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Vom Ende der Arbeit

Michael Glawoggers Dokumentarfilm "Workingmans Death" ist der Industriefilm der neuen Zeit. Der Österreicher ist mit seinem ästhetische Maßstäbe setzenden Streifen romantisch-verklärend und hart-realistisch zugleich. Der Film zeigt das heutige Gesicht der körperlich schweren Arbeit.

Von Josef Schnelle | 27.04.2006
    1935 schwor der sowjetische Bergmann Aleksej Stachanov, 102 Tonnen Kohle in einer Schicht zu fördern. Und er schaffte es. Fromme Propagandalüge oder Wahrheit? Überhaupt erstrebenswert? Egal, er wurde zum Urbild des "Helden der Arbeit". Die stalinistische Propaganda verklärte ihn pathetisch zum heroischen Kämpfer für eine bessere Zukunft. Straßen und Plätze wurden nach ihm benannt. Doch davon ist nicht mehr viel übrig.

    "Helden" nennt deshalb der österreichische Filmemacher Michael Glawogger das erste Kapitel seines Dokumentarfilms über das heutige Gesicht der körperlich schweren Arbeit. Die Gegend, in der die Stachanov-Brigaden ihre Erfolge feierten, liegt heute in der Ukraine. Sie ist ein vergessenes Stückchen Erde. In die nur 40 Zentimeter hohen, kaum gesicherten Todesflöze dort, kriechen heute nur noch ein paar restlos Verzweifelte, um Kohle zu fördern - auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko. Der Ertrag ist gering. Die Arbeit lohnt sich kaum. Sie ist gefährlich und gesundheitsschädlich und doch auf schreckliche Weise modern. In der globalisierten Lebenswelt ist die schwere körperliche Arbeit an die Ränder gezogen. Immer noch die Grundlage allen Wohlstandes, aber kaum noch sichtbar. In Duisburg haben sie daraus - damit endet der Film – aus einer Landschaft mit Hochöfen, bei uns wo die Arbeit einmal war, einen stillen Freizeitpark mit bunten Lichten und knutschenden Paaren gemacht.

    Alle reden davon, dass die Arbeitsplätze aus Westeuropa verschwinden, aber wohin und unter welchen Bedingungen, darüber redet niemand. Wie sieht sie überhaupt aus – ganz konkret? Das ist Ausgangsfrage, die sich der Wiener Dokumentarfilmer Michael Glawogger stellte. Mit "Megacities" hatte er schon 1998 mit viel Aufwand den Puls der gigantischen Großstädte zu fühlen versucht. Glawogger fuhr zu Arbeitern in Indonesien, die am Rande eines Vulkankraters stinkende Schwefelbrocken sammeln, zu den Shipbreakern in Pakistan, die ausgediente Öltanker zu kleinen Metallplatten verschrotten, zu den Schlachtern am Port Harcourt in Nigeria, die den ganzen Tag Ziegen und Stiere töten, häuten, zerteilen, rösten und verkaufen. Und er traf die Arbeiter des Hochofens No 1 in Anshan, China, die sich ein bisschen so fühlen wie einst Stachanov - aber schon wissen, dass ihnen kein Heldenlied mehr gesungen wird.

    Überall auf der Welt Dreck, Elend und Lebensgefahr. Der Tod ist oft ganz nah. Das alles zeigt der Film, der trotzdem weit davon entfernt ist, eine besserwisserische Sozialreportage zu sein. Schließlich zeigt er nur Momentaufnahmen unserer industriellen Lebenswelt, die sich nach dem Prinzip des günstigsten Preises der Arbeit über die ganze Welt ausgebreitet hat. Es gibt keine Kommentarebene im Film und auch keine Interviews im üblichen Sinne. Die Arbeiter, die Glawogger zeigt, erzählen allenfalls Geschichten, die von ihrem für uns irgendwie fremdartigen Leben erzählen. Jede davon wäre einen eigenen Spielfilm Wert, weswegen der Regisseur inzwischen auch mit "Slumming" tatsächlich seinen ersten abendfüllenden Spielfilm gedreht hat.

    Glawogger spart das Elend nicht aus, zeigt sich aber auch fasziniert von der atavistischen Anstrengung in der Arbeit mit all der physischen Gewalt, die sie der Erde, den Dingen und den Tieren antut. Das Schöpferische in der Zerstörung, die Unmittelbarkeit des Angriffs des Menschen auf die übrige Welt und die grandiose Kameraarbeit bringen den Strukturkritiker der Globalisierung doch wieder mit der Begeisterung des frühen sowjetischen Revolutionsfilms für die Ästhetik der Arbeit zusammen - etwa mit Dsiga Wertov, der Stachanov eine Filmballade widmete. Das filmische Kunstschöne steckt oft im hässlichen Detail. Das wusste schon der schottische Filmpionier und Vater des modernen Dokumentarfilms, John Grierson, auf den Michael Glawogger sich ausdrücklich beruft.

    Sein Film ist der Industriefilm der neuen Zeit. Es geht nicht mehr wie noch bei Grierson um die naive Faszination für den mechanischen Ablauf der Fertigungsprozesse. Glawogger ist mit seinem ästhetische Maßstäbe setzenden Dokumentarfilm romantisch-verklärend und hart-realistisch zugleich, weswegen er ein Zitat William Faulkners zum Motto des Films gemacht hat:

    "Man kann nicht acht Stunden am Tag Essen oder Trinken. Und auch Liebe machen kann man nicht so lange. Nur arbeiten kann man acht Stunden lang – daher rührt es, dass der Mensch sich und andere so unglücklich und verzweifelt macht."