Doris Schäfer-Noske: Über 15 Jahre lang ist über dieses Projekt gestritten worden, nun ist heute der Startschuss für Stuttgart 21 gefallen. Mehr als vier Milliarden Euro stecken in diesem Bauprojekt, mit dem der Bund, das Land Baden-Württemberg und die Bahn den bestehenden Bahnhof umrüsten wollen, damit die Züge künftig durchfahren können und nicht mehr rückwärts wieder hinausfahren müssen. Stuttgart wird also dann keinen Kopfbahnhof mehr haben, der Bahnhof wird unter die Erde verlegt. Dazu kommt noch eine Neubaustrecke zur Schnellbahntrasse nach Ulm. Und in neun Jahren sollen die ersten Züge auf der neuen Strecke rollen. Frage an Amber Sayah, Architekturkritikerin der "Stuttgarter Zeitung": Frau Sayah, Sie sind eine Gegnerin von Stuttgart 21, warum?
Amber Sayah: Ich glaube, dass dieses Baudenkmal Stuttgarter Bahnhof es wert gewesen wäre, erhalten zu werden, und zwar vollständig erhalten zu werden. Es sollen ja jetzt im Zuge dieser Neubaumaßnahmen die Seitenflügel fallen, und das bedeutet wirklich eine Verstümmelung für dieses – meiner Meinung nach und nicht nur meiner Meinung nach - Meisterwerk der Moderne.
Schäfer-Noske: Heute ist aber nun der Startschuss gefallen, lassen Sie uns also daher auch in die Zukunft blicken. Berlin hatte ja nach der Wende auch die Chance, sich da eine Neue Mitte zu bauen, in London und in Paris entstehen ständig neue Bauten – darf sich denn Stuttgart im 21. Jahrhundert nicht auch neue architektonische Attraktionen schaffen?
Sayah: Natürlich darf es das, aber doch nicht auf Kosten des baulichen Erbes und vor allem eines so wertvollen baulichen Erbes. Das wäre möglich gewesen, das eine mit den anderen zu verbinden.
Schäfer-Noske: Sie wären ja für eine Sanierung gewesen, und dann wäre natürlich aber auch dieser Platz nicht entstanden. Durch diese Tieferlegung des Bahnhofs wird ja quasi ein neuer Stadtteil entstehen, mit Park, Bibliothek, mit Bürohäusern, und es wird auch neue Verbindungen geben, die früher durch die Gleise nicht da waren. Das ist doch auch eine Chance?
Sayah: Es ist eine Chance, das stimmt. Was diesen Platz, den Sie gerade erwähnten, betrifft, kann man seine Zweifel haben, ob das wirklich ein Platz werden wird, ein städtischer Platz, denn es handelt sich in Wahrheit um das große Bahnhofsdach des unterirdischen Durchgangsbahnhofs. Dieses Dach wird sich in Form einer relativ hohen Wölbung quer durch die heutigen Schlossgartenanlagen ziehen. Und auch dieser Schlossgarten ist eigentlich ein geschütztes Kulturdenkmal. Das bedeutet auch für den vorhandenen Park eine Zerstörung. Es werden fast 300 zum Teil sehr alte Bäume dafür gefällt werden. Und insofern kann man sich wirklich fragen, ob das, was da neu entsteht, so viel besser ist als das, was wir heute schon haben. Was diesen neuen Stadtteil angeht, auch da muss man ein bisschen die Euphorie dämpfen, denn in Stuttgart gibt es schon erste Vorboten dieses neuen Stadtteils, die verheißen nichts Gutes. Das, was jetzt hinter dem Bahnhof schon entstanden ist auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände, ist eine reine Bankenmonokultur. Es wird dort gerade gebaut, die neue Stadtbücherei, die hat so ein bisschen für mich Alibifunktion, damit mal auch was anderes dahin kommt. Und ansonsten kann ich nicht erkennen bei der Stadt bisher, dass da großer Ehrgeiz besteht, auch wirklich eine moderne zukunftsgerichtete und vor allem nachhaltige Stadtplanung durchzuziehen. Ich fürchte ein bisschen, dass die Investoren wie bisher auch das Sagen haben werden.
Schäfer-Noske: Was müsste denn nun aus Ihrer Sicht städtebaulich passieren, um da jetzt das Beste draus zu machen?
Sayah: Es wird jetzt so kommen, wie es nun mal geplant ist, mit einer inzwischen auch relativ veralteten Planung, das Projekt ist über 15 Jahre alt, der Bahnhofsentwurf von Christoph Ingenhoven, einem Düsseldorfer Architekten. Ich hätte mir vorstellen können, man erhält den Bahnhof, so wie er heute ist, als wirklich wichtiges und meisterliches Kulturdenkmal, Baudenkmal der Moderne, und modernisiert die Strecke – das wäre gegangen. Andere Städte – es gibt genügend Beispiele aus Europa, Madrid mit dem Atocha-Bahnhof oder Paris mit der Gare du Nord oder London mit St. Pancras – haben ihre Bahnhöfe modernisiert, ihre teilweise Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts, und sie haben sie als Baudenkmal erhalten. Das geht also, wenn man es will.
Schäfer-Noske: Das war Amber Sayah, Architekturkritikerin der "Stuttgarter Zeitung" über das Projekt Stuttgart21, das heute gestartet ist.
Amber Sayah: Ich glaube, dass dieses Baudenkmal Stuttgarter Bahnhof es wert gewesen wäre, erhalten zu werden, und zwar vollständig erhalten zu werden. Es sollen ja jetzt im Zuge dieser Neubaumaßnahmen die Seitenflügel fallen, und das bedeutet wirklich eine Verstümmelung für dieses – meiner Meinung nach und nicht nur meiner Meinung nach - Meisterwerk der Moderne.
Schäfer-Noske: Heute ist aber nun der Startschuss gefallen, lassen Sie uns also daher auch in die Zukunft blicken. Berlin hatte ja nach der Wende auch die Chance, sich da eine Neue Mitte zu bauen, in London und in Paris entstehen ständig neue Bauten – darf sich denn Stuttgart im 21. Jahrhundert nicht auch neue architektonische Attraktionen schaffen?
Sayah: Natürlich darf es das, aber doch nicht auf Kosten des baulichen Erbes und vor allem eines so wertvollen baulichen Erbes. Das wäre möglich gewesen, das eine mit den anderen zu verbinden.
Schäfer-Noske: Sie wären ja für eine Sanierung gewesen, und dann wäre natürlich aber auch dieser Platz nicht entstanden. Durch diese Tieferlegung des Bahnhofs wird ja quasi ein neuer Stadtteil entstehen, mit Park, Bibliothek, mit Bürohäusern, und es wird auch neue Verbindungen geben, die früher durch die Gleise nicht da waren. Das ist doch auch eine Chance?
Sayah: Es ist eine Chance, das stimmt. Was diesen Platz, den Sie gerade erwähnten, betrifft, kann man seine Zweifel haben, ob das wirklich ein Platz werden wird, ein städtischer Platz, denn es handelt sich in Wahrheit um das große Bahnhofsdach des unterirdischen Durchgangsbahnhofs. Dieses Dach wird sich in Form einer relativ hohen Wölbung quer durch die heutigen Schlossgartenanlagen ziehen. Und auch dieser Schlossgarten ist eigentlich ein geschütztes Kulturdenkmal. Das bedeutet auch für den vorhandenen Park eine Zerstörung. Es werden fast 300 zum Teil sehr alte Bäume dafür gefällt werden. Und insofern kann man sich wirklich fragen, ob das, was da neu entsteht, so viel besser ist als das, was wir heute schon haben. Was diesen neuen Stadtteil angeht, auch da muss man ein bisschen die Euphorie dämpfen, denn in Stuttgart gibt es schon erste Vorboten dieses neuen Stadtteils, die verheißen nichts Gutes. Das, was jetzt hinter dem Bahnhof schon entstanden ist auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände, ist eine reine Bankenmonokultur. Es wird dort gerade gebaut, die neue Stadtbücherei, die hat so ein bisschen für mich Alibifunktion, damit mal auch was anderes dahin kommt. Und ansonsten kann ich nicht erkennen bei der Stadt bisher, dass da großer Ehrgeiz besteht, auch wirklich eine moderne zukunftsgerichtete und vor allem nachhaltige Stadtplanung durchzuziehen. Ich fürchte ein bisschen, dass die Investoren wie bisher auch das Sagen haben werden.
Schäfer-Noske: Was müsste denn nun aus Ihrer Sicht städtebaulich passieren, um da jetzt das Beste draus zu machen?
Sayah: Es wird jetzt so kommen, wie es nun mal geplant ist, mit einer inzwischen auch relativ veralteten Planung, das Projekt ist über 15 Jahre alt, der Bahnhofsentwurf von Christoph Ingenhoven, einem Düsseldorfer Architekten. Ich hätte mir vorstellen können, man erhält den Bahnhof, so wie er heute ist, als wirklich wichtiges und meisterliches Kulturdenkmal, Baudenkmal der Moderne, und modernisiert die Strecke – das wäre gegangen. Andere Städte – es gibt genügend Beispiele aus Europa, Madrid mit dem Atocha-Bahnhof oder Paris mit der Gare du Nord oder London mit St. Pancras – haben ihre Bahnhöfe modernisiert, ihre teilweise Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts, und sie haben sie als Baudenkmal erhalten. Das geht also, wenn man es will.
Schäfer-Noske: Das war Amber Sayah, Architekturkritikerin der "Stuttgarter Zeitung" über das Projekt Stuttgart21, das heute gestartet ist.