Donnerstag, 25. April 2024

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Über den Frust nach Ferienende
Erholung von der Erholung

Früher dienten die Ferien in erster Linie der körperlichen und seelischen Entspannung, heutzutage geht es oft um Erlebniswerte. Es geht um Abwechslung, das grandiose Andere, den Anti-Alltag. Und deshalb haben wir, trotz Erschöpfung, solchen Frust am Ferienende, meint Burkhard Müller-Ullrich.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 28.08.2017
    Wildwasser-Kajak Allgemein, 30.04.2004
    Im Urlaub machen wir oft ganz andere Dinge als sonst: Wildwasserrafting, Bergbesteigung, Wüstensafaris. (picture-alliance / ASA / Leo Himsl)
    Jetzt sind wir von den Ferien sehr erschöpft und müssen uns dringend erholen. Willkommen zurück am Arbeitsplatz. Eigentlich sollte es ja andersherum sein: Der Urlaub sollte zur Rekreation, zur Wiederherstellung der Arbeitskraft dienen. Aber in Wirklichkeit ist es doch so: Während arbeitsrechtliche Vorschriften mit Ruhezeitenregelungen, ergonomischen Vorschriften und Höchstbelastungsgrenzen dafür sorgen, dass wir uns beim Gelderwerb nicht überanstrengen, muten wir uns in den Ferien Ungeheures zu. Sportliche Aktivitäten bis zum Umfallen, endlose Autofahrten im Zustand völliger Übermüdung, Flugreisen durch Tag und Nacht mit Umsteigen unter lebensfeindlichen Bedingungen – all das, was in der Arbeitswelt von keiner Gewerkschaft toleriert würde, ist in der Urlaubswelt Normalität. Und nun komme bitte niemand mit dem Einwand, dass es tatsächlich einige recht kräftezehrende Berufe gebe. Die werden von jenen Freizeitextremisten, welche den Himalaja beklettern oder durch die Sahara brettern, mehr als wettgemacht.
    14 Prozent planen sofort wieder den nächsten Urlaub
    Das Verhältnis zwischen Arbeit und Urlaub hat sich aber nicht nur im Hinblick auf die Energiebilanz umgedreht. Dienten früher die Ferien in erster Linie der körperlichen und seelischen Entspannung, so geht es heutzutage um Erlebniswerte. Die können durchaus mit Mühsal und Gefahr verbunden sein, Hauptsache, sie geben uns das Gefühl, etwas Besonderes und Bedeutungsvolles zu unternehmen. Denn die Arbeit ist längst nicht mehr die wesentliche Quelle, woraus der Lebenssinn sprudelt, sondern die Abwechslung ist es, das grandiose Andere, der Anti-Alltag – in welcher Gestalt auch immer.
    Deshalb haben wir, trotz Erschöpfung, solchen Frust am Ferienende. 14 Prozent der gerade Zurückgekehrten planen laut einer wissenschaftlichen Studie sofort den nächsten Urlaub. Das sogenannte Post-Holiday-Syndrom ist zum Forschungsgegenstand geworden. Schlimmer als Entkräftung und Erschöpfung ist nämlich der Alltagstrott, der uns erwartet. Und die Wiederbegegnung mit dem alten Ich, das wir für ein paar Wochen vergessen und verleugnen konnten. Waren wir in den anderen Gefilden nicht selbst Andere geworden, zumindest ein bisschen? Reisen bedeutet eben nicht nur Fortbewegung, sondern auch Verwandlung.
    Reisen ist wie Lesen
    Aber doch nur in Maßen. Reisen ist nämlich wie Lesen. Man ist nicht 100-prozentig involviert. Reisen und Lesen bieten bloß eine gefilterte und gemilderte Wirklichkeitserfahrung; nicht, dass die Erlebnisse auf Reisen unecht wären (das sind sie manchmal auch, besonders im modernen Massentourismus), aber sie sind nie so ausschließlich und unerbittlich wie der Alltag zu Hause. Wenn sich auch sonst alles verkehrt hat, dieses Verhältnis von Regel und Ausnahme bleibt bestehen.