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Von Dichtern und Dollars

Mit dem "armen Poeten" wie wir ihn aus dem deutschen Biedermeier kennen, haben arabische Dichter so gar nichts gemein. Im Gegenteil: Dichten und Dollars gehören zusammen in der Arabischen Welt. Jedenfalls bei der Lyrik-Castingshow "Sha’ir al Miliun" - "Dichten für Millionen" in Abu Dhabi.

Von Kersten Knipp | 08.01.2012
    Tausende fühlten sich berufen, aber nur 48 sind auserwählt: Diese 48 Dichter aus allen Teilen der arabischen Welt treten nun gegeneinander an, über 15 Wochen in einer Art künstlerischem KO-Verfahren, bis einer oder eine übrig bleibt. Der kuwaitische Dichter Seyad Ibin Nahit hat eine der früheren Runden von "Sha´ir al miliun" gewonnen – und ist seitdem ein gefeierter Lyriker.

    "Es gibt viele unbekannte Namen, die aber dennoch für sehr gute Lyrik stehen. Es gibt Dichter, die ein sehr feines lyrisches Empfinden haben, die aber völlig unbekannt sind. Ihre Namen sind weder den Jurymitgliedern geläufig noch den Medien. Dabei sind sie oft besser als andere, viel bekanntere Dichter. Auch ich selbst war vorher unbekannt. Das heißt aber nicht, dass ich kein Dichter war. Mittlerweile bin ich zwar bekannt. Aber es gibt bestimmt bessere Dichter als mich, die aber noch unbekannt sind."

    Neu an dem diesjährigen Wettbewerb: Bei den Kandidaten zählt fortan auch ihre Körpersprache. Denn auch die ist wichtiger Bestandteil ihrer Ausdrucksfähigkeit. Einer, darin so stark ist wie wenig andere, ist der palästinensische Dichter Tamim al Baruti. Auch er nahm an dem Wettbewerb, fiel aber durch – wegen eines winzigen Grammatikfehlers. Denn auch auf korrekte Grammatik kommt es an in diesem Wettbewerb, da sind die Veranstalter streng. Aber Baruti ist seit seinem Auftritt ein echter Lyrik-Star in der arabischen Welt.

    "Die Hyäne jagt eine Herde Gazellen
    Diese fliehen
    Und ihre Hufen zeichnen zehn willkürlich verlaufende Spuren
    Die Hyäne weiß: Sie hat keine Zeit hat zum Überlegen
    Sie folgt einer, um zu töten
    Leben und Tod einer Gazelle sind rasch beschlossen
    Die Hyäne kennt die Gazelle nicht, es gibt weder Feindschaft noch Konkurrenz
    Vielleicht hätte die Hyäne an einem anderen Tag eine andere Gazelle gewählt
    Und auch nach ihrer Ermordung wird die Hyäne nicht in der Lage sein zu sagen,
    falls sie gefragt würde, warum sie diese Gazelle gewählt hat, um sie zu töten."

    Man kann es kaum überhören: Baruti ist ein politischer Dichter, seine Lyrik lässt sich auf viele Kontexte beziehen, natürlich auch auf die arabische Revolution, derzeit sicher am stärksten auf die Situation in Syrien. Tatsächlich verzeichnet der diesjährige Wettbewerb neben der traditionellen, etwa Themen wie Liebe und Heimat gewidmeten Dichtung verstärkt auch politische Lyrik. Trotzdem, meint Baruti: Für eine bestimmte Partei oder Richtung schreibt er nicht.

    "Die Menschen schreiben meine Gedichte mit mir, ich schreibe sie nicht allein. Ich schreibe sie von den Gesichtern der Menschen ab. Es beginnt als eine Idee in meinem Kopf, die sich in einem Satz oder Rhythmus kristallisiert, dann mehrere Sätze dann ein Bild. Dann lese ich das Ganze einigen Leuten vor. Dabei achte ich auf ihre Reaktionen und schneide entsprechend einiges weg oder füge anderes hinzu. Ich fühle mich den Zuhörern verpflichtet, ein schönes Gedicht zu schreiben. DAS ist meine Partei, zu der gehöre ich!"

    "Sha´ir al miliun" ist eine gewaltige Casting-Show, durchaus denen in Deutschland vergleichbar, nur ohne die unwürdige Bloßstellung mancher Kandidaten im Vorfeld. Der von einem Sender aus Abu Dhabi ausgestrahlten Show geht es ausdrücklich auch darum, die lyrische Tradition zu pflegen. Aber diese Tradition, erläutert der aus Syrien stammende Dichter Fuwad al Awwad, der in Deutschland die Lesereihe "Lyriksalon" verantwortet – sie hat ganz andere Voraussetzungen als die poetische Kultur etwa in Deutschland.

    "Ein Lyriker ist immer ein Star in den arabischen Ländern. ... Bestimmte Lyriker waren wie Popstars im Prinzip. In Fußballstadien eine Lyriklesung zu veranstalten gibt es nirgendwo. Und das gab es in den arabischen Ländern. Es gab bestimme Lyrik wie Nizar Qabbani, wie Mahmud Darwisch. Mahmud Darwisch habe ich erlebt, als ich ein kleines Kind war in Damaskus in einer Sporthalle, da waren über 10.000 Menschen da. Das war voll, rappelvoll war sie. Also, wo gibt es hier in Europa so etwas?"