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Von jungen Gehirnen lernen

Medizin. - Schizophrenie ist eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen - jedenfalls bei Erwachsenen. Bei Kindern kommt diese schwere Psychose zum Glück nur selten vor. Umso rätselhafter erscheint sie den Ärzten dann: Schizophrene Kinder leben anders als erwachsene Patienten praktisch ständig ohne Unterbrechungen in ihrem Wahn. Aber vielleicht lässt sich aus der extremen Form der Schizophrenie bei Kinder auch etwas über schizophrene Erwachsene lernen. Eine amerikanische Wissenschaftlerin konnte jetzt genügend Patienten für eine 13-Jahres-Langzeitstudie zusammenbringen. Die Ergebnisse hat sie einem kleinen Kreis von Ärzten und Wissenschaftlern in Essen vorgestellt.

Kristin Raabe | 10.10.2003
    Das Ergebnis von 13 Jahren Forschung ist ein Film. Ein Film, der zeigt was im Gehirn von schizophrenen Kindern geschieht. Judith Rapoport hat diese Kinder über Jahre immer wieder mit einem Kernspintomographen untersucht. Alle Diagnose-Bilder eines Kindes zusammengenommen ergeben den Film. Darin ist zu sehen, dass die natürlichen Hohlräume im Gehirn immer größer werden - unnatürlich groß. Dafür hat die Wissenschaftlerin vom National Institute of Health jedoch eine Erklärung:

    Wenn sie einen erwachsenen Patienten vor sich sehen, wissen sie nicht, was mit ihm geschehen ist, als er noch ein Kind war. Aber durch die Untersuchung der Kinder konnten wir sehen, das in ihrem Gehirn ein normaler Entwicklungsprozess, völlig übersteigert ist. Die Großhirnrinde wächst sehr stark und wird dann wieder beschnitten. Im Grunde ist das wie bei einem Baum, dessen Äste man beschneidet, damit er in der richtigen Weise wächst. Das ist eigentlich ein normaler und sinnvoller Vorgang, der im Gehirn von allen Kindern und Heranwachsenden stattfindet. Im Gehirn von Schizophrenen werden von den Verzweigungen der Nervenzellen allerdings zu viele weggeschnitten. Es geht dadurch immer mehr Hirngewebe verloren. Wir glauben dass es dafür genetische Ursachen gibt.

    Bei Dreijährigen hat jede Hirnzelle 15.000 Kontaktstellen mit anderen Nervenzellen. Das ist zuviel. Bis zum Alter von ungefähr 20 Jahren bilden sich durch Erfahrungen und Lernen Zellkontakte zurück - bis nur noch die Verbindungen übrig sind, die wir auch tatsächlich brauchen. Bei den schizophrenen Kindern gehen allerdings zu viele Nervenverbindungen verloren. Schuld daran sind wahrscheinlich die Gene. Rapoport:

    Wir analysieren gerade die Daten von den Geschwistern der jungen Schizophreniepatienten. Es sieht so aus, als fände dieser verstärkte Abbau von Verbindungen in ihrem Gehirn in einer milderen Form auch statt. Das spricht natürlich dafür, das hier Gene eine Rolle spielen,. Zur Zeit gibt es auch eine Untersuchung, bei der eineiige Zwillinge über mehrere Jahre untersucht werden. Wenn diese Ergebnisse vorliegen, wissen wir sicherlich mehr über den Anteil der Gene an diesem übertriebenen Abbauprozess im Gehirn.

    Schizophrene Kinder erkranken wahrscheinlich nur deswegen so früh, weil sie über stärkere genetische Risikofaktoren verfügen als Patienten, die später erkranken. Judith Rapport hat aber nicht nur die genetischen Grundlagen der Schizophrenie untersucht. Sie testete auch, ob bestimmte Medikamente helfen. Rapoport:

    Wir wollten herausfinden, ob diese Kinder besser auf das Medikament Clozapin reagieren. Clozapin hat einige starke Nebenwirkungen, die bei Kindern vielleicht sogar noch stärker sind. Die gute Nachricht für diese sehr kranken Kinder ist, dass dieses Medikament wirkt. Viele Kinder konnten aus dem Krankenhaus entlassen werden und wieder zur Schule gehen. Aber leider können bei der Behandlung erhebliche Nebenwirkungen auftreten: Epileptische Anfälle, Müdigkeit und Gewichtszunahme. In einem weiteren Jahr werden wir noch eine Studie abschließen, wo wir Clozapin mit Olanzapin vergleichen. Olanzapin hat viel weniger Nebenwirkungen. Aber schon jetzt zeigen unsere ersten Ergebnisse, dass Clozapin immer noch besser wirkt als Olanzapin. Die beste Behandlung für diese schwerkranken Kinder scheint also Clozapin zu sein.

    Für die Behandlung schizophrener Kinder ist das Umfeld aber mindestens so wichtig, wie das richtige Medikament. Auch das haben Judith Rapoports Studien gezeigt. Eine liebevolle und schützende Familie und die richtige Therapie - dann haben schizophrene Kinder eine Chance, ihre Krankheit zu überwinden.