Archiv


Vom Helferkind zum Helfervater

Medizin.- Als "Helferkind" werden im Volksmund Kinder bezeichnet, die unter anderem deshalb gezeugt werden, um einem erkrankten Geschwisterkind Stammzellen zu spenden. Nun legen neue Erkenntnisse allerdings nahe, dass Eltern die besseren Stammzellenspender für die eigenen Kinder sein könnten.

Von Michael Engel |
    Im Fachjargon nennt man das "haploidentische Stammzellspende", wenn Eltern ihre Stammzellen aus dem Blut- oder Knochenmark zur Verfügung stellen, um damit die eigenen Kinder zu behandeln. Kinder, die an Leukämie erkrankt sind. Doch nur die Hälfte der elterlichen Gene stimmt mit denen des Kindes überein. Das Blut des Vaters oder der Mutter muss deshalb "gereinigt" werden. Prof. Rupert Handgretinger von der Uni Tübingen hat es dabei besonders auf die T-Lymphozyten des Immunsystems abgesehen.

    "Da holen wir nur die T-Zellen, die letztlich die Abstoßungsreaktionen machen würden – die T-Zelle – aus dem Präparat. Und alles andere, was übrig bleibt, wird dem Patienten gegeben. Das ist dann eine Mischung von Zellen, die bestehen natürlich aus den Stammzellen, aber auch aus anderen Zellen, die da eventuell wichtig sind, um Infektionen zu vermeiden wie zum Beispiel die natürlichen Killerzellen. Das sind alles Zellen, die wahrscheinlich an der Schnelligkeit der Immunerholung beteiligt sind und wichtige Zellen sind."

    2002 entwickelte die Uni Tübingen das Verfahren der T-Zell-Entfernung aus dem elterlichen Blut. Damit konnte die Sterblichkeit der kleinen Leukämie-Patienten von 30 auf unter zehn Prozent gesenkt werden – auf das Niveau einer Geschwisterspende. Vor einem Jahr nun wurde das Verfahren weiter verfeinert, denn noch immer litten viele der Kinder nach der Stammzellbehandlung unter Infektionen. T-Lymphozyten bestehen aus vielen verschiedenen Varianten, die sich durch die Struktur der Zelloberfläche unterscheiden. Von manchen T-Zellen war bekannt, dass sie Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Deshalb wurden in einem abgewandelten Verfahren nur diese Zellen aus dem elterlichen Spenderblut entfernt.

    "Die gamma-delta-T-Zellen scheinen diese Abstoßungsreaktionen nicht zu machen, haben aber gute anti-infektiöse Aktivität, so dass wir uns dachten, wir sollten diese gamma-delta-T-Zellen nicht wegschmeißen wie wir es mit der alten Methode gemacht haben, sondern mit den Stammzellen zusammen auf den Patienten infundieren."

    17 Kinder wurden seit dem vergangenen Jahr mit dem neuen Stammzellcocktail aus dem elterlichen Blut behandelt. Es enthält die Stammzellen des Vaters oder der Mutter, aus dem nur ganz bestimmte T-Zellen entfernt beziehungsweise depletiert wurden. Tatsächlich erholte sich das Immunsystem rascher, die Kinder hatten weniger Infektionen. Nur wenige Zentren in Deutschland beherrschen das Verfahren. Hier – so Professor Handgretinger – müsse ein Umdenken einsetzen.

    "Heutzutage sind die Daten in der haploidenten Transplantation doch so gut geworden mit dem neuen Depletionsverfahren, dass es durchaus ebenbürtig ist, so dass man sich in Zukunft durchaus doch überlegen könnte, ob nicht die haploidente vielleicht doch an erste Stelle kommen könnte."

    Grundsätzlich müssen Leukämiepatienten vor einer Stammzelltherapie erst einmal bestrahlt und medikamentös behandelt werden, um das krankte, blutbildende System zu zerstören. Unabhängig davon, ob Eltern, Geschwister oder Fremde später dann die gesunden Stammzellen spenden. Diese nebenwirkungsreiche Vorbehandlung mit Röntgenstrahlen könnte sich bald ändern. An der Medizinischen Hochschule Hannover werden Blutstammzellen mithilfe der Gentechnik so verändert, dass sie diese Aufgabe übernehmen. Professor Christopher Baum:

    "Wir führen ein neues Gen ein, was einen Wettbewerbseffekt auslöst im Knochenmark. Und darüber sterben dann die endogenen Stammzellen ab. Es sterben auch diese Wettbewerbszellen ab, die wir eingeführt haben. Und in diese Situation hinein können wir dann neue Zellen transplantieren, die dann wieder von der gesunden Blutbildungsarbeit dieser Knochenmarksnische profitieren und die Blutbildung wieder herstellen."

    Die Versuche mit Mäusen sind sehr vielversprechend, so Professor Baum. Wenn sich die Methode im Tierversuch bewährt, könnten Haarausfall, Fieber oder Übelkeit als Nebenwirkungen der Bestrahlung in einigen Jahren der Vergangenheit angehören.