?

Medizin. – In Toronto ging jetzt der 16. Welt-Aids-Kongress zu Ende. Geeignete Präventionsstrategien waren dort ein große Thema. Viele Teilnehmer verfochten den Ansatz, durch Treue oder Enthaltsamkeit in der besonders gefährdeten Gruppe der jungen Erwachsenen die Gefahr zu verringern. Doch diese Forderung war nicht unumstritten. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide stellt die Diskussion im Gespräch mit Grit Kienzlen dar.

    Kienzlen: Herr Winkelheide, was halten die Experten denn von der Enthaltsamkeits-Forderung?

    Winkelheide: In Toronto hing es davon ab, welche Experten man fragte. Die Antworten variierten zwischen "viel" und "gar nichts". Das hat viele Gründe. Wenn man sich ein Land anguckt, in dem viele Menschen mit HIV infiziert sind, und man geht davon aus, dass man junge Menschen dazu bringt, oder dass die sich entschließen, später sexuell aktiv zu werden, dann hat das natürlich einen Effekt, und es schützt. Aber nur für die Zeit, in der sie sexuell nicht aktiv sind. Die Frage ist, was passiert dann? Was passiert, wenn sie sich verlieben? Was passiert, wenn sie entdecken, dass sie sexuelle Wesen sind? Dann muss man ihnen etwas an die Hand geben, wie sie sich trotzdem schützen können. Und deswegen gibt es viele Experten, die sagen, nur Enthaltsamkeit, das kann es nicht sein.

    Kienzlen: Nun muss man damit rechnen, dass sie diese Entdeckung irgendwann machen. Warum wird dennoch diese Strategie so stark forciert? Denn das ist ja der Fall.

    Winkelheide: Es gibt natürlich eine Menge Programme, die von den USA finanziert werden. Und da steckt natürlich auch eine religiöse Vorstellung dahinter, oder wenn man es allgemeiner sagt, ein Tugendkatalog. Das Problem bei Prävention und Vorbeugung ist aber, dass man eigentlich ohne moralische Prämissen an das Thema herangehen muss. Man muss einfach die Fakten sehen: Es gibt Menschen, die einfach wechselnde Sexualpartner haben, es gibt Männer, die ins Bordell gehen, es gibt Menschen, die Drogen spritzen. Und die Experten in Toronto haben gefordert, wir müssen den Menschen die jeweils passende Methode an die Hand geben, wie sie sich schützen können. Und was man auch nicht vergessen darf: Der Mensch ist kein Idealwesen. Es gibt auch Gewaltverhältnisse. Und deswegen ist es ja gerade so, dass besonders junge Frauen besonders davon betroffen sind, von der Neuansteckung betroffen sind. Das heißt, sie haben Verhältnisse mit älteren Männern, die besonders häufig HIV-infiziert sind. Und genau dort muss man einsetzen. Wie kann man diese jungen Frauen schützen.

    Kienzlen: Wie sieht denn jetzt nach den Erkenntnissen, die Sie in Toronto gewonnen haben, die ideale Aids-Prävention aus?

    Winkelheide: Es ist eine Strategie, die viel Toleranz verlangt, auch von Staaten viel Toleranz verlangt, nämlich zu sehen, dass es Drogenprobleme gibt, dass es Prostitution gibt, und dass man diese Themen nicht unter den Teppich kehrt, sondern offensiv angeht und sagt, ja, Drogen sind verboten, die dürfen nicht genommen werden, das ist ein kriminelles Verhalten, sich Drogen zu spritzen. Und dass man sich trotzdem entschließt, für die Gesundheit der Menschen, dass sie eben sich nicht anstecken, trotzdem Nadelprogramme aufzulegen.

    Kienzlen: Aber ist das nicht eine finanzielle Frage? Enthaltsamkeit zu predigen, ist eine relativ günstige Methode, sich der Aids-Epidemie entgegen zu stellen, Kondome sind deutlich teurer.

    Winkelheide: Kondome sind deutlich teurer. Aber auch nicht so teuer. Und auch wenn man Enthaltsamkeit predigt, muss man die Prediger bezahlen. Und was frappierend ist, ist, dass in Afrika, wo Kondome dringend gebraucht würden, hat ein Mann im Durchschnitt pro Jahr zehn Kondome. Die Frage ist, wie kann da ein Präventionsprogramm überhaupt laufen.

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