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Unbescholten im Fadenkreuz der Terrorfahnder

Vor etwa fünf Jahren ist Andrej Holm in das Fadenkreuz der Ermittler geraten. Ein Sondereinsatzkommando stürmte seine Wohnung, denn die Bundesanwaltschaft hält ihn zum damaligen Zeitpunkt für einen geistigen Brandstifter.

Von Hendrik Loven | 13.10.2011
    "Ich habe erstmal einen riesen Schreck bekommen am Morgen. Ich bin ja von einem Sondereinsatzkommando der Polizei geweckt worden, die vor unserer Tür standen und die aufbrechen wollten und dann sozusagen verhaftet worden, so mit allem Drumherum: Also mit gezogenen Waffen und auf den Boden legen und Hände auf dem Rücken fixieren usw. Und gleichzeitig war das ja der Ausgangspunkt, dass ich überhaupt mitbekommen habe, dass schon seit fast einem Jahr ein sehr komplettes Ermittlungsverfahren gegen mich lief."

    Andrej Holm ist vor etwa fünf Jahren in das Fadenkreuz der Ermittler geraten. Als das Sondereinsatzkommando mit Maschinenpistolen und kugelsicheren Westen am 31. Juli 2007 bei ihm in der Küche stand, hatte er bis dahin so gut wie keinen Kontakt mit der Polizei. Holm ist Soziologe. Er lebt in Berlin und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der renommierten Humboldt-Universität. Doch die Bundesanwaltschaft hält ihn zum damaligen Zeitpunkt für einen geistigen Brandstifter. Er soll Kopf einer terroristischen, linken Vereinigung sein – der sogenannten "militanten Gruppe", die seit Jahren Brandanschläge im Berliner Raum verübt. In den Bekennerschreiben der "militanten Gruppe" tauchen die Begriffe "Prekarisierung" und "Gentrification" auf. Und die benutzt auch Andrej Holm. Doch für Soziologen handelt es sich dabei um gängige Fachausdrücke, die die Zunahme schlecht bezahlter unsicherer Jobs und ökonomische Umstrukturierung bezeichnen.

    "In den Akten steht ein bisschen unklar, dass im Rahmen einer Internetrecherche, ich und noch drei Kollegen und Freunde von mir ins Visier gekommen sind, weil in unseren Texten diese Begriffe auftauchen, die es auch in den Anschlagserklärungen gab, und dann hat dieser Anfangsverdacht, ausgereicht, um die Überwachungsmaßnahmen zu beginnen."

    Ohne dass es Andrej Holm bemerkt – werden knapp ein Jahr lang seine E-Mails mitgelesen, er wird beschattet, abgehört und seine Onlineaktivitäten werden nachverfolgt. Er wird zu einer sogenannten Zielperson. Auszüge aus den Protokollen des Bundeskriminalamtes.

    13.02.2007:
    16 Uhr 21: Die Zielperson verlässt die U-Bahn und betritt einen Hot-Dog-Laden.
    16 Uhr 24 verlässt er diesen.
    16 Uhr 29 Zielperson läuft zum Friseur Sultan, welchen er um 16 Uhr 39 betritt
    16 Uhr 53 Die Zielperson, eine weibliche Person und ein ca. zweijähriges Kleinkind auf dem Dreirad verlassen die Wohnung und laufen zur Kita Regenbogen, welche sie um 17Uhr 07 betreten.
    20 Uhr: keine Veränderung. Abbruch.


    Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches erlaubt das Beschatten und Bespitzeln von Personen, wenn sie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt werden. Eingeführt zu Zeiten der RAF. Professor Martin Kutscher ist Staatsrechtler an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und Mitherausgeber des Grundrechtereports 2011.

    "Das Besondere ist, dass eigentlich nur sehr wenige Menschen je aufgrund dieses Paragrafen verurteilt wurden. Dass aber die Ermittlungsbehörden diesen Paragrafen als ein Ausforschungsinstrument benutzen. Das heißt: Wenn man sagt, es besteht der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung kann man das ganze Arsenal dieser heimlichen Überwachungsmethode einsetzen."

    Dass Computer und Telefon des 41-Jährigen angezapft werden durften, liegt auch daran, dass in den letzten Jahren die Genehmigung von präventiven polizeilichen Abhörmaßnahmen zugenommen hat. Zulässig ist die Überwachung der Telekommunikation laut Strafprozessordnung eigentlich nur bei schweren Straftaten wie Mord, sexuellem Missbrauch von Kindern oder Verfahren wegen Drogenhandels – doch präventive Maßnahmen – wie im Fall Holms – werden immer öfter davon ausgenommen. Andrej Holm hat seine Akte nach der Einstellung des Verfahrens zum Teil einsehen dürfen.

    "Da geht hervor, dass die Telefone, also die Festnetztelefone in meiner Wohnung abgehört wurden, dass mein Mobiltelefon abgehört wurde, dass meine Emails, die ich geschrieben habe mitgelesen werden konnten, dass zu einem späteren Zeitpunkt ich regelmäßig so genannte stille SMS auf mein Mobilfunkgerät bekommen habe. Also, das ist eine SMS, von der der Besitzer des Mobiltelefons nichts bemerkt und das BKA ist aber dann in der Lage herauszufinden, wo sich dieses Telefon gerade befindet."

    Gegen Andrej Holm, den unbescholtenen Soziologen im Fadenkreuz der Terrorfahnder, sind im Juli 2010 alle Verfahren eingestellt worden. Auch heute, mehr als ein Jahr danach, erzählt er immer noch empört, dass er monatelang ausspioniert wurde, nach seiner Verhaftung drei Wochen unschuldig in Untersuchungshaft saß und immer noch nicht weiß, was die Behörden alles über ihn gespeichert haben. Das hinterlässt bei ihm bis heute immer noch ein Gefühl des Ausgeliefertseins.

    "Im Rahmen von solchen Ermittlungsverfahren wird dein Alltagsleben ja in einer Weise interpretiert, was mit den Tatsachen, die da beobachtet wurden, ja gar nichts zu tun hatte. Also selbst Kneipentreffen mit Freunden, wo man Fußball geguckt hat, werden dann plötzlich zu konspirativen Meetings der Beschuldigten. Das heißt also man ist damit konfrontiert, dass nicht nur eine Offenlegung deiner Daten im Rahmen von solchen Ermittlungsverfahren offensichtlich wird, sondern, dass auch eine Uminterpretation deines Lebens stattfindet."

    Das BKA hat sich bis heute nicht bei Andrej Holm entschuldigt. Er streitet vor Gericht noch um eine angemessene Entschädigung. Auf Nachfrage beim Bundesinnenministerium hieß es dazu nur, man nehme zu Einzelermittlungen keine Stellung.