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(W)arme Welt

Nach sechs Jahren legt der "Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen" der Vereinten Nationen im Februar 2007 einen neuen Sachstandsbericht vor. Eigentlich sollte der Bericht noch geheim sein, doch Entwürfe sind vorzeitig bekannt geworden. Demnach besteht praktisch keine Chance mehr, eine als "gefährlich" eingestufte Erderwärmung noch zu verhindern. So könnte schon bald der Zeitpunkt erreicht sein, an dem Grönlands Eisschild unaufhaltsam abzutauen beginnt.

Von Volker Mrasek | 05.11.2006
    Wenn am 6. November in Nairobi die 12. Weltklimakonferenz beginnt, dann ist den Delegierten eines klar: Es wird nicht mehr genügen, den Ausstoß von Treibhausgasen in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern zu reduzieren. Die Welt wird mit dem Wandel leben müssen.


    "So, dann starte ich mal das Programm. Da wird der Windgeber erstmal auf 16 Meter gefahren. Und dann fängt die Messreihe an ..."

    "Wir sehen's hier auf dem Schirm. 15,43 ist die Kanalgeschwindigkeit." "Also normal sind ja hier Windgeschwindigkeiten um fünf Meter, wenn's hochkommt." "Also an der Küste, würde ich mal sagen, ist [das] 'ne gute steife Brise."


    "Also ..." "Das sind jetzt gerade 20,8 Meter hier. Das ist schon ganz schön heavy. Also, das sind schon dann Herbststürme ..."

    "Jetzt geht er schon ein bisschen höher." "Das ist die maximale Geschwindigkeit des Windkanals, die 50 Meter pro Sekunde." "Ich glaube, ich schließ' mal besser die Tür. Damit wir uns noch verständigen können hier drin."

    "Das ist so die erste Bekanntschaft der Instrumente nach Produktion mit den tatsächlichen Gegebenheiten. Ich denke mal, die Natur ist sicherlich in einigen Dingen noch wesentlich grausamer." "Ja, auf jeden Fall. Wenn die Sensoren entwickelt sind, werden wir sie zunächst bis zu 50 Metern pro Sekunde mal durchprüfen." "Und dann werden natürlich diese Prototypen hier schon arg gestresst werden, schon im Prototypen-Stadium."

    Es ist eine Folterkammer, die die Adolf Thies GmbH im Kellergeschoß ihres Produktionsgebäudes in Göttingen unterhält. Das mittelständische Unternehmen stellt seit Jahrzehnten Messinstrumente für Anwendungen in der Meteorologie her. Die Außensensoren sollen nicht nur Daten über jedes Wetter und Klima liefern. Sie müssen ihm auch widerstehen. Wolkenbrüche oder Orkanböen dürfen den Wind-, Temperatur- und Feuchtemessern nichts anhaben.

    Deswegen sperren Thomas Stadie und Helmut Tschepanski ihre Prototypen in den hauseigenen Windkanal. Dort zeigt sich, ob sie auch im Megasturm wirklich noch funktionieren. Stadie ist zuständig für das Labor bei der Thies GmbH, Tschepanski wickelt dort den Testbetrieb ab. Beide sind sie Ingenieure für Elektrotechnik ...

    "Das ist ein Unwetter, sag' ich mal, im Labor nachgestellt." "Wir schalten jetzt mal um ..." "Erstmal wird's langsamer." "... auf manuellen Betrieb."

    In dem Göttinger Folterstudio wird bald ein ganz besonderer Typus von Messsensor in die Mangel genommen werden. Noch gibt es ihn nicht. Aber die Spezialisten bei Thies haben den Auftrag, ihn zu entwickeln. Dafür bekommt die Firma Gelder aus dem Bundeshaushalt. Und nicht nur sie.

    Das Bundesforschungsministerium fördert zum ersten Mal ein größeres Projekt, in dem es nicht darum geht, den Klimawandel noch aufzuhalten, sondern mit ihm zu leben. In dem nicht nach Wegen gesucht wird, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, sondern nach einer brauchbaren Anpassungsstrategie. SAFE heißt das gerade gestartete Verbundprojekt. Ulrich Meissen ist sein Koordinator. Der Wirtschaftsingenieur forscht am Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik in Berlin. Dort leitet Meissen die Arbeitsgruppe "Frühwarnsysteme":

    "Das System kann man sich so ein bisschen vorstellen wie eine Art Schutzschirm, den wir um eine Kommune oder um einen Industriebetrieb setzen wollen. Wir wollen mit sehr kleinen, kostengünstigen, auf Unwetter spezialisierten Sensoren eine sehr genaue Messung ermöglichen. Die werden in einem Bereich von fünf bis zu 20, 30 Kilometer vom Ort entfernt aufgestellt werden in Einzugsbahnen von Gewitterzellen. Und die Grundidee des Systems ist es, sehr lokal genaue Unwetterprognosen zu erstellen und diese an die Betroffenen direkt weiterzuleiten."

    "Klima-Adaption" lautet das Schlagwort. Und das bedeutet in erster Linie: gewappnet zu sein, wenn sich Unwetter häufen und stärker werden. Genau damit rechnet die Wissenschaft im Zuge der weiteren Klimaerwärmung ...

    "Ich denke schon, dass mittlerweile ein Umdenken stattfindet, dass wir es jetzt schon - egal welche Maßnahmen wir zum Klimaschutz in den nächsten Jahren erreichen werden -, dass wir es jetzt schon mit einem vorhandenen Klimawandel zu tun haben, der sich in dieser Form jedenfalls kurzfristig nicht aufhalten lässt, und man sich überlegen muss: Wie geht man damit um? Man kann davor nicht die Augen verschließen. Wenn Extremwetter zum Beispiel zunehmen, dann ist es eine wirklich wichtige volkswirtschaftliche Frage: Wie kann sich ein Industriestandort Deutschland davor schützen?"


    "Menschliche Aktivitäten seit 1750 haben (...) einen erwärmenden Einfluss auf das Klima. Der Anstieg von Treibhausgasen ist sehr wahrscheinlich die Hauptursache für ansteigende globale Mitteltemperaturen."

    "Die atmosphärischen Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas sind die höchsten seit mindestens 650.000 Jahren. Das Ausmaß, in dem diese Gase heute den Treibhauseffekt verstärken, ist beispiellos in den letzten mindestens 20.000 Jahren."

    "Es gibt immer mehr Belege dafür, dass der Mensch auch andere Aspekte des Klimas beeinflusst. Dazu gehören die Meereis-Bedeckung, Hitzewellen, die Luftzirkulation, Sturmbahnen und der Niederschlag."

    Das alles sind Zitate aus einem Dokument, das im Februar 2007 offiziell erscheinen soll. Es ist der neue Sachstandsbericht der Vereinten Nationen, erstellt vom Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen, IPCC. Dieses Expertengremium ist so etwas wie der Welt-Sachverständigenrat in Klimafragen. Und der Report, den die Weisen des IPCC alle paar Jahre veröffentlichen, so etwas wie die Bibel des Faches.

    Hunderte Wissenschaftler in aller Welt haben an dem inzwischen 4. Bericht zur Lage mitgeschrieben. Das Material ist zwar streng vertraulich; Entwürfe des Reports sollten auch jetzt noch lediglich zwischen Autoren, Fachgutachtern und Regierungen kursieren. Doch zeitweilig war es möglich, im Internet darauf zuzugreifen - auch auf die "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger".

    Der Report ist eine Anklageschrift, die darlegt, wie der moderne Mensch das Klima der Erde zunehmend durcheinander bringt. Zugleich ist es eine Faktensammlung, aus der die internationale Klimapolitik ihre Berechtigung zieht. Denn der UN-Bericht entwirft auch Szenarien für die Zukunft, und sie zeigen, was geschieht, wenn sich Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan weiter ungebremst in der Atmosphäre anreichern ...

    "Die globale mittlere Oberflächentemperatur nimmt seit 1850 zu. Der lineare Erwärmungstrend für die Zeit von 1901 bis 2005 beträgt 0,65 Grad Celsius."

    "Projektionen ergeben für den Zeitraum von 1990 bis 2100 eine Erhöhung der mittleren globalen Erdoberflächen-Temperatur von 1,5 bis 5,8 Grad Celsius - je nach Entwicklung der Treibhausgas-Konzentrationen. Am wahrscheinlichsten ist ein Zuwachs von rund drei Grad."

    "Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es weniger als 1,5 Grad Celsius sein werden."

    "Selbst wenn der Anstieg der Treibhausgas-Konzentrationen von heute auf morgen gestoppt würde, müsste für Jahrzehnte mit einer weiteren Erwärmung von einem Zehntel Grad pro Dekade gerechnet werden. Das liegt an der langsamen Reaktion des Klimasystems."

    Tatsächlich wird die Erwärmung viel stärker ausfallen. Denn die Länder der Erde verbrennen weiter unbeirrt fossile Energieträger, und der Ausstoß von Kohlendioxid nimmt nicht ab, sondern zu. Nach dem Kioto-Klimaschutzprotokoll soll die Emission von Treibhausgasen bis zum Jahr 2010 um rund fünf Prozent niedriger sein als 1990. Mehr als 40 Industriestaaten und Länder des früheren Ostblocks haben sich diesem Ziel verpflichtet. Doch die Realität sieht anders aus:

    " Nach dem jetzigen Stand müssen wir davon ausgehen, dass die Emissionen der Industrieländer und der früheren Ostblockstaaten bis zum Jahr 2010 um insgesamt 11 Prozent steigen. "

    Der russische Ingenieur Sergey Kononov, Mitarbeiter im Klima-Sekretariat der Vereinten Nationen in Bonn. Dort arbeitet auch der Isländer Halldor Thorgeirsson, als Leiter des Expertenstabs für Wissenschaft und Technik. Die Zahlen zu den Treibhausgasen ernüchtern auch ihn:

    " Wir haben nicht mehr die Chance, den Klimawandel aufzuhalten. Man muss eher sagen: Wir geraten immer mehr in eine Situation, in der es nicht mehr darum gehen kann, Schäden zu vermeiden, sondern sie allenfalls zu minimieren. Deshalb ist es wichtig, Wege und Mittel zu finden, um die Auswirkungen des Klimawandels gering zu halten. "

    Damit hebt der UN-Experte vor allem auf Wetterextreme ab: auf Dürre-Perioden, die länger andauern dürften, und auf Niederschläge, die seltener fallen, dafür aber um so intensiver werden in einem sich weiter aufheizenden Treibhaus Erde.

    Das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg zählt zu den Forschungseinrichtungen, die die Klimaszenarien für den kommenden IPCC-Bericht berechnet haben. Mit Hilfe von leistungsstarken Supercomputern wurde dabei die mögliche Entwicklung bis zum Jahr 2100 simuliert, unter der Leitung des Meteorologen Erick Roeckner. Die Hamburger Modell-Läufe bestätigen, dass auch Mitteleuropa auf extremere Wetterverhältnisse zusteuert:

    "Bezüglich des Niederschlages werden wir im Winter mit höheren Niederschlägen zu rechnen haben - vorwiegend in der Form von Regen, weniger von Schnee, weil sich die Temperatur erhöht um vielleicht zwei Grad, drei Grad innerhalb dieses Jahrhunderts in Mitteleuropa."


    "Im Mittel hat es zwischen dem 10. und 30. nördlichen Breitengrad seit etwa 1970 weniger Niederschlag gegeben. Dagegen sind die Regenmengen oberhalb des 30. Breitengrades in beiden Hemisphären gestiegen."

    "Es lässt sich eine weiträumige Zunahme von Starkniederschlägen beobachten - selbst in Regionen, in denen die Regenmenge insgesamt abgenommen hat."

    "Die Niederschläge werden generell in trockenen Regionen weiter abnehmen und in feuchten weiter zunehmen. Es ist zu erwarten, dass Stürme in mittleren Breiten seltener auftreten, dafür aber stärker werden - verbunden mit extremen Wellenhöhen [an der Küste] und erhöhten Schäden [an der Infrastruktur]."

    "Wir fahren jetzt über die Luitpoldstraße zum Bahnhof. Und dann fahren wir weiter zur Unterführung Fredenaustraße, die also am 21.7. überschwemmt war."

    Ortstermin in Mering, einer Marktgemeinde mit 13.000 Einwohnern zwischen Augsburg und München. Ulrich Meissen und sein Kollege Daniel Faust vom Berliner Fraunhofer-Institut sind angereist. In einem Mehrzweckfahrzeug der Feuerwehr lassen sie sich durch den bayerischen Ort chauffieren. Am Steuer sitzt Johann Kroner, der Chef der Freiwilligen Feuerwehr von Mering, im Fonds Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung. Unter ihnen auch Richard Sedlmeir, im Rathaus zuständig für die elektronische Datenverarbeitung ...

    "Die nächste Station wird sein der Hörlgraben im Osten von Mering. Bei Starkregen schwillt der also sehr stark an. Ansonsten ist das ein sehr unscheinbares Bächlein, 50, 70 Zentimeter Breite. Und vielleicht 20, 30 Zentimeter Tiefe. Aber bei Hochwasser kann es schon vorkommen, dass der über die Ufer tritt."


    Mering ist der Ort, der für das SAFE-Projekt ausgewählt wurde. Die Kommune, die als erste in Deutschland einen Schutzschirm aus Dutzenden Unwetter-Frühwarn-Sensoren bekommen soll. Deshalb die Inspektionsfahrt im Feuerwehr-Transporter. Die SAFE-Projektkoordinatoren Meissen und Faust lassen sich die Stellen im Ort zeigen, an denen Straßen und Häuser bei Starkniederschlägen unter Wasser stehen. So wie beim Pfingsthochwasser in Bayern in diesem Jahr, von dem auch Mering betroffen war:

    "Wir hatten das bei den großen Hochwasser-Ereignissen, bei der Elbe, dass die eigentlichen schlimmen Sachen eben auch durch die kleinen Nebenflüsse passiert sind. Und wir haben das jetzt in den Alpen auch immer wieder, dass die ganz kleinen Gewässer - eben auch so was hier wie der Hörlgraben - bei kurzzeitigen Starkregenereignissen hoch ansteigen. Der ist eigentlich ganz niedlich, mit ein bisschen Grün, ein paar Bäumen, schönen Pflanzen rundherum. Man könnte nie annehmen, dass so ein Gewässer eigentlich Schwierigkeiten bereiten könnte." "Von den Anwohnern werden sie nicht unterschätzt. Denn die haben die entsprechenden Erfahrungen." "Wir haben den Hörlgraben ja noch ein ganzes Ende weiter und auch durch so ein Neubau-Wohngebiet. Und dort sind schon Keller vollgelaufen, einfach weil er extrem angestiegen ist." "Die Abläufe, die Schadensabläufe sind extrem schnell. Und bisher hat man da noch sehr wenig Technologien, etwas dagegen zu tun."

    Was lässt sich denn überhaupt noch machen, wenn ein gewaltiges Sommergewitter heraufzieht und droht, riesige Regenmengen über Mering auszuschütten? Wenn sich der Himmel rasend schnell verdunkelt und auch Ulrich Meissen eingestehen muss, dass gar nicht viel Zeit bleibt von der ersten Unwettermeldung der Außensensoren bis zum Wolkenbruch, der Bäche und Flüsse zum Überlaufen bringen könnte:

    "Also, da reden wir dann über eine Stunde bis zu zehn Minuten, die wir dann nur noch Zeit haben."

    Die Idee von SAFE ist es deshalb nicht nur, ein dichtes Netz von Warnsensoren um Mering herum zu knüpfen und genau, lokale Unwetter-Vorhersagen zu erstellen. Es soll auch - Zitat! - "eine informationslogistische Plattform" geschaffen werden, "die auf Grundlage der Prognosen angemessene Gefahrenabwehr-Prozesse einleitet" ...

    "Bei dem SAFE-Projekt stehen vor allem auch die Betroffenen und die Aktionen, die vor Ort getroffen werden müssen, im Vordergrund. Nur dann wird etwas aus dieser gesamten Warnkette: Ich erkenne eine Gefahr, und ich leite sie weiter. Ich analysiere sie und gebe sie dann an die Betroffenen weiter. Und gebe ihnen auch noch ein paar Tipps mit, was sie dann wirklich machen können."

    Unwetter-Katastrophen seien häufig auch Informationskatastrophen, sagt Meissens Kollege Daniel Faust. Die Warnungen der Wetterdienste vor Gewitterregen oder Hagelschauern erreichten die Bevölkerung in der Gefahrenzone oft nicht. SAFE soll das ändern - durch individuell abgestimmte Informationen und die Einbindung von Internet und Mobilfunk:

    "Letztlich ist angedacht, dass man verschiedene Nutzergruppen hat, die diese Informationen erhalten. Einerseits die Einsatzkräfte, dass sie selber wissen, was los ist. Andererseits man vielleicht auch - über technische Systeme - daran denkt, die Bevölkerung ein bisschen besser noch zu informieren. Also, wenn Sie eine SMS bekommen: Jetzt kommt das Gewitter Soundso, um 13:15 Uhr trifft es in der Marktgemeinde Mering da und da ein. Dann können Sie gerne noch im Internet nachgucken: Wie groß ist denn die Radarkeule? Wie schnell zieht sie denn? Wohin zieht sie denn genau? Und welche Ortsteile sind wie stark von welchem Wetter dann betroffen."

    Bewegt sich die Starkniederschlags-Zelle tatsächlich auf das eigene Heim zu, soll noch Zeit bleiben, die Fenster zu schließen und gegebenenfalls auch die manuelle Rückstauklappe in der Abwasserleitung:

    "Wenn jetzt das Wasser durch Gegendruck, sei es durch Überschwemmungen im Kanalsystem, zurückgedrückt wird, dann würde dieses Wasser in den Keller zurücklaufen. Um das zu verhindern, baut man in gefährdeten - nur in gefährdeten - Gebieten Rückstauklappen ein. Wir wollen in SAFE die Unterstützung bieten, dass wir bei Starkregen-Ereignissen die Leute zusätzlich dazu informieren, das heißt: Pass auf, Deine Rückstauklappe müsste jetzt zugehen! Erstens: Benutze Deine normalen Wasseranschlüsse nicht, weil das Wasser nicht abfließen kann. Die Rückstauklappe ist zu oder müsste zu sein. Und zweitens: Wenn Du Dir nicht sicher bist, guck' doch mal im Keller, ob sie zu ist."

    Die SAFE-Forscher stellen sich sogar vor, dass ihr Frühwarnsystem selbständig in Aktion tritt - und manche Prozesse bei einem Unwetter in Mering automatisch in Gang setzt:

    "Wir haben vielleicht ein Einfamilienhaus, wo wir auch Fenstersteuerung oder Jalousiensteuerung versuchen einzusetzen. Und die Rückstauklappen. Es gibt vollautomatisch steuerbare Rückstauk(l)appen, die man auch elektronisch abfragen kann. Und wo man dann nicht mehr die Person informieren muss. Dort gibt es standardisierte Protokolle zum Eingriff in die Gebäudesteuerungstechnik. Es ist ähnlich, als wenn Sie einen Computer fernwarten. Das haben Sie heute schon. Und das wird alles über das Internet abgewickelt."


    Das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik hat bereits ein Unwetter-Frühwarnsystem entwickelt, im Auftrag des Verbandes der öffentlichen Versicherer. Es heißt WIND und informiert Endnutzer auf Wunsch per E-Mail, SMS oder Faxbrief über bevorstehende Wetterkapriolen. Über 40.000 Firmen, Kommunen und Privatpersonen in Deutschland und Österreich sind inzwischen angemeldet. Das Folgeprojekt SAFE ist aus der Sicht von Ulrich Meissen der nächste logische Schritt:

    "Wir sind in einem Forschungsprojekt. Ich kann mir aber vorstellen, dass das Forschungsprojekt SAFE in der Vision langfristig die Grundlagen für lokale Frühwarnsysteme vor Extremwetter in Deutschland und in Europa legen wird, die sowohl die Information der Betroffenen als auch die Steuerung von telematischen Systemen mit berücksichtigt, um dann einen optimalen Schutz vor Extremwettern zu realisieren."


    "Die lange Lebensdauer von Kohlendioxid in der Atmosphäre führt dazu, dass der Klimawandel Jahrhunderte lang andauern wird. Wenn die Temperaturen global weiter steigen, ist zu erwarten, dass der Ozean und die Pflanzenwelt allmählich ihre Fähigkeit verlieren, einen Teil der Kohlendioxid-Emissionen aufzunehmen. Dieser Rückkopplungs-Effekt könnte für eine zusätzliche Erwärmung von bis zu 1,2 Grad Celsius im Jahr 2100 sorgen."

    "Klimamodelle legen nahe, dass der grönländische Eisschild großflächig abtauen könnte, wenn es zu einer globalen Erwärmung um weitere 2 Grad Celsius kommt. Dadurch würde der Meeresspiegel im Laufe von Jahrhunderten um mehrere Meter steigen. Dieser kritische Schwellenwert der Erwärmung könnte unter Umständen noch während des 21. Jahrhunderts erreicht werden."

    Nach der Veröffentlichung seines 3. Sachstandsberichtes vor fünf Jahren ist der IPCC noch angefeindet worden. So genannte Klima-Skeptiker monierten, es sei gar nicht sicher, dass der Mensch die treibende Kraft hinter der Erderwärmung sei. Ein paar Kritiker äußern auch heute noch unverdrossen ihre Zweifel. Doch sie sind längst als Handlanger der wenigen Ölkonzerne entlarvt, die noch immer so tun, als hätte die Verbrennung fossiler Energieträger nichts mit dem Treibhauseffekt zu tun.

    Der Entwurf für den neuen, 4. IPCC-Report lässt erkennen, dass die internationale Klimaforschung keinerlei Abstriche an ihren früheren Befunden machen muss. Im Gegenteil: Es ist inzwischen klar, dass sich der Erwärmungstrend seit etwa zwei Jahrzehnten sogar noch zuspitzt und seine Folgen eher unterschätzt worden sind.

    Gletscher schmelzen schneller, als es die Klimamodelle erwarten lassen: in Grönland, in der West-Antarktis und auch auf den Berggipfeln der Kontinente.

    Die Rate, mit der der Meeresspiegel gegenwärtig steigt, musste nach oben korrigiert werden.

    16 der letzten 17 Jahre waren wärmer als im langjährigen Mittel, wie kürzlich auf einer Fachtagung des Umweltbundesamtes bilanziert wurde ...

    "Das Bild wird eigentlich immer pessimistischer", "

    sagt deshalb auch Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung ...

    " "Der Zielpunkt ist gegenwärtig die Vermeidung einer Temperaturerwärmung um mehr als zwei Grad. Wenn wir über zwei Grad hinausgehen, dann sind die globalen Schäden so groß, dass man sie kaum noch beherrschen kann."

    In der Europäischen Union ist das die offizielle Klima-Doktrin: auf jeden Fall noch unter der Zwei-Grad-plus-Schwelle zu bleiben. Um zu vermeiden, dass Grönlands Eispanzer irgendwann komplett abtaut. Oder dass die Weltmeere durch den fortwährenden Eintrag von Kohlendioxid zu stark versauern und ganze Organismengruppen im Ozean dadurch ihre Lebensgrundlage verlieren. Diese Position der EU stützt sich auf die Befunde der UN-Klimasachverständigen.

    Doch es stellt sich die Frage: Wie realistisch ist eine solche Hoffnung überhaupt noch?

    "Momentan sieht es nicht so aus, als wäre das Ziel erreichbar."



    Das ist die nüchterne Einschätzung des Hamburger Max-Planck-Forschers Erich Roeckner, der weiß: Fast alle Klimasimulationen für den neuen IPCC-Bericht landen bei einer globalen Erwärmung von mehr als zwei Grad Celsius bis 2100. Und das selbst für den Fall, dass sich der Trend der Treibhausgas-Zunahme in den nächsten Jahrzehnten umkehrt ...

    ... was nicht unbedingt wahrscheinlich ist, wenn man sieht: Große Industriestaaten wie die USA und Australien wollen vom Kioto-Protokoll weiterhin nichts wissen. Und auch für aufstrebende Schwellenländer wie China und Indien gibt es bisher keinerlei Verpflichtung, ihre Treibhausgas-Emissionen zu drosseln - obwohl sie rapide nach oben gehen ...

    "Also, 50 Meter."

    "So, damit wir mal einen kleinen Eindruck bekommen von der Kraft des Windes bei dieser Geschwindigkeit."

    Zurück im Windkanal der Adolf Thies GmbH in Göttingen ...

    "... aber aufpassen, dass hier nichts passiert, weil das schon sehr starke Kräfte sind. Das Rauschen, das wir jetzt hören, das ist zum einen der Prüfling, der sich jetzt mit 50 Meter pro Sekunde dreht, und zum anderen natürlich die Turbine des Windkanals."

    dass Laborleiter Thomas Stadie hier bald neue, smarte Unwettersensoren für das SAFE-Projekt bei Orkanstärken testen darf, hat er im Prinzip dem Versagen der internationalen Klimapolitik zu verdanken ...

    "Da hat jetzt der Kollege wahrscheinlich den Motor zurückgestellt hier. Das ist die automatische Positioniervorrichtung, die wir gerade im Betrieb hier hören. Da kann man sehen, dass wir verschiedene Winkel anströmen können. Wir wollen ja nicht den Kanal verstellen. Das wäre' viel zu schwierig. Deswegen positionieren wir einfach den Prüfling um dann."

    Die Vorgaben des Kioto-Protokolls werden nur von den wenigsten Ländern erfüllt. Und selbst wenn es anders wäre: Der Klimawandel würde laut Hans-Joachim Schellnhuber auch dann praktisch unverändert voranschreiten:

    "Physikalisch ist der Effekt fast null. Es wird also den Erwärmungstrend fast überhaupt nicht abschwächen. Um ein Zehntel oder Zwanzigstel Grad vielleicht."

    Bisher war es verpönt, laut über Strategien zur Anpassung an den Klimawandel nachzudenken. Das sei das falsche Signal, hieß es. Man müsse das Problem an der Wurzel packen und die Treibhausgas-Emissionen drosseln. Ein durchaus logischer und ehrenwerter Gedanke. Doch inzwischen ist offensichtlich, dass dieses Konzept nicht aufgeht, jedenfalls nicht schnell genug. Zu sehr sind Industrie- und Schwellenländer noch immer auf klimaschädliche, fossile Energieträger angewiesen. Und das wird noch für Jahrzehnte so bleiben ...

    "Wir öffnen die Tür und gehen mal in den Messraum ..."

    Jetzt erscheinen Ideen für eine bessere Klima-Adaption sogar als klug und überfällig. Jetzt darf auch das Bundesforschungsministerium ein erstes Verbundprojekt wie SAFE fördern. Rund drei Millionen Euro stehen dafür insgesamt zur Verfügung.

    Das ist allerdings nicht viel, wenn man bedenkt, dass der geplante Schutzschirm aus Dutzenden Messsensoren gleich an zwei Modell-Standorten in Deutschland aufgespannt werden soll. Nicht nur in Mering, sondern auch in Burghausen an der Grenze zu Österreich.

    Dort sitzt das Chemie-Unternehmen Wacker, ein Hersteller von hochreinem Silizium. Auch Wacker will sich besser vor Unwettern schützen. Denn die können zu teuren Produktionsausfällen führen. Deshalb ist die Firma beim SAFE-Projekt mit dabei. Als Prototyp für einen Industriestandort.

    Auf Thomas Stadie und seine Mitarbeiter in Göttingen kommt jetzt noch eine Menge Entwicklungsarbeit zu. Zweckmäßig und belastbar, aber auch billig muss ihr neuer Warnsensor sein. Heutige Standard-Instrumente sind zu teuer:

    "Dieser Sensor soll eigentlich eine ähnliche Aufgabe wie der Meteorologe übernehmen, nur eben automatisiert. Das heißt, optisch schaut er: Es regnet. Was regnet es? Wie viel regnet es? Das ist eine Laser-Optik. Also, wir arbeiten grundsätzlich erstmal mit einem Lasersignal. Wir messen eigentlich die Störung, die durch Niederschlag, Regen, Schnee, Hagel erzeugt werden. Und dann kann man natürlich noch ein paar andere Sensoren da anschließen wie zum Beispiel Windgeschwindigkeit, Temperatur. Diese Produkte haben wir ja, sicherlich nicht in dieser komprimierten Form. Das heißt, da müssen wir uns auf einem ganz anderen Preisniveau bewegen und auch von den mechanischen Dimensionierungen noch kleiner werden."

    Parallel dazu wird Informatiker Daniel Faust am Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik das Gehirn von SAFE installieren. Den Internet-Server, auf den alle Projektbeteiligten zurückgreifen werden. Und die informationslogistische Plattform, wie Faust sie nennt. Also das System, das die Daten der Messsensoren in Mering und Burghausen verarbeitet, sie in verständliche Unwetterwarnungen übersetzt - und die Alarmmeldung dann auch noch vollautomatisch an die Nutzer von SAFE versendet:

    "Also wir haben jetzt den Vorlauf, wo wir alle Anforderungen aufnehmen. Wo wir die Modelle bilden. Und Mitte bis Ende 2007 werden wir die gesamte Entwicklung durchführen. Es gibt haufenweise Software-Entwicklungen. Wir müssen sehr viel auch an Technologien verknüpfen miteinander. Die entsprechenden Einzelteile der Partner wie Sensorik, Prognoseplattform, die Informationslogistik-Plattform zusammenbringen. Bis zum Ende 2007 wollen wir das erreicht haben. Und dann im Jahre 2008 mit einem Pilotversuch starten, wo wir dann also insbesondere in den Sommermonaten diese kurzen Starkregen-Ereignisse unter die Lupe nehmen."

    Doch SAFE kann nicht alles sein. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass sich Städte und Industriebetriebe in Deutschland alle mit Sensor-Schutzschirmen umgeben. Man verlöre dann auch andere Dinge aus dem Blick, die das Problem der Unwetterschäden verschärfen ...

    ... zum Beispiel, dass an vielen Flussläufen immer noch Rückhaltebecken oder Überflutungsflächen fehlen, die Hochwasser aufnehmen und kritische Pegelstände vermeiden könnten. Und dass es Bundesländer nicht fertig bringen, sich auf ein abgestimmtes Fluss-Gebietsmanagement zu verständigen.

    Auch auf anderen Feldern der Klima-Adaption bleibt noch viel zu tun. Deiche müssen vermutlich erhöht, neue Konzepte für eine Architektur entwickelt werden, damit Großstädte nicht zu noch stärkeren Hitzeinseln geraten. Und es dürfte auch kein Weg daran vorbei führen, wärmetolerante Agrarpflanzen auf deutschen Feldern zu erproben ...

    "Von allen zukünftigen Treibhausgas-Emissionen ist zu erwarten, dass sie das Klima des 21. Jahrhunderts global und regional verändern."

    In Kenias Hauptstadt Nairobi beginnt morgen die inzwischen 12. Weltklimakonferenz. Wie immer sind Unterhändler fast aller Staaten der Erde vertreten. Die Konferenz-Teilnehmer haben eine Verantwortung. Sie alle kennen die Entwürfe für den neuen Sachstandsbericht des IPCC. Sie alle wissen, was darin schwarz auf weiß geschrieben steht:

    dass das Fieber der Erde weiter steigt ...

    dass sich die Klimaerwärmung neuerdings sogar beschleunigt ...

    ... und dass die Zeit für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen immer knapper wird.

    Die Vertragsstaaten müssen auf jeden Fall viel schärfere Reduktionsziele für die Zeit nach 2012 vereinbaren. Und sich dann auch daran halten, um den Schaden wenigstens noch zu begrenzen.

    Die Fakten liegen auf dem Tisch. Der deutsche Klimaexperte Hans-Joachim Schellnhuber bemüht sie noch einmal: Der Ausstoß von Kohlendioxid in den Industriestaaten muss bis zur Jahrhundertmitte auf etwa ein Drittel gesenkt werden. Dazu ist die Wende von fossilen zu erneuerbaren, klimaverträglichen Energieträgern zügig voranzutreiben ...

    "In den nächsten zehn, 15 Jahren müssen diese Investitionsentscheidungen getroffen werden ganz massiv. Und wenn es nicht gelingt, dann sind wir allerdings auf dem Weg, über die zwei Grad weit hinaus zu schießen. Und dann können wir Wissenschaftler nicht mehr garantieren dafür, dass das noch beherrschbar sein wird."