Dienstag, 21. Mai 2024

Archiv


Vorsprechen an der Basis

Die Grünen wollen ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl in einer Urwahl bestimmen. Auch Katrin Göring-Eckardt hat ihren Hut in den Ring geworfen.

Von Blanka Weber | 06.09.2012
    Erfurt, Landtagsgebäude, ein kleiner Sitzungsraum. Eine Diskussion über Altersarmut, eingeladen hat die grüne Fraktion. Auf dem Podium: die Fraktionschefin Anja Siegesmund und - Katrin Göring-Eckart, die prominente Grüne aus Thüringen. Bundestagsabgeordnete seit 1998, außerdem Vizepräsidentin des Bundestages, Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und neuerdings eine der möglichen grünen Spitzenkandidatinnen für die nächste Bundestagswahl.

    Der Applaus ist bescheiden. Gerade einmal sechs Zuhörer sind zu der öffentlichen Diskussion erschienen. Mit wenigstens 15 Gästen hatten die Grünen gerechnet. Katrin Göring-Eckardt wirkt müde und angespannt. Während der Diskussion liest sie Nachrichten auf ihrem Telefon.

    Der Sprecher einer Arbeitslosen-Initiative erhebt Vorwürfe. Warum die Grünen in Berlin jetzt so täten, als sei Altersarmut ein neues Thema. Die beiden Politikerinnen auf dem Podium machen sich Notizen und geben das Wort an den nächsten Gast.

    Es ist einer von vielen Terminen für Katrin Göring-Eckart. Denn es ist Wahlkampf.

    Drei Stunden später. Der Biergarten einer Erfurter Studentenkneipe. Katrin Göring-Eckardt sitzt wieder auf dem Podium, diesmal zum Thema Kultur und Religion in der Landeshauptstadt. Auch diesmal sind – trotz der prominenten Besetzung – nur wenige Studenten und wenige Grüne gekommen. Wenn im nächsten Jahr der Bundestag gewählt wird, steht der Name Göring-Eckardt auf Platz eins der Thüringer Liste ihrer Partei.

    46 Jahre ist sie alt, Mutter von zwei Söhnen. Seit der Wende ist Katrin Göring-Eckardt in der Politik aktiv. Im Bundestag löste sie 1998 Vera Lengsfeld ab, die damals zur CDU wechselte. Kritiker werfen Katrin Göring-Eckardt vor, eine kühle Strategin zu sein, kalkulierend und karrierebesessen. Bei der anstehenden Urwahl allerdings hat sie wohl nur wenig Chancen gegen Renate Künast und Claudia Roth. Obwohl sie jünger ist, nicht zur Generation der 68er zählt, aus dem Osten kommt und evangelisch ist.

    "Ich geh mal davon aus, dass sie weiß, worauf sie sich hier einlässt. Ich kenne das Spiel, dass man dann, wenn man in der Partei etwas geworden ist, sein Geld in der Politik verdient, dass man natürlich auch etwas zurückzugeben hat","

    sagt Frank Augsten, der für die Grünen im Thüringer Landtag sitzt.

    ""Oftmals, auch wenn einen das Gefühl beschleicht, dass einem das nicht guttut, was man dort machen soll, hat man die Verpflichtung, das auch zu tun, das ist einfach so. Und ich glaube, Katrin Göring-Eckardt ist in der Situation. Sie weiß, dass sie dort geringe Chancen hat, Spitzenkandidatin für den Bundestagswahlkampf zu werden. Aber sie hat sich die Aufgabe vorgenommen. Wir schauen, was dabei rauskommt."

    Der Listenplatz eins der Thüringer Grünen ist Katrin Göring-Eckardt sicher, egal, was passiert. Dafür müssen andere verzichten.

    "Und ich gehe mal davon aus, dass sie auch für diese Spitzenkandidatur viel Unterstützung erfährt. Inwieweit gerade junge grüne Politikerinnen und Politiker das gutheißen, dass jemand so lange im Bundestag sitzt und dieses Amt fast schon geerbt hat, ich merke, da gibt es Unruhe, dass auch junge Menschen gerne was werden wollen, die mit viel Argwohn auch beobachten, dass die alten Grünen – wie sie uns nennen – sich festsetzen."

    Vincent Müller sieht es auch so. Der Student war ab 2006 im Landesvorstand der Grünen Jugend. Damals habe man das Rotationsprinzip durchsetzen wollen, sagt er, leider ohne Erfolg:

    "Dass Leute, die schon eine gewisse Zeit im Parlament sind, nicht so einfach wiedergewählt werden können. Und Katrin spricht ja auch immer von einer neuen Generation von Politikern, der sie angehören will. Die neue Generation von Politikern sitzt aber nicht schon seit 1998 im Bundestag, sondern strömt gerade so nach, und wir haben an der Basis wahnsinnig fitte Leute, die den Basiskontakt noch viel stärker haben, die uns in Berlin dann auch besser vertreten könnten."

    Im Gespräch sei auch eine Mandatsbegrenzung gewesen: Wer zum dritten, vierten oder fünften Mal wiedergewählt werden will, braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Basis dafür. Doch auch diese Idee hat sich nicht durchgesetzt. Wer erst einmal in der Politik sei, der wolle auch ein Amt besetzen und es behalten – bis sich eine bessere Alternative ergebe, so formuliert es der 22-jährige Vincent Müller.

    "Und das finde ich sehr frustrierend, weil gerade junge grüne Politik kann sehr inhaltsbezogen sein, kann auch mal verrückt sein, anstelle dieses Rumkuschens und Gegeneinander-Intrigieren, weil man personell nach vorne will."

    Dass nun die Basis aufgerufen sei, die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen – damit könne man neue Akzente setzen, sagt Vincent Müller. Allerdings brauche man dafür auch neue Köpfe.

    "Wir haben wirklich neue Generationen unten oder die sind gerade in die Landes- und Bundesparlamente bei den letzten Wahlen eingezogen, zum Beispiel Sven Christian Kindler oder Rasmus Andresen – das sind die jungen Leute, die ich mir an der Spitze wünschen würde, die nicht schon ewig im Parlament sitzen, wo ich das Gefühl habe, die könnten das eher oben vertreten."