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Türkische Stadt Gaziantep
Leben mit syrischen Flüchtlingen

Längst lebt die Mehrzahl syrischer Flüchtlinge nicht mehr in Lagern, sondern sucht ihr Glück in den türkischen Großstädten. In der Millionenstadt Gaziantep, wo 250.000 Syrer leben, führt dies zu Konflikten mit den Einheimischen.

10.07.2015
    Eine Syrerin trinkt Wasser aus einer Flasche.
    Gaziantep hat rund 250.000 syrische Flüchtlingen aufgenommen - das sind mehr Menschen als die gesamte Europäische Union bislang aus Syrien hinein gelassen hat. (afp/Simsek)
    Es ist eine Baustelle, eigentlich Betreten verboten. Das Haus soll restauriert werden, Fenster und Türen sind bereits herausgerissen. Doch noch dient es drei syrischen Familien als Unterkunft. Kinder springen barfüßig umher, zwei Frauen sitzen auf niedrigen Schemeln und schneiden Tomaten in einen Plastikbottich. Die meisten Früchte sind unansehnlich, die Flüchtlinge haben sie auf dem Markt von Gaziantep vom Boden aufgelesen.
    "Mich hat eine Türkin beschimpft. Sie hat uns angeschrien, wir sollten zurückgehen nach Syrien und ruhig sterben, wir seien schmutzig und Schuld daran, dass in ihrer Stadt alles teurer geworden ist."
    Zahlreiche Bettler prägen das Stadtbild
    Gaziantep hat rund 250.000 syrische Flüchtlingen aufgenommen - das sind mehr Menschen als die gesamte Europäische Union bislang aus Syrien hinein gelassen hat. Längst lebt die Mehrzahl der Syrer nicht mehr in Flüchtlingslagern. Sie sucht ihr Glück in den türkischen Großstädten. Syrische Autokennzeichen, arabische Werbung, aber auch zahlreiche Bettler prägen das Bild in Gaziantep. Die Konflikte zwischen Einheimischen und syrischen Flüchtlingen nehmen zu. Im vergangenen Jahr gab es in Gaziantep sogar Angriffe auf von Syrern bewohnte Häuser. Menschenrechtler wie der Anwalt Serdar Özgüney werfen dem türkischen Staat vor, die Flüchtlinge sich selbst zu überlassen:
    "Wir haben diese Menschen hereingelassen. Aber wenn sie hier sind, dann müssen sie selber zurechtkommen. Das passt nicht zu einer Demokratie. Wir kritisieren besonders, dass diese zwei Millionen Menschen keinen Rechtsstatus haben. Sie existieren nicht. Sie sind nirgendwo registriert, haben keine Aufenthaltsgenehmigung oder sonst ein Papier."
    Kostenlose Behandlung in türkischen Krankenhäusern
    Aber die Flüchtlinge können eine Art Krankenversicherungskarte beantragen, die ihnen eine kostenlose Behandlung in den staatlichen Krankenhäusern ermöglicht. In Gaziantep wurden bereits 218.000 solcher Krankenausweise ausgestellt. Ein syrischer Student, der vor drei Monaten vor dem Bürgerkrieg nach Gaziantep geflohen ist, nimmt die Türkei in Schutz:
    "Das ist zwar nicht viel, aber weit mehr als wir im Libanon oder in Jordanien bekommen. Deshalb denken wir auch nicht daran nach Europa auszuwandern. Der Vorteil in der Türkei ist, dass wir hier eine syrische Infrastruktur haben. Und der Staat lässt uns gewähren. In den Augen der Türken sind wir Gäste. Es wird geduldet, dass wir arbeiten."
    Eigene Parallelgesellschaft
    In den türkischen Großstädten wie Gaziantep haben die Syrer mittlerweile ihre eigene Parallelgesellschaft aufgebaut. Syrische Geschäftsleute, die mit ihrem Geld in die Türkei fliehen konnten, haben es hier wieder investiert. Überall in Gaziantep trifft man auf Restaurants, Cafes, Bäckereien, Reisebüros und sogar Kindergärten, die von Syrern betrieben werden. Dass ein solcher Andrang zu Konflikten führen kann, verwundert den Studenten nicht:
    "In Syrien haben die Menschen ja ähnlich reagiert, als Iraker zu uns geflohen waren. Damals hieß es, wegen der Iraker gehen die Mieten und die Preise nach oben. Auch hier sind einzelne Personen gegen uns. Aber das ändert nichts an der türkischen Gastfreundschaft insgesamt."
    Die syrischen Flüchtlingsfamilien in dem Hof des Abbruchhauses leben vom Leergutsammeln. Sie sprechen kein Türkisch, das erschwere die Arbeitssuche, gibt ein Mann zu, der dazu gekommen ist. Noch enttäuschter als von der Türkei ist er aber vom Rest der Welt:
    "Wo bleibt denn die Hilfe für uns Flüchtlinge? Alles Lüge. Wir haben nicht einen Penny vom Westen oder von der UN bekommen."