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Uralte Melodien aus Armenien

Die Melodien dieser neuen Produktion von Jordi Savall haben zugleich etwas Trauriges wie Tröstendes. Savall widmete sie seiner Frau und musikalischen Weggefährtin Montserrat Figueras, die im November 2011 verstarb.

Von Christiane Lehnigk | 23.09.2012
    Heute stellen wir Ihnen die neueste CD von Jordi Savall und seinem Ensemble Hespèrion XXI vor. Sie erschien jetzt in dieser Woche beim eigenen spanischen Label Alia Vox unter dem Titel ‚Esprit d’Arménie’, ‚Der Geist Armeniens’. Als armenische Gäste spielen bei der rein instrumentalen Produktion folgende Musiker mit: Georgi Minassyan und Haïg Sarikouyoumdjian – Duduk, Gaguik Mouradian – Kamancheh und Armen Badalyan – Dap.
    Im Studio begrüßt Sie dazu Christiane Lehnigk.

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    Traditionell
    Hov arek
    Aus der Sammlung von Komitas
    CD 16 (Ausschnitt) "

    Es ist eine sehr emotionale Einspielung geworden, diese CD mit alter und traditioneller Musik aus Armenien. Dabei kommen hier mehrere Faktoren zusammen: Da ist zum einen der menschliche Aspekt der wechselvollen und tragischen Geschichte des erst seit 1990 wieder unabhängigen Landes und zum anderen der Klang der uralten melancholischen Melodien, die zugleich etwas Trauriges wie Tröstendes haben. Jordi Savall widmete darüber hinaus diese Produktion dem Gedächtnis der Sängerin Montserrat Figueras, seiner Frau und musikalischen Weggefährtin, die im November des vorigen Jahres verstarb. Die Klänge der armenischen Musik aus einer ‚anderen Welt von erschütternder Schönheit und Geistigkeit’ hätten ihm Trost spenden können in dieser Zeit des Abschieds. Daher ist das Projekt auch eine persönliche Hommage Savalls an ein Volk, das in seiner Geschichte unendlich viel Leid erfahren habe und trotz seines Schmerzes eine Musik voller Liebe hervorbrachte, die Frieden und Harmonie verströme. Und geehrt werden sollen hiermit auch die Musiker, die mit voller Hingabe ihr Leben der Erhaltung des lebendigen Gedächtnisses ihrer alten Kultur widmen.

    " Traditionell
    Hey djan (Liebeslied)
    aus der Sammlung von D.Ghazarian
    CD 15
    Duduk I
    Duduk II "Der Duduk ist nicht nur ein Musikinstrument, der Duduk ist Seele und Gefühl, … es ist das einzige Instrument, das mich zum Weinen bringen kann…", das sagte der renommierte Komponist Aram Khatchaturyan über den Duduk, das Nationalinstrument Armeniens mit dem weichen tiefen Klang, das, wegen seiner vokalen Anmutung wie kaum ein anderes Instrument zu berühren vermag. Für Jordi Savall ist der Klang des Duduk ein "poetisches Universum", ein "sinnlicher und zugleich geistiger Trost, der direkt in unsere Seele dringt, ihr wohl tut und in der Lage ist, alle Wunden und jeden Kummer zu heilen".

    Verbreitet ist das archaische Holzblatt-Instrument aus Aprikosenholz mit dem großen Doppel-Rohrblatt vom Balkan bis nach Ostasien, wobei die Ursprünge bis in die vorchristliche Zeit zurückgehen. Durch die Zirkular-Atmung scheinen die klagenden Melodien ohne zeitliche Begrenzung zu sein, archaisch und modern zugleich. Der Duduk ist untrennbar verbunden mit dem sozialen Leben und der kulturellen Identität Armeniens, einer der ältesten christlichen Zivilisationen des Orients, das sich ursprünglich im Osten zwischen Anatolien, dem Kaukasus und Kurdistan, zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer erstreckte.

    Und so heißt es in der Genesis, im Alten Testament: "Und Gott ließ seinen Atem über die Erde fahren, da sanken die Wasser…Und im siebten Monat, am 17. Tag des Monats, ließ sich die Arche auf dem Gebirge Ararat nieder." Armenien ist die gebirgige Gegend, das alte Urartäische Reich, hier trocknete der göttliche Atem die Wasser der Sintflut und eine neue Schöpfung konnte entstehen. Der Mythos von der Sintflut ist bereits auf mesopotamischen Schrifttafeln festgehalten und er hat bis heute im Bewusstsein vieler Armenier überlebt. Die 3000-jährige Geschichte Armeniens ist geprägt von Katastrophen, Invasionen, Kriegen und Massakern, denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung zum Opfer fiel, den Verlust großer Gebiete zur Folge hatte und viele Armenier ins Exil trieb. Der Genozid der türkischen Militärs des osmanischen Reiches von 1915, der noch nicht überall so genannt werden darf, hatte es fast geschafft, ein ganzes Volk auszulöschen. Dennoch hat sich Armenien, so Savall, "die wesentlichen Züge seiner nationalen Eigenheiten all die Jahrhunderte hindurch bewahren können." "Unser bescheidener Wunsch ist es", so schreibt Savall im umfangreichen Booklet, "mit dem durch die Musikstücke dieser Einspielung vermittelten Gefühl ein wenig dafür zu tun, dass die Geschichte Armeniens lebendig bleibt."T.Tchukhadjian
    Menk Kadj tohmi
    CD 01
    Hesperion XXI "


    Die Musik, die Jordi Savall hier für diese CD mit Musik aus Armenien zusammengestellt hat, stammt zum größten Teil aus dem ‚Thesaurus’ armenischer Musik, der von dem Musikologen Nigoghos Tamizian 1982 in Jerewan herausgegeben wurde, hinzu kamen noch Kompositionen für die Kamancha, das kleine Lyra-ähnliche Streichinstrument und für zwei Duduks. Im Wesentlichen ist das monodische Musik mit der Verwendung eines Borduns, die ursprünglich nur mündlich überliefert wurde und auf den Kirchentonarten beruhte. Erst spät, im 19. und 20. Jahrhundert haben Musiker die Melodien dann auch harmonisiert und Komponisten entdeckten die Volksmusik als Inspirationsquelle wieder. Zu den ersten Feldforschern armenischer Musik gehörte der Geistliche Komitas, aus dessen Fundus auch Stücke dieser Produktion stammen.

    Neben Jordi Savall, der verschiedene Streichinstrumente spielt, sind bei dieser Aufnahme noch dabei: Viva Biancaluna Biffi – Fidel, Dani Espasa – Orgel, David Mayoral und Marc Clos – Tambour sowie Pedro Esteban – Perkussion. Diese CD ist ein weiteres Zeugnis von Jordi Savalls künstlerischem und menschlichem Engagement sowie seinem scheinbar unerschöpflichen Repertoire an Themen. Es gibt keine vergleichbaren CD-Veröffentlichungen, die mit solcher Perfektion in Spiel und Klang, die solche umfangreichen, wissenschaftlich fundierten Begleittexte mit vielen interessanten Illustrationen aufweisen können. Diese bibliophile Aufmachung ist das genaue Gegenteil der sonstigen Trend-Entwicklung auf dem Klassikmarkt, mit einem Schwerpunkt auf Stars und Sternchen und Booklets, die man sich, wenn überhaupt im eigentlichen Sinne vorhanden, im Internet runterladen kann. Und dennoch haben diese Produktionen offensichtlich einen großen Käuferstamm. Dass es Savall auch immer um den menschlichen Aspekt seiner Musik und der jeweiligen Musiker geht, ist dabei vorausgesetzt, wobei es, wie hier angesichts der realen Wirklichkeit des Landes Armenien fast ein wenig zu romantisierend wirkt.

    " Traditionell
    Aus der Sammlung von Komitas
    Alagyeaz & Khnki tsar
    CD 18 Ausschnitt"


    Die Neue Platte im Deutschlandfunk. Wir stellten Ihnen heute die neueste CD von Jordi Savall und seinem Ensemble Hespèrion XXI vor, die jetzt bei Alia Vox unter dem Titel ‚Esprit d’Arménie’, ‚Der Geist Armeniens’ beim spanischen Label Alia Vox erschien.
    Im Studio verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Christiane Lehnigk.

    Infos:
    ‚Esprit d’Arménie’ (Armenian Spirit)
    Georgi Minassyan
    Haïg Sarikouyoumdjian
    Gaguik Mouradian, Armen Badalyan
    Hespèrion XXI
    Jordi Savall

    Alia Vox AVSA 9892 (SACD/DSD)