Freitag, 19. April 2024

Archiv

Unfreie Arbeit
Der lange Schatten der Sklaverei

Sklaverei war lange legitim und weltweit verbreitet - und ihre Folgen sind nach wie vor zu spüren. Heute ist sie eher die Ausnahme, aber ausgebeutet werden Arbeitskräfte noch immer. Auf verschiedene Arten und an verschiedenen Orten - auch in Deutschland.

Von Lennart Pyritz | 13.08.2015
    Barfüßig arbeitet ein Mitglied der Kaste der Unberührbaren in einem Steinbruch in Madurai (Indien).
    Barfüßig arbeitet ein Mitglied der Kaste der Unberührbaren in einem Steinbruch in Madurai (Indien). (Imago/Friedrich Stark)
    "Das ist ein Menschheitsphänomen, das gab's vom Paläolithikum bis heute, von Ozeanien über Europa, Afrika, bis zu den Amerikas. Und auch wenn es als legale Institution heute weltweit geächtet ist, gibt es nach wie vor Sklaverei-ähnliche Ausbeutungszustände." Wegen der regional und zeitlich unterschiedlichen Ausprägungen sei es schwierig, das Phänomen Sklaverei zu definieren, sagt Jan-Christoph Marschelke. Er ist einer der Herausgeber des Buches "Slavery as a global and regional phenomenon" und arbeitet an der Forschungsstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft der Universität Regensburg.
    Er nennt stattdessen eine Reihe für Sklaverei charakteristischer Elemente: "Das sind einmal die Unterwerfung anderer Menschen und zwar zum Zweck der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Und dazu kommt eine ständige Bedrohung durch Gewalt. Und durch diese Gewalt, aber insbesondere dann auch durch die Möglichkeit, dass man Menschen kaufen und verkaufen kann, eine Verdinglichung, die sie quasi zu Sachen macht."
    Sklaverei für zu Modernisierung des Banken- und Versicherungswesens
    Gerade diese Verdinglichung der Menschen grenze Sklaverei ab von ähnlichen Phänomenen wie Schuldknechtschaft oder der Zwangsarbeit von Häftlingen. Die meiste Zeit ihres Bestehens war Sklaverei institutionalisiert und rechtlich legitim. Und ein Beispiel für frühen globalisierten Handel zwischen Europa, Afrika und Amerika ab dem 16., 17. Jahrhundert. "Ganz schematisch überlegt: Was steckt in so einem transatlantischen Sklavenhandel drin? Da hat jemand das Ziel, er will eine Schiffsladung Sklaven verkaufen. Das heißt, das ist eine Unternehmung, da muss ich investieren, da gibt es eine Rendite aber auch ein Risiko. Das fängt an in Europa, dass ich möglicherweise einen Kredit aufnehmen muss. Dann muss ich ein Schiff besorgen und Waren einkaufen, die ich in Afrika dann gegen die Sklaven eintausche. Das heißt: Ich kurbele Bankwesen und Wirtschaft in Europa an. Dann habe ich ein Ausfallrisiko, weil viele Sklaven sterben oder auch ein Schiffbruch passieren kann. Das heißt, ich muss mich irgendwie versichern oder mein Investitionsrisiko streuen. Allgemein wird gesagt: So etwas wie das Banken- und Versicherungswesen in Europa, das hat einen großen Modernisierungsschub erlebt durch die Sklaverei."
    Durch die europäischen Kolonialmächte wurde auch das europäische Sklaverei-Verständnis in die neue Welt gebracht, sagt Klaus Weber, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Für die Arbeit auf den Plantagen in der Karibik und in Nordamerika wurden allerdings nicht von Beginn an Afrikaner versklavt. Bis in Europa die Arbeitskräfte durch einen Wirtschaftsaufschwung im 17. Jahrhundert immer teurer wurden, griffen die Betreiber auf europäische Vertragsarbeiter zurück. "Diese Vertragsarbeiter sind in der Mehrheit auch nicht freiwillig dorthin gegangen. Es waren entweder Strafgefangene oder soziale Randgruppen wie Nicht-Sesshafte, Prostituierte, Waisen, arme Leute wurden auch deportiert", sagt Weber.
    Sklaverei wurde abgeschafft - unfreie Arbeit nicht
    Neben den zwangsweise Deportierten verpflichteten sich weitere Europäer freiwillig zu einer meist über vier oder sechs Jahre laufenden Arbeit in der Neuen Welt - in der Regel angesichts schlechter Lebensaussichten in der Heimat. Dabei hatten sie keine direkten Verträge mit den Plantagenbesitzern. Vielmehr wurden ihre Verträge, die sie in Amsterdam, London oder Liverpool vor Mittelsmännern schlossen, vor ihrer Verschiffung an Plantagenbetreiber verkauft. Diese Arbeiter waren ähnlich entrechtet wie die Sklaven - allerdings nur bis die Vertragslaufzeit endete. Überlebten die Europäer oder afrikanischen Sklaven die Überfahrt, wurden sie überwiegend auf den amerikanischen Plantagen eingesetzt.
    "Besonders hart waren die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerplantagen. Das hat mit den klimatischen Bedingungen zu tun, unter denen Zuckerrohr gedeiht aber auch mit der enormen Profitabilität. Diese Arbeiter wurden dort besonders während der Pflanz- und während der Erntezeit im Dreischichtbetrieb extrem ausgebeutet", erzählt Weber. Im Lauf der 1830er und 40er Jahre wurde die Sklaverei im britischen Kolonialreich abgeschafft, 1865 - nach dem Ende des Bürgerkriegs - schließlich auch in den USA. Das bedeutete allerdings nicht die Abschaffung unfreier Arbeit. In der britischen Karibik setzten die Plantagenbesitzer durch, dass die befreiten Sklaven für weitere sechs Jahre gegen geringen Lohn für ihre früheren Besitzer arbeiten mussten.
    Afroamerikaner wurden lange verfolgt
    In den USA wurden nach dem offiziellen Ende der Sklaverei sogenannte "Black Codes" erlassen, die weit bis ins 20. Jahrhundert hinein gültig waren. "Ihnen allen gemein war, dass es möglich war, Afroamerikaner in Haft zu nehmen, und zwar wenn sie keinen festen Wohnsitz vorweisen konnten, wenn sie gerade kein festes Arbeitsverhältnis hatten, wenn sie angeblich die Fürsorge ihrer Kinder vernachlässigten. Es konnte ihnen dann auch das Sorgerecht entzogen werden, und sie wurden dann eben zu Gefängnis oder zum Arbeitshaus oder Zuchthaus verurteilt. Und aus diesen Institutionen heraus konnten sie an Industrie- oder Plantagenunternehmen gewissermaßen geliehen oder verpachtet werden", sagt Weber.
    Weiße Amerikaner konnten verklagt werden, wenn sie Schwarzen, die bereits in einem Arbeitsvertragsverhältnis standen, eine besser entlohnte Arbeit anboten. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts warben die Plantagenunternehmen eine halbe Million Menschen aus Südasien an, die auf den Monokulturen in der Karibik arbeiteten - unter katastrophalen Bedingungen, berichtet Weber: "Unter diesen Vertragsarbeitern herrschte selbst nach Meinung der Plantagenbesitzer eine Sterblichkeitsrate von zehn Prozent. Und Beobachter befanden, dass dort die höchste Suizidrate der Welt herrschte. Das wäre also ein weiteres Beispiel dafür, wie schnell unfreie Arbeit ihren Aggregatzustand ändern kann, wenn zum Beispiel Sklaverei verboten wird oder sonstige politische und ökonomische Randbedingungen sich ändern."
    Rassismus als Folge, nicht als Ursache von Sklaverei
    Aus der legitimierten Sklaverei gingen schrittweise andere Formen ausbeuterischer und unfreier Arbeitsverhältnisse hervor, die bis ins 20. Jahrhundert hineinreichten. Die Folgen der Sklaverei prägen in vielen Weltregionen das gesellschaftliche Zusammenleben bis heute. Klaus Weber sagt: "Erst durch die jahrhundertelange Position von Afrikanern als Sklaven hat sich dieser Stereotyp von Afrikanern als den Europäern unterlegen verbreitet. Sklaverei ist also mehr eine Ursache von Rassismus als eine Folge von Rassismus."
    "Die Sklaverei hat zwar den Rassismus wesentlich mit hervorgebracht.", sagt auch der Regensburger Kulturwissenschaftler Dr. Jan Marschelke. "Aber während man die abschaffen konnte als rechtliche Institution, ist der Rassismus stehen geblieben." Ein Beispiel sei das Massaker in einer Kirche in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina, bei dem ein junger Weißer im Juni 2015 um sich schoss und neun Afroamerikaner tötete. "Da hat der Täter in der Kirche geschrien als er schoss: Ihr vergewaltigt unsere Frauen, ihr ergreift die Macht in unserem Land. Das ist ein Satz der könnte eins zu eins aus der Phase nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg stammen." Auf Fotos posierte der Täter mit der Flagge der Südstaaten - ein Symbol der für den Erhalt der Sklaverei kämpfenden Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg.
    Mit dem Ende der Sklaverei in den USA, so Marschelke, haben sich neue Vorurteile gegenüber Schwarzen entwickelt: "Also vorher waren die schwarzen Sklaven, die galten so ein bisschen als dumm aber harmlos. Und als die dann befreit waren, auch teilweise anfingen zum Beispiel in lokalpolitische Ämter vorzudringen, als sich also die alte Machtelite bedroht fühlte, da wandelte sich dieses Stereotyp auf einmal in das Gegenteil. Das heißt, der Schwarze wurde auf einmal als bösartig, als moralisch minderwertig, als sexuell zügellos - und auf weiße Frauen fixiert insbesondere - dargestellt."
    WM-Baustellen in Katar - Arbeitsrecht sorgt für Abhängigkeit
    Ein weiteres Beispiel für eine bis heute sichtbare Folge der Sklaverei sind die Favelas - Armenviertel an den Rändern brasilianischer Städte -, die im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr ins Licht der Öffentlichkeit rückten. "Die Favelas sind Strukturen, die mit der Abschaffung der Sklaverei entstanden sind, weil dann auf einmal viele Menschen frei waren, und die mussten irgendwo hin. Also hat man ihnen dieses Land, das keiner wollte, zur Verfügung gestellt", erzählt Marschelke.
    Ehemalige Sklaven gelangten im Grunde mittellos in die Freiheit. Das prägte ihre gesellschaftliche Ausgangslage. "Diese sozio-ökonomische Asymmetrie, die verschwindet natürlich so einfach nicht." Die Existenz der Sklaverei hat nicht nur indirekt gesellschaftliche Spuren hinterlassen. Mitunter wird der Begriff auch auf heutige Verhältnisse angewandt. Und das nicht nur im IS, wo offen für die Versklavung von Frauen geworben wird. "Wir haben ganz prominent und unentwegt in der Presse die WM-Baustellen in Katar, bei denen eben auch dann häufig von Sklaverei gesprochen wird. Man wird wohl aus wissenschaftlicher Sicht sagen müssen, das ist eher eine metaphorische Verwendung des Begriffs Sklaverei. Sprich, man benutzt das zwecks Illustration und um auch eine gewissen politische Aufmerksamkeit zu wecken. Denn klar, da herrschen Zustände, die müssen bekämpft werden."
    Die Arbeiter auf den Baustellen kommen vor allem aus Nepal, Indien, Pakistan und Sri Lanka. Zwar kommen sie freiwillig - aus finanzieller Not - werden also nicht ge- oder verkauft wie Sklaven. Die Arbeitsbedingungen in der Wüste sind allerdings oft katastrophal. Und sie sind in mehrfacher Hinsicht abhängig von ihrem Arbeitgeber, sei es im Hinblick auf verzögerte Lohnzahlungen oder die Bewegungsfreiheit im Land. "Insbesondere dieses Kafala-System. Das also ein Arbeiter abhängig ist von einem Bürgen - das ist dann in der Regel sein Arbeitgeber. Bisweilen kommt es dazu, dass den Arbeitnehmern einfach der Pass weggenommen wird. Dann sind sie schlicht und ergreifend illegale Einwanderer. Das führt dann dazu, dass man sich nicht an die Behörden wenden kann."
    "Ich würde sagen, das ist ein schönes Beispiel von einer Form der Schuldknechtschaft", sagt Norbert Cyrus. Er erforscht in einem EU-finanzierten Projekt an der Universität Bremen nachfrageorientierte Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel. "Das heißt, die Menschen haben sich in der Regel verschuldet, um überhaupt diesen Job zu bekommen, das heißt, sie haben einem Vermittler schon Geld bezahlt. Sie sind dann in einer Abhängigkeit aus der sie sich nicht mehr befreien können. Und das wird dann gnadenlos ausgenutzt und tatsächlich, nach allen Informationen, die man hört, werden sie dann auf der Baustelle auch noch systematisch überwacht und eingeschüchtert."
    Freiheit von Arbeitskräften vielerorts eingeschränkt
    In anderen Weltregionen ist die Freiheit von Arbeitskräften sogar noch krasser eingeschränkt. In Brasilien gebe es große Haziendas, so Cyrus, auf denen Landarbeiter unter Sklaverei-ähnlichen Bedingungen leben. Da die Landbetriebe sehr abgeschieden liegen, fehle jeglicher staatlicher oder gewerkschaftlicher Schutz. Diese Arbeiter könnten auch nicht frei entscheiden, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. "Es gibt andere Verhältnisse, die vor allem Kinder betreffen in den westafrikanischen Kakao- oder Kaffeeplantagen, die dort arbeiten zur Ernte. Das wird auch gerne als Sklaverei bezeichnet, hier würde ich aber eher den Begriff Kinderarbeit bevorzugen, um auch nochmal klarzumachen, dass es doch auch soziale Hintergründe gibt, warum diese Kinder in den Plantagen arbeiten", sagt Cyrus.
    Cyrus mahnt generell zu Vorsicht bei begrifflichen Einordnungen. "Auch in Deutschland und in Europa wird der Begriff Sklaverei oder moderne Sklaverei, um genau zu sein, teilweise auch benutzt, um Ausbeutungsverhältnisse in der Bauwirtschaft oder in Privathaushalten zu bezeichnen. Tatsächlich kann es in einzelnen Fällen auch vorkommen, dass hier wirklich Sklaverei-ähnliche Verhältnisse stattfinden. Im Großen und Ganzen würde ich hier aber eher von schweren Fällen der Arbeitsausbeutung sprechen, weil diese Menschen tatsächlich noch die Möglichkeit hätten, im Prinzip den Arbeitsplatz zu verlassen, wenn sie für sich eine Alternative sehen würden. "
    "Pyramide der Ausbeutung"
    Um die Bandbreite bedenklicher Arbeitsverhältnisse zu verdeutlichen, hat Cyrus das Bild einer "Pyramide der Ausbeutung" entwickelt. Am Boden dieser Pyramide stehen Arbeitsverhältnisse, bei denen die Verteilung des erzielten Gewinnes als ungerecht zu bewerten ist, aber kein Zwang ausgeübt wird: Zum Beispiel eine Pflegekraft in einem Privathaushalt, die nach Deutschland kommt um dort in der 24-Stunden-Pflege zu arbeiten, und im Verhältnis zu ihrer Arbeitsleistung extrem wenig verdient. "Dennoch akzeptiert sie die Bedingungen, weil sie keine Alternativen für sich im Heimatland oder anderswo sieht. Das wäre für mich eine Form der einvernehmlich eingegangenen Arbeitsausbeutung. Die gleichwohl, weil sie gegen geltende Arbeitsbestimmungen oder Arbeitsschutzbestimmungen oder auch Tarif- oder Mindestlohnbestimmungen verstößt, durchaus schon als Form der Arbeitsausbeutung bewertet werden muss."
    In der Mitte der Pyramide finden sich Beschäftigungen, bei denen die Arbeitenden durch falsche Versprechungen und das Ausnutzen von Notlagen gegängelt werden. In diesen Bereich fallen die WM-Baustellen in Katar. "Und oben an der Spitze der Pyramide sind dann die zahlenmäßig recht wenigen Fälle, wo tatsächlich Gewalt angewandt wird, um Menschen in arbeitsausbeuterische Verhältnisse zu bringen oder auch zu halten."
    Der Begriff Sklaverei emotionalisiert, erzeugt Aufmerksamkeit, ruft Bilder von in Ketten gelegten Menschen hervor. Ihn für die vielfältigen Formen moderner Arbeitsausbeutung zu verwenden, birgt damit für Cyrus eine Gefahr: Dass nämlich mögliche Gegenmaßnahmen auf die physische Befreiung aus der Unfreiheit reduziert werden. Stattdessen müsste es ein Bündel aus strafrechtlichen und sozialen Maßnahmen geben, um gegen Arbeitsausbeutung auf unterschiedlichen Ebenen anzugehen. Die Arbeitnehmer müssten zum Beispiel über ihre Möglichkeiten und Rechte informiert werden, um Ausbeutung erkennen und bekämpfen zu können.
    Ausländische Arbeiter kennen ihre Rechte in Deutschland nicht
    "Eine Befragung von rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen in Berlin hat gezeigt, dass einem Großteil der Menschen gar nicht bewusst war, dass deutsche Arbeitsrechte auch für sie selber gelten. Und die Tatsache, dass auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus oder in unangemeldeter Beschäftigung durchaus ihren Lohn einklagen können, das war für die Befragten schlicht unvorstellbar und sie haben das eigentlich gar nicht glauben können." Auch darum ist für Wissenschaftler schwer zu ermitteln, wie viele Menschen von Arbeitsausbeutung betroffen sind - auch in Deutschland.
    "Für das Strafrecht ist das eigentlich erst seit sehr kurzer Zeit ein Thema geworden. Und zwar unter der Überschrift Menschenhandel", sagt Joachim Renzikowski, Professor für Strafrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Diskussion um Menschenhandel begann in den 1990er Jahren vor dem Hintergrund der Zwangsprostitution. Im Jahr 2000 erweiterten die Vereinten Nationen die Definition des Menschenhandels dann um die Ausbeutung der Arbeitskraft. Dennoch werde wegen entsprechender Fälle auch in Deutschland selten die Polizei eingeschaltet. "Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, dass die Behörden in diesem Bereich noch nicht so sensibilisiert sind und so hingucken."
    Zudem ist es oft schwierig, entsprechende Fälle juristisch zu verfolgen. Es ist zwar verboten, Menschen durch Gewalt, Täuschung oder Drohung in ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis zu bringen und dort zu halten. Damit lassen sich allerdings nur die Fälle in der Spitze der Ausbeutungs-Pyramide fassen, und der Nachweis ist oft problematisch, sagt Renzikowski: "Das heißt, ich muss ermitteln, ist es hier eine Ausbeutung in einer Zwangsbeziehung. Und damit brauche ich das Opfer, und dieses Opfer muss berichten: Das und das waren die Faktoren, die mich unter Druck gesetzt haben. Die und die Einwirkungen hat der Arbeitgeber auf mich vorgenommen. Und das wird ein Opfer, wenn es nochmal wiederkommen will auch zum Hungerlohn von fünf Euro, nicht tun."
    Wirtschaft hätte kein Interesse an einer Definition
    Renzikowski plädiert deshalb für einen Straftatbestand, der direkt die Ausbeutung der Arbeitskraft aufgreift - anhand von Zahlen, nicht durch den Nachweis einer Zwangslage. Ausbeutung könnte dabei über den Lohn definiert werden - wenn er beispielsweise um ein Drittel von der üblichen Entlohnung für eine Arbeit abweicht.
    "Da könnte ich folgendes nämlich sagen: Jemand, der in unsrer Wirtschaftsordnung und in unsrem Arbeitssystem, wo die Standards eben durch die Gewerkschaften, durch die Arbeitgeber aufs Feinste austariert und ausgehandelt worden sind, jemand, der hier sich zu solchen Dumping-Bedingungen anbietet - und zwar egal aus welchem Grund, selbst wenn ich ihm keine Zwangslage unterstelle - das wollen wir nicht, weil das ist Dumping, das stört unsere Standards und verletzt unsere Standards und geht damit auf Kosten der Allgemeinheit. Sowas könnte man machen." Allerdings rechnet Renzikowski mit Widerstand aus der Wirtschaft, sollte die Idee tatsächlich umgesetzt werden. "An der jetzigen Situation, die unbefriedigend ist, werden Leute profitieren. Und diese Leute haben definitiv kein Interesse an einer Änderung, weil das ihre Gewinnspannen einschränkt, und da müsste man halt mal genauer hingucken."
    Eric Hilgendorf/Jan-Christoph Marschelke/Karin Sekora (Hrsg.): „Slavery as a global and a regional phenomenon", Winter-Verlag, Heidelberg 2015