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Unterhaltungssendungen im NS-Rundfunk

Das Thema Rundfunkpropaganda im Dritten Reich ist in der politischen und wissenschaftlichen Literatur eigentlich bereits erschöpfend abgehandelt worden. Hans-Jörg Koch hat jetzt aber doch einen Aspekt aufgetan, mit dem sich andere Autoren bislang bestenfalls am Rande beschäftigt haben. Es geht um die bunten Unterhaltungssendungen im nationalsozialistischen Rundfunk und ihre Bedeutung für die damalige Propaganda-Maschinerie.

Von Christian Blees | 25.09.2006
    Im Mittelpunkt von Kochs Betrachtungen steht dabei das "Wunschkonzert", das dem Buch auch seinen Titel gibt. Diese Sendung war prominentes Vorbild für viele ähnliche Unterhaltungsprogramme, die ab 1936 im Radio durchweg traumhafte Einschaltquoten erreichten. Formate wie das "Wunschkonzert" wurden live vor Publikum produziert und präsentierten neben bekannter Schlager- und Operettenmusik auch Volkstümliches, Märsche sowie humoristische Einlagen. So harmlos derartige Sendungen vordergründig auch daherkamen: Propagandaminister Joseph Goebbels wusste ganz genau, dass sich mit derlei seichter Unterhaltung sehr wohl die Stimmung im Lande beeinflussen ließ - vor allem auch zu Kriegszeiten. Eine Tatsache, die er bei manch offizieller Rede allerdings lieber in den Deckmantel staatlicher Fürsorge hüllte.

    "In einer Zeit, in der der gesamten Nation so schwere Lasten und Sorgen aufgebürdet werden wie heute, ist auch die Unterhaltung staatspolitisch von besonderem Wert. Sie steht deshalb auch nicht am Rande des öffentlichen Geschehens und kann sich nicht den Aufgabenstellungen der politischen Führung entziehen. Im Gegenteil: Eine nationale Führung, die Anspruch auf diesen Ehrentitel erheben will, muss es sich zur Pflicht machen, das Volk nicht nur in seinen Sorgen, sondern auch in seinen Freuden, nicht nur in seinen Belastungen, sondern auch in seinen Entspannungen liebevoll und hilfsbereit zu begleiten."

    Hans-Jörg Koch ruft zu Beginn seines Buches noch einmal kurz in Erinnerung, dass Musik im Nationalsozialismus zunächst vor allem zum propagandistischen Standardrepertoire öffentlicher Veranstaltungen gehörte. Mit zunehmender Verbreitung des Rundfunks reichte ihre politische Funktion aber auch immer mehr in den häuslichen und privaten Bereich hinein. Wobei der Propagandaminister die deutschen Wohnzimmer natürlich nicht nur mit zackigen Militärmärschen, grellen Fanfaren oder bombastischen Wagner-Opern beschallen lassen konnte. Nach Feierabend und am Wochenende wollten und sollten sich die Arbeiter und Familien lieber bei leichter akustischer Kost erholen und ablenken. Dazu eignete sich am besten leichte Schlagermusik mit ihren oft eskapistischen Texten. So sorgte Joseph Goebbels dafür, dass die von ihm erwähnte "liebevolle Begleitung" sich schon bald nach der Machtübernahme auch im Unterhaltungsprogramm des Radios widerspiegelte. Hans-Jörg Koch beschreibt, wie die braune Politik nach und nach immer stärker auf die Musikfarbe der täglichen Sendungen abfärbte - und welcher zentrale Gedanke dahinter steckte.

    Musik sollte künftig alle Menschen ansprechen, das "arbeitende Volk" zusammenführen, also ein Gemeinschaftserlebnis hervorbringen, das bislang ohne Tradition war. Musik "für alle" im Rundfunkprogramm sollte ausgebaut werden zu Lasten der Übertragung politischer Reden und Kundgebungen, nach und nach auch zu Lasten der ernsten Musik. In der Weimarer Republik noch ein Erziehungsinstrument mit Bildungsauftrag, sollte nun, nach dem erklärten Willen der NS-Führung, der Rundfunk die Rolle übernehmen, die bis ins 18. Jahrhundert die Kirche hatte.

    Die seichten Schlager im Radio dienten also nicht nur zur Entspannung, sondern waren auch dazu da, von den Bürgern gemeinsam nachgesungen zu werden - so, wie bis dahin die Volks- und Kirchenlieder. Hans-Jörg Koch zitiert in diesem Zusammenhang die Journalistin Carola Stern, die einmal konstatierte, das Dritte Reich sei "so etwas wie eine Singediktatur" gewesen. Koch weiter:

    Mit den Schlagern wurde massenwirksam ein Teil des nationalsozialistischen Gedankengutes in gefühlvolle Texte verpackt. Zu den Grundmotiven der NS-Ideologie, die Eingang in die Lieder fanden, gehörten die Volks-Gemeinschaft, der Nationalismus, das Führerprinzip, die Propagierung eines Feindbildes, der Militarismus und die Rolle der Frau. Waren vor allem die Soldatenlieder geeignet, diese Ideologie zu verbreiten, so konnten die Schlager das Bewusstsein für die Liebe und Treue zur Heimat schärfen.

    Die Schlager waren aber nicht nur dazu da, das Gefühl der "nationalsozialistischen Volksgemeinschaft" und die Heimatliebe zu stärken. Die heiteren Texte und Melodien sollten es den Hörern auch ermöglichen, den vor allem zu Kriegszeiten immer größer werdenden Alltagsproblemen gedanklich zu entfliehen. Dabei kam dem "Wunschkonzert" als dem Flaggschiff der nationalsozialistischen Rundfunkunterhaltung eine ganz besondere Bedeutung zu. Ursprünglich war es als "Wunschkonzert für das Winterhilfswerk" aus der Taufe gehoben und pro Winterhalbjahr nur vier Mal ausgestrahlt worden. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs trug es den Titel "Wunschkonzert für die Wehrmacht" und war zeitweise zweimal pro Woche zu hören.

    "Hier ist der großdeutsche Rundfunk. Liebe Soldaten! Liebe Hörer in der Heimat, liebe Freunde jenseits der Grenzen! Wir beginnen das achte Wunschkonzert für die Wehrmacht mit "Des großen Kurfürsten Reitermarsch"."
    (Musik)

    Die dreistündige Abendsendung wurde live aus dem Berliner Haus des Rundfunks ausgestrahlt und gestattete solchen Hörern, die Geld- oder Sachspenden leisteten, sich mit musikalischen Wünschen an dem bunten Unterhaltungsprogramm zu beteiligen. Propagandaminister Goebbels persönlich setzte sich dafür ein, dass bei den "Wunschkonzerten" auf der Bühne so viele Unterhaltungsstars versammelt waren, wie möglich. Auf diese Weise kamen jeweils Unmengen an Lebensmittel- und Sachspenden zusammen, die für die zunehmend unter den Kriegsfolgen leidende Bevölkerung immer wichtiger wurden. Der nationalsozialistischen Führung wurde aber auch klar, dass sich die propagandistische Wirkung der "Wunschkonzerte" keinesfalls nur auf die einheimische Bevölkerung beschränkte. Hans-Jörg Koch zitiert in seinem Buch den Brief eines in Schweden lebenden deutschen Hörers.

    Auf der Suche nach deutschen Nachrichten gerieten wir zum ersten Mal in das Wunschkonzert. Seit dieser Zeit sind wir ständige Hörer dieser Sendereihe. Wir brauchen keine politischen Nachrichten mehr, denn es gibt nichts, was uns ein anschaulicheres Bild von der Stimmung in Deutschland geben könnte. Es ist ein ewig gleichbleibender, unauslöschlicher Eindruck: Ein großes Volk ist zu einer einzigen Familie geworden. Es sind Brüder und Schwestern, die sich herzlich lieben und die in Not und Gefahr füreinander einstehen.

    Für die Daheimgebliebenen wie für die Frontsoldaten wiederum - die auf der ganzen Welt ebenfalls den "Wunschkonzert"-Übertragungen lauschten - war die Sendung manchmal sogar die einzige Möglichkeit, kurze Grußbotschaften an die Angehörigen zu übermitteln - oder auch private Neuigkeiten. Die wurden jeweils von Moderator Heinz Goedecke vor Publikum verlesen.

    "Und nun, ihr Väter, gebet acht: Was euch im Frühling Spaß gemacht, zeigt sich in seinen Folgen schon mit diesem wunderbaren Ton. (Babygeschrei, Gelächter des Publikums). Söhne für die Soldaten Jürgen Nobili, Guido Hartmann, Martin-Max Kohlhaas, Kurt-Werner Gürzgen ... "

    Hans-Jörg Koch hat mit seinem Buch über die "Wunschkonzerte" eine interessante Studie zu einem bislang eher vernachlässigten Aspekt der Massenbeeinflussung im Nationalsozialismus vorgelegt. Und trotzdem bleibt nach der Lektüre ein zwiespältiger Eindruck. Zu oft beschränkt sich Koch darauf, Zitate aus historischen Quellen sowie der Sekundärliteratur lediglich aneinanderzureihen, ohne daraus eigene, tiefergehende politische oder soziologische Thesen abzuleiten. Hinzu kommt, dass das Thema "Wunschkonzert" aufgrund der anscheinend beschränkten Materiallage für ein ganzes Buch wohl einfach nicht genug hergibt. Dessen war sich offenbar auch der Autor bewusst, und so hat er seine Abhandlung um - durchaus sinnvolle - Kapitel zum nationalsozialistischen Rundfunk und zur Schlagermusik jener Zeit ergänzt. Ärgerlich wird es aber, wenn er das Manuskript dadurch künstlich aufzublähen versucht, indem er sich auf rund 20 Seiten zeitgenössischen Schlagertexten widmet. Die hier von ihm vorgelegten, so genannten Textanalysen wirken in ihrer geradezu erschreckenden Banalität eher wie Auszüge aus einem Deutschaufsatz der gymnasialen Oberstufe. Kritisieren muss man an dieser Stelle aber auch den Verlag, denn spätestens an dieser Stelle hätte ein gewissenhafter Lektor einschreiten müssen. Weniger wäre in diesem Falle zweifellos mehr gewesen. Auch so manch andere stilistische Aussetzer machen die Lektüre - trotz des spannenden Themas - nicht gerade zum Vergnügen.

    Christian Blees über Hans Jörg Koch: Wunschkonzert. Unterhaltungsmusik und Propaganda im Rundfunk des Dritten Reiches. Im ARES Verlag Graz, 254 Seiten mit zahlreichen Abbildungen für 19 Euro und 90 Cent.