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Unvollendete Unabhängigkeit

Am 6. August 1962 wurde die Karibikinsel offiziell von den Briten in die Unabhängigkeit entlassen. Für das britische Empire war die einst reichste Kolonie ohnehin zum Klotz am Bein geworden. Die Queen hängt jedoch noch immer in allen öffentlichen Gebäuden.

Von Monika Köpcke | 06.08.2012
    Drei Minuten vor Mitternacht beginnt die Zeremonie: Im Nationalstadion von Kingston wird der Union Jack, die britische Fahne, eingerollt und anschließend, pünktlich zum Anbruch des neuen Tages, zum ersten Mal die grün-schwarze Flagge mit dem gelben Kreuz gehisst. Es ist der 6. August 1962. Jamaika ist von nun an unabhängig.

    Jamaika, ein Zwergstaat: 235 Kilometer lang und 80 Kilometer breit, eine typische Karibikinsel: türkisfarbenes Meer, weiße Sandstrände, tropische Vegetation und - eine koloniale Vergangenheit. Der jamaikanische Historiker Patrick Bryan:

    ""Die Unabhängigkeit 1962 war ja das Ende eines langen, allmählichen Prozesses. Ich sehe 1962 nicht als großen Wendepunkt. Darauf hatten wir uns doch so lange vorbereitet. Als der große Tag dann kam, änderte sich für die meisten nichts. Gut, wir hatten eine Hymne, eine Fahne, aber macht das einen Staat aus? Nein, viele hatten einfach Angst vor der Zukunft, auch vor Gewalt.”"

    1655 eroberten die Briten die von den Spaniern beherrschte Insel. Wegen der starken Nachfrage nach Zucker erlebte die Insel einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg. Im 18. Jahrhundert galt sie als die reichste britische Kolonie. Jamaika wurde ein Hauptumschlagplatz für schwarzafrikanische Sklaven. 1834 wurde die Sklaverei zwar abgeschafft, aber an den desolaten Lebensumständen änderte sich nichts: Als Besitzlose rackerten sich die Jamaikaner weiterhin für einen Hungerlohn auf den Plantagen der britischen Großgrundbesitzer ab.

    Im Laufe des 19. Jahrhunderts begann man in Europa, Zucker aus der Zuckerrübe zu gewinnen. Jamaikas Exporte gingen stark zurück, es herrschte hohe Arbeitslosigkeit. Immer wieder kam es zu schweren Unruhen und Massenstreiks, die britischen Kolonialherren bangten um ihre Sicherheit. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts formierte sich eine Bewegung, die mehr Unabhängigkeit von Großbritannien forderte. Den Briten war das gar nicht so unrecht: Aus der ehemaligen Goldgrube war inzwischen ein kostspieliger Klotz am Bein geworden. Als elegante Lösung ohne großen Gesichtsverlust boten die Briten Jamaika an, gemeinsam mit den anderen englischsprachigen Inseln eine westindische Föderation zu bilden, die von Großbritannien dann schrittweise in die Unabhängigkeit entlassen werden würde. 1958 wurde diese Föderation mit Regierungssitz in Trinidad ins Leben gerufen. Nach nur drei Jahren verließ Jamaika die westindische Föderation. Nun blieb Großbritannien nichts anderes übrig, als der Insel die Unabhängigkeit anzubieten.

    Jamaika ist zwar ein politisch selbstständiger Staat, aber innerhalb des Commonwealth of Nations. Auf dem Papier ist also bis heute die britische Queen die oberste Jamaikanerin, deren Porträt in allen öffentlichen Gebäuden hängt.

    ""We need to complete the circle of independence.”"

    ‘Wir müssen den Weg der Unabhängigkeit endlich vollenden’, so Portia Simpson Miller, seit Dezember 2011 neue jamaikanische Regierungschefin. Das Commonwealth verlassen? Kritiker werfen der Politikerin vor, mit solch einer symbolischen Aktion von den wahren Problemen der Insel ablenken zu wollen. An der enormen Staatsverschuldung, der ausufernden Kriminalität und der hohen Arbeitslosigkeit würde ein Austritt nichts ändern.
    Über eine endgültige Trennung von der Krone müsste letztendlich das Volk abstimmen - mit ungewissem Ausgang, wie Umfragen zeigen. Denn ein bisschen stolz sind viele Jamaikaner schon auf den Glanz des britischen Königshauses.