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Von Flucht und Frust

Hunderte Museen gibt es in Deutschland, aber nur an zwei Hochschulen kann man Museologie beziehungsweise Museumskunde studieren: an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Rund 30 Leipziger Studierende haben nun das große Los gezogen: Sie erarbeiten ihre eigene Dauerausstellung an der ehemaligen innerdeutschen Grenze.

Von Carsten Heckmann | 29.08.2006
    Die meisten Autofahrer haben es eilig, und es hält sie auch niemand auf, wenn sie von Braunschweig nach Magdeburg oder in umgekehrter Richtung über die A2 fahren. Das war früher anders. Ein Kommandoturm neben der Autobahn ist der augenfälligste Zeuge der Zeit, in der es eine innerdeutsche Grenze gab. Er steht auf einem siebeneinhalb Hektar großen Fleck Vergangenheit – der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Hier realisieren 28 Museologie-Studierende aus Leipzig ihre erste eigene Ausstellung. Gisela Weiß, Professorin an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, erklärt den Hintergrund des Seminars:

    "In Marienborn, muss man sagen, gibt es schon eine Dauerausstellung. Seit langem ist aber geplant, die Dauerausstellung weiterzuentwickeln. Man möchte dort gerne einzelne Bereiche permanent öffentlich machen, unter anderem den Zollbereich."

    Das ganze Sommersemester haben die Studierenden nun damit verbracht, alles über die Zollverwaltung der DDR in Erfahrung zu bringen, Konzepte zu entwickeln und nach Objekten zu recherchieren. Sie haben sich gruppenweise an die Arbeit gemacht, eingeteilt nach Themen wie Ausbildung der Zöllner, Kontrollablauf an der Grenze und Zoll als Wirtschaftsfaktor. Auch in den Ferien ruht das Projekt nicht. Lilian Groß beschäftigt sich mit Fluchtversuchen. Ihre Gruppe kann eine alte Kontrollgarage als Ausstellungsraum nutzen. Natürlich solle darin ein Fluchtauto gezeigt werden, sagt die Studentin. Nur sei das gar nicht so einfach.

    "Momentan steht da schon ein Auto, und da hieß es am Anfang immer, dass wir das Auto nehmen sollen. Auf der anderen Seite war aber der Anspruch, da müssen unbedingt auch Gruppen reinpassen. Wenn das Auto aber drin ist, passen keine Gruppen rein. Da mussten wir uns wieder etwas anderes ausdenken und sind dann auf die Idee gekommen, dass wir aus diesem Maschendraht, mit dem auch die Grenze abgesperrt war, quasi ein stilisiertes Auto nachbauen. Das kam am Anfang gut an, wurde dann auch wieder umgeworfen, weil das, glaube ich... – wahrscheinlich gibt es keinen, der das zustande bringen kann. Warum auch immer, ist auch egal, jedenfalls war es einfach immer ein wenig ärgerlich, dass wir jedes Mal wieder von vorn anfangen mussten."

    Eine Lösung ist inzwischen gefunden, das Auto wird zersägt. Schließlich reicht der hintere Teil, um einen Fluchtversuch im Kofferraum nachzustellen. Dass aber bis zur endgültigen Entscheidung immer wieder Diskussionen aufkommen, Ideen verworfen und Pläne geändert werden, das ist ganz im Sinne der Erfinderin. Auch wenn sich Gisela Weiß der Gefahr der Frustration bewusst ist.

    "Das durchzustehen, das auszuhalten, dass die eigenen Ideen immer wieder von anderen... es geht ja nicht um zerreden, es geht darum, darum zu ringen, um das Richtige, was heißt das Richtige, um die Inhalte zu ringen, und sie richtig, in einer Form, wie man sie gut findet, rüberzubringen, in einer Gestaltung, das ist schwer auszuhalten."

    Aber es gehöre dazu, meint die Historikerin, die ihren Studierenden im Rahmen des Seminars "Ausstellungswesen" soviel Praxis wie möglich bieten möchte. Sie lehrt erst seit März an der Leipziger Fachhochschule, es ist ihr erstes Projektseminar. Dass die Studierenden dabei gleich an einer Dauerausstellung arbeiten können, sei ein einmaliger Glücksfall, sagt Weiß. Künftig würden die Aufgaben sicher kleiner ausfallen. Die Hauptsache sei aber, dass die Teilnehmer alle wichtigen Arbeitsschritte mitbekommen.

    "Wie geht man so eine Sache an, von der Idee, die Idee zu entwickeln, sie zu realisieren, ein Grobkonzept zu entwickeln, Gestaltung zu entwickeln, bis hin sogar zur Textproduktion."

    Das Museologie-Studium umfasst aber auch ganz andere Inhalte. Die Studierenden lernen, Kulturgüter systematisch zu erfassen, erwerben Grundkenntnisse in Fachwissenschaften, erfahren etwas über Management und Pädagogik. Im Marienborn-Projekt sehen die meisten eine gelungene Abwechslung. Am geschichtsträchtigen 9. November soll die Ausstellung eröffnet werden. Noch sind nicht alle Räume fertig, die Texte nicht geschrieben, die Finanzierung nicht endgültig geklärt. Ob der Termin zu halten ist, sei schwer zu sagen, meint die Studentin Katharina Sennewald:

    "Ich bin ja auch dafür zuständig, die Einladungskarten zu gestalten. Und es ist im Sinne der ganzen Gruppe, dass wir rechtzeitig fertig werden. Aber das, glaube ich, können wir jetzt noch gar nicht so genau sagen. Wenn dann das Semester wieder beginnt, dann haben wir noch mal einen neuen Stand, ob jetzt wirklich alles soweit ist wie es gesagt worden ist und ob alles steht, und dann werden wir es sehen."