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Vom Netz ins Fernsehen

Überraschend wurde die US-Polit-Serie "House of Cards" im September neun Mal für den Fernsehpreis "Emmy" nominiert - dabei ist der Politthriller streng genommen keine Fernsehserie: In Auftrag gegeben hatte sie der Streamingdienst Netflix.

Von Hendrik Efert | 05.11.2013
    House of Cards - zu deutsch: Kartenhaus - das bezeichnet ein fragiles Konstrukt, das mit Mühe und Zeit aufgebaut wurde. Eine einzige falsche Bewegung oder eine nicht korrekt platzierte Karte bringt das Gebilde bereits zum Einsturz.

    "Hier ist das Memo, das ich zu unserer Nahostpolitik verfasst habe, darin mache ich eine Anleihe bei Reagan und verwende einen Begriff namens Triple-Down-Diplomatie. Damit will ich ..."
    "Frank, ich muss Sie unterbrechen. Wir werden Sie nicht zum Außenminister ernennen."

    Nachdem dem Kongressabgeordneten Francis Frank Underwood - großartig gespielt von Kevin Spacey - der eigentlich versprochene Posten verwehrt wird, bricht sein sorgfältig erbautes Kartenhaus namens Karriereplanung zusammen.

    "Das ist ja eine echte Scheiß-Nummer!"
    "Der Kongress ist gespalten. Wir brauchen Sie dort viel dringender als im Außenministerium."

    Der intrigante machtbesessene Politiker begibt sich daraufhin auf einen Rachefeldzug durch Washington. Mit Bedacht und Weitsicht und ohne Rücksicht auf Verluste. Wie eine moderne Lady Macbeth dicht an seiner Seite: die kaum weniger intrigante Ehefrau, gespielt von Robin Wright.

    "Ich weiß, was ich tun muss."
    "Gut."
    "Wir werden noch viele Nächte wie diese erleben, in dem wir Pläne schmieden und wenig schlafen."
    "Das habe ich erwartet. Und es macht mir keine Angst."

    Die Serie unterhält. Doch bis zum Schluss lässt sich ein kleines ungutes Gefühl nicht leugnen. Letztendlich ist "House of Cards" ein wackeliges Kartenhaus, gebaut auf einem sandigen Untergrund aus Kompromissen. Die Serie ist ein Remake einer britischen Mini-Serie gleichen Namens. Beim Versuch "House of Cards" vom parlamentarischen System Großbritanniens auf das präsidiale der USA umzuschreiben, knirschte es zwangsläufig an vielen Ecken und Kanten. Doch die genialen Schauspieler bemühen sich, Bedeutung ins Haus zu bringen - obwohl ihr Text oft nur heiße Luft hergibt.

    "Ich denke, ich weiß, was sie wollen."
    "So verschlingt man einen Wal, Doug. Einen Bissen nach dem anderen."

    Neun Emmy-Nominierungen und weltweit wohlwollende Kritiken sprechen für sich - vielleicht ist die Serie eben gerade wegen der Kompromisse so erfolgreich. "House of Cards" wurde von keinem regulären Fernsehsender in Auftrag gegeben, sondern vom Streamingdienst Netflix. Für derzeit acht Dollar im Monat bietet die Online-Plattform Serien und Filme aus verschiedensten Genres an. Da eben ein persönlicher Log-in nötig ist, weiß der Dienst genau, welcher seiner Kunden wann was guckt. Ein großer Vorteil gegenüber den linearen Konkurrenten, die seit Jahrzehnten ihre Zuschauerschaft nur statistisch errechnen.

    "Wollen Sie Vergeltung?"
    "Nein, nein. Es geht um mehr als das. Treten Sie zurück und betrachten Sie das große Ganze!"

    Und so war sich Netflix sicher: Der Kombination aus Kevin Spacey in einem Polit-Thriller von Fight-Club-Regisseur David Fincher können die meisten Kunden nicht widerstehen. Selbstbewusst bestellten sie gleich zwei Staffeln auf einmal, ohne je eine Pilotfolge gesehen zu haben. Und: Netflix weiß auch, dass die Kunden am liebsten im Marathon schauen. Deswegen wird "House of Cards" nicht wöchentlich gezeigt - oder besser gesagt: online gestellt - sondern im Staffelpaket.

    "Die Macht hat große Ähnlichkeit mit Immobilien. Je näher man an der Quelle sitzt, desto höher beläuft sich der Wert. Wenn die Menschen in ein paar Hundert Jahren diese Szenen betrachten – wen werden sie lächelnd am Rande dieses Bildes sehen?"

    House of Cards ist irgendwie eine neue Form von Fernsehen und bei Weitem kein schlechtes. Die Serie ist ein interessantes Experiment, aufwendig und mit viel Geld produziert. Inhaltlich wäre eine größere Abgrenzung zu den klassischen Qualitätsserien wünschenswert gewesen. Machtspielchen in der Realpolitik sind auch ohne viel Geld und große Datensammlungen ausgezeichnet zu inszenieren - das dänische Fernsehen hat das mit Borgen hinlänglich bewiesen. Der Schlüssel sind gute Autoren mit vielen Freiheiten. Das war immer auch die Maxime der US-Kabelsender wie AMC oder HBO, die Qualitätsserien wie Mad Men, Breaking Bad oder die Sopranos hervorgebracht haben. Das bestätigte auch Kevin Spacey selbst in seiner viel beachteten Rede zur Zukunft des Fernsehens beim Edinburgh International Television Festival im vergangenen August, als er betonte: "Wir haben verstanden was das Publikum will - es will Qualität. Und wir wissen, was die Kreativen wollen - künstlerische Freiheit. Der einzige Weg um das zu bewahren, ist Innovation."

    Nun scheint eine neue Ära anzubrechen: die der Daten sammelnden Streamingdienste. Ob das zu wirklichen neuen Perlen des Qualitätsserienkanons führt, bleibt abzuwarten. Noch steht das Kartenhaus.

    "Mein Hunger ist noch nicht gestillt."