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Von Zelltyp zu Zelltyp

Biologie. - Seit vier Jahren gibt es die sogenannten IPS-Zellen, die mit den embryonalen Stammzellen vergleichbar sind, ohne dass für ihre Herstellung Embryonen benutzt werden. Heute berichten US-Forscher in "Nature" von einer weiteren Alternative. Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth erläutert sie im Gespräch mit Michael Böddeker.

28.01.2010
    Böddeker: Herr Wildermuth, was genau haben die Forscher denn da gemacht?

    Wildermuth: Ja im Grunde haben sich Marius Wernig und seine Kollegen von der Stanford University direkt von den IPS-Zellen von Shinji Yamanaka inspirieren lassen. Der hatte damals Steuergene, die für die embryonalen Stammzellen wichtig sind, in Hautzellen gepackt. Und voilà, es entstanden Zellen, die den embryonalen Zellen gleichen. Und diesen Ansatz, den hat das amerikanische Team auf Nerven übertragen. Sie haben19 Steuergene sich angeguckt, die typisch für Nerven sind, und einfach alle zusammen in Bindegewebe einer Maus übertragen. Und dieser Trick funktioniert: Es entstanden Zellen in der Zellkultur, induzierte Nervenzellen, die man kurz IN-Zellen nennt.

    Böddeker: Aber davon mussten erst einmal 19 Gene übertragen werden. Das klingt erst einmal gar nicht so einfach!

    Wildermuth: Ja, das war auch nur ihr erster Schritt. Sie haben geguckt, ob vielleicht ein einzelnes Gen ausreicht. Da waren die Ergebnisse nicht besonders überzeugend. Aber nach und nach haben sie dann ein Set von drei Genen eingekreist, mit dessen Hilfe man Bindegewebszellen in gut einer Woche in diese induzierten Nervenzellen verwandeln kann, mit hohen Ausbeuten, um die 20 Prozent, das ist schon beeindruckend. So viel erhält man auf dem Feld der Stammzellforschung selten. Auf der anderen Seite hat man natürlich noch 80 Prozent Bindegewebszellen. Aber mit automatischen Zellsortierern gelingt es dann doch relativ reine induzierte Nervenzellen zu gewinnen.

    Böddeker: Wie ähnlich sind denn diese Zellen den echten Nervenzellen?

    Wildermuth: Erst einmal unter dem Mikroskop sehen sie gut aus, auf der einen Seite ist so ein kleiner Busch von Zell-Ästchen, damit werden Nachrichten empfangen, auf der anderen Seite dieser lange, für Nervenzellen typische Ausläufer, mit dem sie die Signale weitergeben. Das war gut. Noch besser, diese Zellen sind funktional, sie arbeiten wie Nervenzellen, leiten elektrischen Impulse weiter, sie haben die dann, die Forscher, diese induzierten Nervenzellen mit natürlichen Nervenzellen in der Petrischale gezogen, und siehe da, es haben sich Verbindungen, Synapsen gebildet, es entstanden Nervennetze, die tatsächlich Impulse hin und her geschickt haben, so weit so gut. Das sieht sehr gut aus, diese Zellen ähneln den Standardnervenzellen im Gehirn, aber - und das ist ein wichtiges Aber - sie arbeiten nur mit dem wichtigsten erregenden und den wichtigsten hemmenden Botenstoff. Es gibt aber noch ganz viele andere Botenstoffe, die für die Feinregulierung des Gehirns entscheidend sind. Und da funktionieren die leider nicht. Es fehlt zum Beispiel der Botenstoff Dopamin, auf den es bei der Parkinsonkrankheit ankommt, da es noch sehr viel Forschungsarbeit zu tun. Aber das ist eben der erste Schritt, noch in der Maus, und er hat Potenzial.

    Böddeker: Welche Bedeutung hat denn dieses neue Experiment?

    Wildermuth: Ja, ich denke, es ist aus zwei Gründen wichtig. Der eine ist mehr theoretisch, der andere von praktischer Natur. Erst die Theorie: Als Yamanaka diese IPS-Zellen erzeugt hat, da glaubte er, seine vier Gene, die würden sozusagen alle Prägungen der erwachsenen Zelle löschen und die Zellen damit auf den Stand des Embryos zurückführen. Und von da geht man in einer normalen Entwicklung wieder in eine neue Richtung. Das ist wie bei einem Baum. Die Zellen müssen sozusagen wieder zurück zur Wurzel und dann können sie auf anderen Ästen sich weiter entwickeln. Und dieses Experiment aus Stanford, das ist eher mit dem Beamen auf dem Raumschiff Enterprise zu vergleichen, die gehen von einer Astspitze direkt zur anderen, Bindegewebszellen werden ohne Umweg direkt Nerven, die natürlichen Entwicklungspfade spielen keine Rolle. Und das ist auch deshalb interessant, weil es schon länger Versuche gab, zum Beispiel mit bestimmten Wachstumsfaktoren Blutzellen umzuwandeln in Nervenzellen oder Fettzellen in insulinproduzierende Zellen. Das hat aber nie so richtig geklappt. Und man hat gedacht, das kann gar nicht funktionieren, jetzt zeigt sich, mit dem richtigen Set von Steuergenen, wird das möglich sein.

    Böddeker: So weit die Theorie, wie sieht es denn mit dem praktischen Vorteil aus?

    Wildermuth: Ja, das ist ein viel schnellerer Weg. Man muss nicht diesen Umweg über den Embryo machen, es geht schneller, es geht mit höheren Ausbeuten, das bringt die Stammzellforschung einen wichtigen Schritt voran, aber man darf nie vergessen, es ist immer noch ein Anfangsstadium, diese Forschung, es ist ein erster Schritt, es müssen viele weitere folgen, und ich befürchte, für diese Schritte gibt es dann keine Abkürzung.