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Unterhaltung und Ablenkung

Im Sommer 1933 bringen die Nationalsozialisten den "Volksempfänger" auf den Markt. 76 Reichsmark kostet er. 1938 kommt der "Deutsche Kleinempfänger" - kurz DKE genannt - und kostet nur noch 35 Reichsmark. Jeder Haushalt soll ein Rundfunkgerät haben, wünschen sich die neuen Machthaber. Nicht, damit alle unterhalten würden, wie man gerne verlautbart, sondern damit ihre Propaganda auch jeden direkt erreichen möge. Insbesondere soll die Jugend gezielt angesprochen werden. Sie will man früh prägen, auf dass aus ihnen überzeugte Nationalsozialisten werden. Radiosendungen speziell für Jungen und auch eigens für Mädchen werden eingerichtet.

Von Cordula Diehm | 10.09.2005
    " Hier ist der Deutschlandsender. Hier sind alle deutschen Sender.

    Kameraden und Kameradinnen, die ihr im ganzen Reich zum Gemeinschaftsempfang versammelt seid.

    Der Reichssender Hamburg überträgt die deutsche Morgenfeier der Hitlerjugend. "

    "Wer die Jugend hat, hat die Zukunft", hat Hitler gesagt. Der Jugendfunk existiert bereits seit 1924. Die Nationalsozialisten aber bauen ihn nach ihrem Gutdünken um. In Staat und Gesellschaft wird der Jugend eine privilegierte Stellung eingeräumt. Ebenso erhält der nationalsozialistische Jugendfunk im Radio eine herausragende Position. Rasch wird er installiert. Zügig will man die Möglichkeiten des Mediums nutzen. Aus dem Reichs-Jugend-Pressedienst:

    " Der Hitler-Jugend-Funk will erziehen. Er will die Weltanschauung des Nationalsozialismus dem jungen Menschen schon in Herz und Seele hämmern. Unsere Sendungen erziehen unsere Kameraden, uns selbst und euch, die ihr hie und da einmal zufällig den Hitler-Jugend-Funk mithört, ganz allmählich, ganz unbemerkt, zu der Weltanschauung des Nationalsozialismus. "

    21 Tage nach Hitlers Machtergreifung geht die erste Sendung unter dem Titel "HJ-Funk" auf Sendung. Ein Jahr später wird der erste so genannte "Mädelfunk" ausgestrahlt. Das überrascht vielleicht auf den ersten Blick. Gilt doch der Nationalsozialismus als männlich dominiert. Auf den zweiten Blick aber passt es genau in das nationalsozialistische Herrschaftskonzept. Die Aufgaben und Sparten des HJ-Funks entsprechen exakt der nach Geschlechtern gegliederten Hitlerjugend. Umso präziser und direkter erfolgt die nationalsozialistische Rollenzuweisung. Bereits seit 1934 gibt es bei jedem Reichssender ein HJ- und ein ihm untergeordnetes BDM-Referat. Der Nationalsozialismus setzt dabei, neudeutsch gesprochen, auf den Erlebnis- und Eventcharakter. "Wenn der Einsatz des Rundfunks in der Jugenderziehung erfolgreich sein soll", heißt es im damaligen "Handbuch des deutschen Rundfunks", "so nur, wenn es gelingt, Erlebnisse zu vermitteln".

    1934 wird in der Regel eine Mädelsendung von bis zu einer halben Stunde pro Woche ausgestrahlt. 1935 sind es bei manchen Reichssendern und beim überregionalen Deutschlandsender schon bis zu drei Sendungen pro Woche. Nachmittags läuft der "Funk für die Jungmädel" im Alter von zehn bis 14 Jahren. Abends, zur besseren Sendezeit, wird der "Funk für den BDM" für die 14- bis 21-Jährigen ausgestrahlt. Themen sind der "Bund Deutscher Mädel", Tanz und Sport, Bastel- und Singstunden, Volks- und Heimatkunde, Ausflüge und Zeltlager.

    Bewusst nutzt die nationalsozialistische Propaganda die Vorteile des Rundfunks: aktuell, unmittelbar und direkt vom Ort des Geschehens berichtend wirkt das Medium authentisch und lebendig. Die Sendungen sollen einen Höranreiz schaffen und Begeisterung auslösen. Karola war begeistert. 1933 ist sie 16 Jahre alt. Sie wird zunächst Scharführerin, dann Untergauführerin im BDM. Sie organisiert Zeltlager, gestaltet Gymnastikstunden und leitet allwöchentlich die sogenannten Heimabende:

    " Ja, da sind die Mädchen gerne hingekommen. Da wurde gesungen, eine hat erzählt, eine einen Vortrag gehalten oder auch keinen. Und das Zusammensein war das. Und dann wurde besprochen, ob man eine Wanderung macht oder ob man an der Ruhr ein Picknick machte oder solche Sachen. Es wurde sehr viel Gemeinschaft geübt. "

    Karola schwärmt vom BDM und gewinnt so neue Anhänger. Genauso arbeitet der BDM-Funk. Das zeigen die Titel der Sendungen. Es existieren nur wenige Tondokumente. Die archivierten Programmzeitschriften aber dokumentieren die ausgestrahlten Sendungen wie etwa "Morgen fahre ich ins Zeltlager", "Mädel im Dienst der Gemeinschaft", "Bücher für Mädchen", "Kameradschaft im Alltag" oder "Wir Mädel singen".

    Vor allem wird viel gesungen - in den Sendungen wie an den Heimabenden. Die ideologische Schulung erfolgt nebenher. In Erinnerung bleibt etwas anderes: Das neue attraktive Freizeitangebot, das ein ganz neues Lebensgefühl vermittelt - welches allerdings nur deutschen, "arischen" Mädchen vorbehalten bleibt:

    " Es wurde viel Sport gemacht, gewandert, Picknick. Und für viele Mädchen, wo ich gewohnt habe, war das außergewöhnlich. Das war Freiheitsdrang bis zum geht nicht mehr. Sie durften all das machen, was die Eltern nicht wollten.

    Es war wonnig. Ich war gerne jung. Der Zwang fiel ein bisschen ab. Und es wurde alles idealisiert. "

    Mit einer Mischung aus Abenteuerspielplatz und paramilitärischem Drill versuchen die Jugendorganisationen der NSDAP, die Kinder zu faszinieren. Vielfach mit Erfolg. Das Ziel der Rundfunksendung ist klar. Daniela Münkel, Geschichtsdozentin an der Uni Hannover:

    " Wichtig war, (...) dass man für die Mitgliedschaft im BDM werben wollte und möglichst viele Mädchen erfassen wollte dadurch. Dann war auch wichtig die Stoßrichtung des BDM deutlich zu machen, die Vermittlung von NS-Ideologie und Weltanschauung und die Geschlechterrollen. "

    Goebbels: " Der Rundfunk hat sich der Zielsetzung, die sich die Regierung der nationalen Revolution gestellt hat ein- und unterzuordnen. Die Weisungen dazu gibt die Regierung. Ich halte den Rundfunk für das allermodernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsmittel, was es überhaupt gibt. "

    Früh hat Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die enormen Möglichkeiten des neuen Mediums erkannt. Ein halbes Jahr vor der Machtergreifung hatte er in sein Tagebuch notiert:

    " Unsere Rundfunkorganisation schreitet mächtig vorwärts; es fehlt nur noch, dass wir die Sender benutzen können. "

    Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wird der Rundfunk zentralisiert. 1934 werden die regionalen Sendegesellschaften aufgelöst. Als Filialen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft geführt verlieren sie jegliche Selbständigkeit. Ab 1940 gibt es nur noch ein sogenanntes Gemeinschaftsprogramm. Der Ländereinfluss ist restlos beseitigt. Uneingeschränkt untersteht der Rundfunk dem Propagandaministerium. Goebbels setzt einen engen Mitarbeiter als Reichssendeleiter über alle Sender ein: Eugen Hadamovsky, gerade 29 Jahre alt:

    " Wir stehen dort in den Funkhäusern als die Bannerträger Adolf Hitlers mit dem Befehl, die nationalsozialistische Revolution zum 100 prozentigen Sieg zu führen, auch dort im Rundfunk. "

    Die Funkhäuser werden jetzt von Uniformen regiert. Auf den Dächern weht die Hakenkreuzfahne. Personell und inhaltlich wird der Rundfunk komplett auf Linie gebracht. Auch im Jugendfunk. Geschichtsdozentin Daniela Münkel hat sich im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts mit dem Rundfunk im Nationalsozialismus und dem Jugendfunk beschäftigt:

    " Man hat, was sehr einmalig ist, eine direkte Verquickung von Parteiorganisation und Rundfunk.

    Es gab ein Rundfunkamt der HJ und das stellt in der Regel das Personal für den Jugendfunk und an jedem Reichssender gab es seit 1934 ein Sachgebiet Jugendfunk. Und das wurde geleitet von einem höheren HJ-Führer. "

    Oft sind beide Ämter in einer Person vereint. Die Rundfunkabteilung der HJ bestimmt die inhaltlichen Schwerpunkte - nach den Richtlinien von HJ und BDM. Aber nicht nur das. Die Hitlerjugend rekrutiert und bildet unter dem Motto "Jugend sendet für die Jugend" auch den technischen und redaktionellen Nachwuchs selbst aus. 1934 wird eine HJ-Rundfunkschule in Göttingen eröffnet.

    "Der Rundfunk gehört uns", stellt Goebbels unmissverständlich nur zwei Monate nach der Machtergreifung klar. Keine andere Idee solle mehr zu Wort kommen, bestimmt der Propagandachef.

    " Das Volk mit dieser Gewissheit, mit dieser Gesinnung bis in die letzte Faser zu durchtränken. Die Menschen solange zu hämmern und zu feilen und zu meißeln, bis sie uns verfallen sind. Das ist eine der Hauptaufgaben des deutschen Rundfunks. "

    Seine Parole lautet: "Rundfunk in jedes deutsche Haus". Im Sommer 1933 kommt der "Volksempfänger" auf den Markt. 76 Reichsmark kostet er. Schon die Gerätebezeichnung weist ihn als ideologisches Produkt aus: VE 301 - das verweist auf den 30.1.1933, den Tag der nationalsozialistischen Machtübernahme. 1938 wird der "Deutsche Kleinempfänger" - kurz: DKE produziert. Er kostet nur noch 35 Reichsmark. Der Gerätekauf wird subventioniert. Die monatliche Rundfunkgebühr von zwei Reichsmark wird für einkommensschwache Haushalte auf Antrag erlassen. Offiziell will man dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Unterhaltung nachkommen. Ziel aber ist, sich die Höchstzahl an Hörern zu sichern. Von 1933 bis zum Kriegsbeginn verdreifacht sich die Zahl der Rundfunkempfänger. 1941 sind zwei Drittel der Haushalte mit Rundfunkgeräten versorgt. Rundfunkforscherin Münkel:

    " Der Rundfunk sollte primär dazu da sein, die Ideologie und Politik an die Bevölkerung zu bringen. Natürlich bestimmte Kampagnen zu unterstützen. Wie hieß es damals so schön 'Rundfunk soll erziehen, unterhalten und mobilisieren’. Und das jeweilige Rundfunkprogramm war demzufolge entlang der jeweiligen Propagandastrategie, die verfolgt wurde. So verwundert es nicht, dass die Grundprinzipien in der Programmgestaltung vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda vorgegeben wurden. "

    Als "Goebbels-Schnauze" bleibt der Volksempfänger in Erinnerung. Im Nationalsozialismus gilt Radiohören als nationale Pflicht. Aber was ist, wenn keiner hinhört, trotz bester Radioversorgung?

    " Man wollte die Bevölkerung erreichen und merkte ziemlich schnell, dass es nicht funktioniert, indem man nur politische Reden sendete, und bereits 1933 im Mai gab’s einen Erlass von Goebbels, dass nicht mehr als zwei politische Reden im Monat übertragen werden durften. Man setzte mehr auf Unterhaltung und konzipierte bunte Unterhaltungssendungen und versuchte auf die Art und Weise durch die Hintertür sozusagen die politischen Botschaften an den Mann und die Frau zu bringen. "

    Das zeigt sich deutlich in der Programmstruktur. Der Wortanteil wird systematisch reduziert. Der Musikanteil steigt von 1933 bis 1938 um 10 Punkte auf rund 70 Prozent. An die Stelle von klassischer und ernster Musik wird Unterhaltungsmusik gespielt. "Entspannung und Ablenkung" fordert Goebbels. Ungetrübt. Der Terror, die rassistische Ausgrenzung, auch der Krieg werden ausgeblendet. 1941 verlangt Goebbels, der Rundfunk müsse noch unterhaltsamer werden. Das gehört zum Konzept: Ohne eine individuelle Verantwortung übernehmen zu müssen, soll jeder seinen Einsatz und seine Leistungen steigern.

    Der "heitere Mensch", von dem immer häufiger im Zusammenhang mit dem Radio damals zu hören ist, muss als Teil eines ausgeklügelten Herrschaftskonzepts angesehen werden, so ein Forschungsergebnis zum Rundfunk im Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten inszenieren die "Volksgemeinschaft" in und durch Unterhaltungssendungen und verknüpfen so geschickt Unterhaltung und Politik. Der Rundfunk setzt sich gerade auch deswegen als Massenmedium durch.

    Der Rundfunk ist gerade 10 Jahre alt, als sich die Nationalsozialisten des Rundfunks bemächtigen. Erstaunlich schnell hatten sie begriffen, wie das neue Medium für ihre Zwecke erfolgreich einzusetzen ist. Während andernorts mit Gewalt operiert wird, soll der Rundfunk einlullen, betören. Das zeigt wie flexibel der Machtapparat funktionierte. In "Mein Kampf" hatte Adolf Hitler die Masse als Frau beschrieben, die es nicht zu überzeugen, sondern zu verführen gilt. Der Rundfunk präsentiert sich dafür als geeignetes Instrument. Aus einer zeitgenössischen Schrift:

    " Es ist ein bekannter Grundsatz der Werbung, sich an die Frau als den psychologisch leichter zu beeinflussenden Teil zu wenden. So wird auch der Rundfunk neben den unmittelbaren Wirkungen diese mittelbare Beeinflussung in Betracht ziehen. "

    Nach der Machtergreifung nimmt die Zahl der Frauensendungen zu. 1935 werden die meisten BDM-Sendungen ausgestrahlt. Die Mitgliedschaft gilt als freiwillig, noch. In Werbeanzeigen wird zugleich geworben und gedroht:

    " Wir basteln und spielen. Wir arbeiten an unseren Heimen. Wir senden im Rundfunk! Und die anderen? Fragt sie doch einmal, warum sie sich von der großen Kameradschaft unserer Jugendbewegung ausschließen? Glaubst du deutsches Mädel, die du noch nicht bei uns bist, nicht auch, dass jedes deutsche Mädel zu uns gehört, weil es bei uns lernt, sich der Gemeinschaft unterzuordnen, weil es lernt Kameradschaft zu halten und sich durch Sport und Fahrt körperlich zu ertüchtigen, damit es später einmal das leistet, was von ihr gefordert wird? Jungmädel! Du gehörst zu uns! "

    "Ausschließen", "Abseits stehen" wird zum geflügelten Wort in der NS-Zeit. Der "Bund deutscher Mädel" soll noch vor Elternhaus und Schule die Kinder erziehen. Die NS-Ideologie will man so fest in der nachkommenden Generation verankern. Von 10 bis 21Jahren greift der "Bund deutscher Mädel", unterteilt in "Jungmädel" und BDM. Das sind 11Jahre nationalsozialistische Schulung. 13 Jahrgänge sind davon betroffen. Hertha Reinking, BDM-Referentin von der Reichsjugendführung:
    " Das Wesen des BDM ist die bewusste Pflege von Kameradschaft und Sozialismus, von Körperstählung und nationalistischer Gedankenschulung. Der "Bund deutscher Mädel" hat es sich zur vornehmsten Pflicht gemacht, die gesamte weibliche Jugend zu erfassen, für ihre große Aufgabe vorzubereiten und Zukunft unseres Volkes zu sein. "

    Am 1. Dezember 1936 wird das Ziel, die gesamte deutsche Jugend zu erfassen, per Reichsgesetz geregelt. Die HJ wird zur Staatsjugend erklärt. Der BDM wird die Monopolorganisation für die weibliche Jugend. Ganze Jahrgänge der zehnjährigen Mädchen sollen jetzt zum BDM, wie es heißt, "eingezogen" werden. Vorausgesetzt, sie sind "arischer" Herkunft. Das Mädchenideal ist in dieser Zeit nicht eindeutig. Es wandelt sich mit den politischen Erfordernissen. Das zeigt sich auch in den Mädelsendungen. Wichtig ist, dass das Mädchen kein Eigenleben führt, sondern sich der Gemeinschaft unterordnet. So lernt das Mädchen früh, was es als Frau soll. Gertrud Scholtz-Klink, Reichsfrauenführerin der NS-Frauenschaft 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP:

    " Dass wir im Eingehen einer Ehe, bewusst Mütter der Nation werden, das heißt, dass wir alles was als Lebensnotwendigkeit dieser Nation vor dem deutschen Mann steht, verstehen, mittragen und somit nicht nur alle persönlichen, sondern vor allem in allen deutlichen Nöten, die bedingungslosen Gefährtinnen dieser Männer zu sein haben. "

    Nur diese eingeschränkte Rolle räumt der Nationalsozialismus der Frau ein. So, das sagt Hitler offen, nütze sie dem Staat am meisten. Sein Frauenbild kennt nur die Mutter, die Gebärende - ein Bild, das er mythisch verklärt und überzeichnet.

    " Ich glaube nicht, dass es eine Degradierung der Frau ist, wenn sie Mutter wird, sondern ich glaube, im Gegenteil, dass es ist ihre höchste Erhebung ist. Es gibt keinen größeren Adel für die Frau, als Mutter der Söhne und Töchter ihres Volkes zu sein. Das ist der höchste Adel, den sie sich erwerben kann. (...) Und wir sind glücklich zu wissen, dass die deutschen Frauen das auch verstehen. Ihr Instinkt hat ihnen das gesagt. "

    Dabei soll die nützliche Frau nach dem Willen der Herrscher nicht nur gesund und fit, sondern dabei auch noch schön sein. "Glaube und Schönheit" heißt konsequenterweise das 1938 eingerichtete BDM-Werk, das gezielt die 18- bis 21-Jährigen anspricht. Die Werbung verheißt:

    Die Jugend ist im festen Griff der Nationalsozialisten, die Vormachtstellung der HJ installiert. Adolf Hitler macht keinen Hehl daraus, was sein Ziel ist: der autoritäre Staat.

    " Wir sind eine Gefolgschaft und Gefolgschaft heißt folgen, Gefolgschaft heißt Folge leisten. Unser ganzes Volk müssen wir so erziehen. Dass immer, wenn einer bestimmt ist zu befehlen, die anderen gehorchen. "

    Das Führerprinzip wird auf allen Ebenen in Staat und Gesellschaft durchgesetzt, in HJ und BDM exerziert. In Schulungen werden die Jugendführer, wie Karola es nennt, "gedrillt". Karola wird dort zur Sportlehrerin ausgebildet und steigt auf zur Führerin bei "Glaube und Schönheit".

    " Das ist ein Machtgefühl. Da waren wir auf der Suhlbad Rafflenburg und da standen die Mädchen in Reih und Glied, schwarze Turnhöschen, weiße Hemdchen und da standen die, da waren so Punkte eingezeichnet, hintereinander standen die. Und ich stand dann auf so einer Erhöhung, eine Flüstertüte und dann 'Rumpf vorwärts, beug’. Die gingen runter die Köppe. Wenn ich nicht gesagt hätte, sie sollten wieder hochkommen, ständen die heute noch da (lacht). "

    Das Führerprinzip, das Unterhaltungsprinzip, die strikte Geschlechtertrennung, das Motto "Jugend für die Jugend", - all das spiegelt der BDM-Funk wider. Die Nationalsozialisten experimentieren dabei erfolgreich mit dem noch jungen Medium.

    " Interessant ist, dass das alles sehr ansprechend gemacht wurde in Form von Hörspielen, Hörfolgen und Reportagen und teilweise bestimmte Jugendgruppen an diesen Sendungen beteiligt wurden und sich einbringen konnten und mitmachen konnten. "

    Vor und nach dem BDM-Funk laufen Sendungen, die mystisch verklärend Deutschtum, Heldenverehrung, Soldatentum und idealisierend NS-Kunst, -Kultur und -Politik zum Inhalt haben. Wie geschickt sich die nationalsozialistische Propaganda des Rundfunks bedient, ist bis heute Gegenstand universitärer Lehre und Forschung. Eva Dohlus, Studentin an der Freiburger Universität, hat im Rahmen ihres Geschichtsstudiums eingehend die zeitgenössischen Rundfunk-Programmzeitschriften untersucht:

    " Ich fand’s ziemlich raffiniert (…) Wie diese Mädchensendungen konzipiert waren und wie sie platziert waren. Dass die Mädchen einen Höranreiz hatten, diese Sendungen zu hören und dann aber durch die nachfolgenden oder vorhergehenden Sendungen noch mit anderer Ideologie beeinflusst wurden. Dass war eigentlich, was ich am faszinierendsten fand. "

    Der BDM-Funk ist eindeutig Werbe-, Propaganda- und Schulungsinstrument. Massiv werden auch Kampagnen zur Berufslenkung ausgestrahlt - je nach politischer Lage sehr verschieden. Im April 1935 läuft im Reichssender Köln die Sendung "Was soll ich werden?". Der Schwerpunkt liegt noch auf hauswirtschaftlichen, pflegerischen und erzieherischen Berufen. Vor Kriegsausbruch heißt es im Deutschlandsender dann "Mädel und Studium". Geschichtsstudentin Dohlus:

    " Die Berufslenkung, die dieser Rundfunk gespielt hat. Dass den Mädchen zuerst erzählt wird, ihr sollt Mütter sein, ihr sollt auf eure Kinder aufpassen, ihr seid die Kameradinnen eures Mannes, bleibt zu Hause. Seid anständig. Und dann, danach geht in die Wirtschaft, geht in die Berufe, wir brauchen Ärztinnen, v.a. Dingen als der Krieg ausgebrochen ist. Diese Berechnung, die dieser Rundfunk hat, fand ich eigentlich ziemlich erschreckend. "

    Überraschend ist, dass kaum ein Zeitzeuge sich an den BDM-Funk erinnert. Auch Karola nicht. Dabei dokumentieren schriftliche Aufzeichnungen, dass an den sogenannten Heimabenden gemeinschaftlich der BDM-Funk gehört wurde. Mangels Geld hatten allerdings nur wenige BDM-Gruppen ein eigenes Radiogerät. Innerhalb der Wissenschaft läuft die Diskussion, wie weit die nationalsozialistische Propaganda im Rundfunk tatsächlich wirkte.

    " Ich habe daran geglaubt. Kann ich nicht anders sagen. Es war mir manches rätselhaft oder, dass ich sagte, das kannste mit’m Kopf nicht begreifen. Ich hab’s hingenommen. War der bequemste Weg. Ich wollte die Zeit nicht missen. Die gehört zu meiner Formung. Ich habe mir nur die schönen Seiten rausgepickt. "

    " Dieser BDM-Funk war ein integraler Bestandteil der weiblichen Jugendarbeit. (...) Und wenn man es so sieht, kann man es nicht mehr losgelöst sehen, sondern muss es im Zusammenhang sehen mit dem BDM. Und, dass der BDM erfolgreich war in seiner Jugendarbeit im Sinne der Nationalsozialisten, das ist relativ unbestritten. "

    " Vieles sieht man rückblickend anders als wenn man in der Zeit steht. Das ist ein klarer Fall. Dass das, was der Hitler zielstrebig gemacht hat, nicht richtig war, ist mir völlig klar. Das ist nicht nur so eine Dahersage. Den Krieg hätte er uns ersparen können. "