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Vertriebene mit brauner Vergangenheit

Als Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), 2007 behauptete, im Bundesvorstand des BdV seien von je her mehr Widerstandskämpfer als Anhänger des Nationalsozialismus gewesen, hatte sie unrecht. Mehr als unrecht, wie eine von ihr selbst und dem Innenministerium in Auftrag gegebene Studie des renommierten Instituts für Zeitgeschichte nun herausgestellt hat.

Von Frank Hessenland | 20.11.2012
    11 von 13 Mitgliedern des Gründungspräsidiums des BdV stuft Historiker Michael Schwartz als aktive Nationalsozialisten oder "Träger des Regimes" ein.

    "Es kommt eben in den 50er-Jahren dazu, dass allzu viele ehemalige Nationalsozialisten in solchen Führungen sitzen. Man wird feststellen müssen für die 50er- und 60er-Jahre dominieren aus Gründen, die noch zu klären wären, ehemalige Nationalsozialisten."

    Akribisch fasste Michael Schwartz Material aus den Archiven des alten Vertriebenenministeriums, des Bundesvorstandes der Vertriebenen selbst, neu zugängliche Archive aus Weißrussland und der Ukraine sowie eine Reihe von persönlichen Nachlässen zusammen. Auf 600 Seiten stellte er nicht nur heraus, dass Präsidiumsmitglied Rudolf Wollner, der die Funktion bis 1996 innehatte, zuvor in der "Leibstandarte Adolf Hitler" gedient hatte und möglicherweise sowjetische Kriegsgefangene auf bestialische Weise hingerichtet haben soll. Zu lesen ist auch von Alfred Gille, der als Gebietsverwalter in der Ukraine für die Selektion von Zwangsarbeitern verantwortlich war und aktive Hungerpolitik betrieben hatte. Weitere Rechercheergebnisse erzählen von Verstrickungen späterer BdV-Präsiden in Exekutionen polnischer Bildungseliten und vom Partisanenkampf als besonders unschönes Kapitel in Hitlers Vernichtungsfeldzug im Osten.

    "Deren Militäreinsätze, teilweise in der Waffen-SS, teilweise in der Wehrmacht in bestimmten Orten, wo eine ganz bestimmte, besonders brutale Form der Partisanenbekämpfung gegen die Zivilbevölkerung angewandt wurde, werfen sehr ernsthafte Fragen hinsichtlich einer solchen persönlichen Beteiligung auf. Das wären, was die militärischen Einsätze angeht insbesondere drei Personen."

    Doch Schwartz' Studie ist keine Anklageschrift, sondern eine biografische Untersuchung. Der Historiker versucht den Lebensweg der 13 Männer nachzuvollziehen und herauszufinden, wann deren nationale Gesinnung umschlug in die Bereitschaft auch verbrecherische Handlungen zu begehen, wann ihre "Karriere" im Dritten Reich Fahrt aufnahm und ob ihre NS-Vergangenheit später die Politik des Bunds der Vertriebenen beeinflusst hatte. Zumindest Letzteres beantwortet Schwartz negativ:

    " Die damalige SED-Propaganda hat ja im Grunde so eine These aufgemacht: früher Nazis, heute Nazis. Diese platte Gleichsetzung - damals, heute auch -, die funktioniert, glaube ich, nicht."

    Ob die Studie "Funktionäre mit Vergangenheit" aber die letzte über den BdV gewesen ist, darf bei den herausgekommenen Ergebnissen bezweifelt werden. Schwartz hatte nur die Biografien der Präsidiumsmitglieder beleuchtet, die Lebensläufe des Führungspersonals auf Landes- oder lokaler Ebene verspricht weiteres Forschungsmaterial, vor allem was die Frage angeht, wieso der BdV bei dem Personal eine verhältnismäßig friedensorientierte Politik betrieb. Und warum er es trotz gegenteiliger Rhetorik bewerkstelligte, dass acht Millionen vermögenslose Kriegsflüchtlinge sich fast geräuschlos in die Bundesrepublik integrierten und keine gewaltbereite Revanchistengemeinschaft formten.