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"Währungsunion hat einen Konstruktionsfehler"

Die Debatte um die Lösung der Euro-Krise sei kompliziert, sagt der polnische Botschafter Marek Prawda. Die "Reparaturarbeiten" an der Finanzunion müssten vorgenommen werden, bevor es wieder konkret um die Einführung des Euros in Polen ginge.

Marek Prawda im Gespräch mit Sabine Adler | 26.08.2012
    Sabine Adler: Marek Prawda, Sie gehen jetzt als Botschafter für Ihr Land nach Brüssel, waren sechs Jahre lang in Berlin. War Berlin eigentlich eine gute Schule für Brüssel. Kann Kanzlerin Merkel mit einer stärkeren Achse Warschau – Berlin rechnen?

    Marek Prawda: Deutschland ist ein Land, in dem eine rege Europa-Debatte geführt wird. Während der Verschuldungskrise haben alle nach Berlin geschaut, das ist auch nicht verwunderlich angesichts der Bedeutung des Landes. In dem Sinne war mein Aufenthalt eine durch und durch europäische Erfahrung, eine gute Schule. Und über die Zusammenarbeit Warschaus und Berlins kann man viel Positives erzählen in den letzten Jahren. Diplomaten reden ungern von "Achsen" – oder vorsichtig. Aber es ist allemal eine neue deutsch-polnische Erfahrung, dass man entdeckt hat, dass es eine Übereinstimmung gibt – ein Grundkonsens in vielen wirtschaftlichen und finanziellen Fragen.

    Adler: Das konnte man ja nun nicht unbedingt 2006, als Sie gekommen sind, behaupten. Das war ja eine ziemlich schwierige Zeit im deutsch-polnischen Verhältnis. War das eigentlich als Botschafter schwierig, mit einem Präsidenten Kaczynski und einem Premier Kaczynski an der Spitze des Landes nach Deutschland zu gehen, die beide ja nun wirklich nicht gerade als deutschfreundlich bezeichnet werden konnten oder können.

    Prawda: Ja, es war eine andere Zeit – kurz nach dem Beitritt zur EU. Die historischen Themen waren aktuell und sorgten ab und zu für Spannungen. Aber Diplomaten sind dafür da, ja nicht nur angenehme Sachen zu machen, sie sind auch gefragt, die Probleme zu lösen. Deshalb habe ich mich damals auch gebraucht gefühlt.

    Adler: Das heißt, da ist dann die hohe Schule auch gefragt, die diplomatische Fähigkeit.

    Prawda: Diplomatie ist eben dafür da, auch indirekte Wege zu einem deutsch-polnischen Verhältnis zu suchen.

    Adler: Gibt es ein Beispiel, was Sie sagen können, wie Sie diese wirklich schwierige Situation mit den Kaczynski-Brüdern an der Spitze und Deutschland meistern konnten? Darf man heute über ein Beispiel reden, wo Ihnen dieses gelungen ist?

    Prawda: Ach, für mich war es wichtig, dass zu dieser Zeit sehr viele hochrangige deutsche Politiker auch daran interessiert waren, eine Analyse der Entwicklung Polens besser zu verstehen. Und das gab mir sogar sozusagen eine privilegierte Position, weil meine Expertise gefragt war. Und manchmal hörte ich aus Polen eine sehr mutige oder direkte Äußerung, da habe ich mir gedacht, mein Kommentar wird den Tag darauf bestimmt geschätzt. Das ist nicht schlecht, wenn Diplomaten sich gefragt fühlen. Es ist gerade in einer ruhigeren harmonischen Zeit vielleicht anders, wo die Politiker denken, ohne Botschafter, ohne Diplomaten auskommen zu können. Das ist wiederum nicht mein Traum.

    Adler: Und andererseits ist es ja auch so, dass das Interesse an Polen oder an den deutsch-polnischen Beziehungen mitunter dann auch größer ist, wenn es eben Spannungen gibt. Nicht dass wir uns diese Spannungen wünschen, aber das Interesse, hinzuschauen auf den Nachbarn, ist ja mitunter größer.

    Prawda: Ja, das gibt mir auch ab und zu die Möglichkeit, etwas zu erzählen, was mir interessant erscheint, obwohl ich meistens gefragt werde zu den Themen, die ich überflüssig finde. Das gehört auch zu dieser Erfahrung. Aber das ist klar, solche Spannungen erzeugen ein Interesse. Und es ist schon eine halbe Miete, wenn ein Land das Interesse weckt.

    Adler: Sie haben einmal wirklich richtig Staub aufgewirbelt, als Sie sich zu einem Konflikt geäußert haben, der leider Gottes immer noch besteht. Es geht um den Diebstahl von Landmaschinen, Mähdreschern, Traktoren usw. an der deutsch-polnischen Grenze. Damals sind Sie ziemlich deutlich geworden. Dennoch, dieses Problem besteht nach wie vor. Nach wie vor werden Maschinen, teure Maschinen, geklaut und landen in Polen oder weiter im Osten. Hat die Politik versagt, wird zu wenig hingeschaut?

    Prawda: Ja, Anfang des Jahres haben wir uns gerade bemüht. Damals war ich ständig im Kontakt mit Ministerpräsident Platzeck und dem Innenminister Woidke in Brandenburg, und auch Kollegen in anderen angrenzenden Ländern. Auf diese Petition des Landtages zum Thema Agrar- und Baumaschinen haben wir damals so reagiert, dass wir ein Treffen hier in der Botschaft organisiert haben mit Vertretern der Polizei aus Warschau und mit hochrangigen Polizisten aus allen angrenzenden Regionen in Polen. Und damals wurde eine Verdichtung der Zusammenarbeit vereinbart. Das hat sich aus meiner Sicht verbessert. Wir haben immer mehr Beispiele von gemeinsamen Aktionen, vor allem von der Prävention, die klappt. Was ich immer gesagt habe und was ich auch heute wiederhole, ist, dass wir eine enge Zusammenarbeit von beiden Polizeien brauchen und auch gemeinsame Prävention. Gestern hat man gerade zwei Agrarmaschinen in Polen sichergestellt, die in Deutschland gestohlen wurden. Und es wurden auch beide Täter, übrigens Deutsche, in Polen festgenommen. Aber es war möglich durch eine schnelle und gute Aktion auf beiden Seiten. Man hat mir auch mal von einem Fall erzählt, wo 13 Agrar- und Baumaschinen in Polen sichergestellt wurden. Aber in allen Fällen wurden diese Maschinen in Deutschland, in einer deutschen Stadt, bei einer deutschen Firma legal gekauft. Das heißt, jemand hat gewaschen.

    Adler: Da hat man Hehlerware verkauft.

    Prawda: Genau. Und die Unternehmer in Polen, die gebrauchte Maschinen gekauft haben, haben sich sehr gewundert und empört, dass man von ihnen etwas will. Vielleicht ist das eine Ausnahme. Aber es ist wirklich wichtig, dass wir hier zusammenarbeiten. Und was man in Deutschland vielleicht weniger weiß: Die polnische Polizei hat in den letzten 20 Jahren wirklich sehr viel getan, um diesem Phänomen vorzubeugen. Im Jahr 2000 wurden in Polen fast 80.000 Autos gestohlen, und jetzt werden höchstens 16.000 Autos im Jahr gestohlen. Das ist ein enormer Unterschied, und das war möglich durch neue Sicherungsvorkehrungen und durch sehr gezielte Aktionen der Polizei. Das heißt, dass die polnischen Kollegen wirklich offen sind. Und ich bin sehr, sehr zufrieden, dass unsere Vorschläge auch von der deutschen Seite angenommen wurden.

    Adler: Das Interview der Woche mit dem scheidenden Botschafter Marek Prawda, der von Berlin nach Brüssel geht. Sie kommen nach Brüssel direkt in einer Phase, wo über den Haushalt geredet wird, über den Haushalt der kommenden Jahre. In der polnischen Politik oder überhaupt in der polnischen Öffentlichkeit kann man beobachten, dass die Vorgänge in Deutschland - in Brüssel auch - aber in Deutschland immer sehr, sehr genau bewertet werden, kommentiert werden. Unter anderem wird im Zusammenhang jetzt mit den Haushaltsberatungen in Brüssel von der Opposition unterstellt, dass Berlin diese Haushaltsberatungen zum Druckmittel benutzt, um den Polen zu sagen: Kommt in die Eurozone, und wenn Ihr nicht in die Eurozone kommt, gibt es weniger Mittel. Ist dieser Vorwurf der Opposition berechtigt? Ist das richtig, dass Berlin mit solchen Druckmitteln zusätzlich arbeitet?

    Prawda: Also, ich fühle mich eigentlich nicht bedrängt. Es wird die Frage diskutiert, ob Polen bereit und willens ist, dem Euro beizutreten. Wir sehen alle, dass die Wirtschafts- und Währungsunion einen Konstruktionsfehler hat. Es ist wichtig, diesen Fehler zu reparieren – für die Deutschen, um der Bevölkerung zu sagen, dass es sich lohnt, dort zu bleiben, und für die Polen, um der Bevölkerung zu sagen, dass es sich lohnt, dem Euro beizutreten. Deshalb ist es logisch, dass wir im Moment an diesen Reparaturarbeiten uns beteiligen, und dann die Entscheidung treffen, wann und wie wir der Eurozone beitreten. Polen verhält sich in diesen Gesprächen wie ein Insider. Das heißt, wir wollen durchaus unsere Meinung sagen, unsere Erfahrungen auch nutzen, um auch mit einem Rat dabei zu sein, damit diese Konstruktionsfehler einer Zone beseitigt werden, der wir ja beitreten wollen.

    Adler: Andererseits ist die Zeit so ungünstig wie nie, wegen der Eurokrise natürlich oder der Schuldenkrise auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch, weil die Stimmung in Polen dem Euro gegenüber denkbar schlecht ist. 66 Prozent der Menschen sind gegen den Euro, nur 25 Prozent sind für den Euro. Sind der polnischen Regierung, sind am Ende jeder polnischen Regierung bei solchen Zahlenverhältnissen nicht die Hände gebunden? Kann eine polnische Regierung überhaupt dem Euro beitreten?

    Prawda: Also, für die Regierung in Warschau ist das ein Hinweis, dass es im Moment nicht die Zeit ist, eine forcierte politische Debatte zu führen, weil man sie heute oder morgen nicht gewinnen kann. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, die Kriterien so schnell wie möglich zu erfüllen, um zu sagen: Polen ist auf dem Pfad zum Euro.

    Adler: Das Kriterium, was derzeit nicht erfüllt wird, ist im Moment das Defizitkriterium, nicht wahr?

    Prawda: Das Defizitkriterium, obwohl wir in diesem Jahr drei Prozent schon erreichen können. Andere Kriterien werden wir, so sieht das heute aus, vielleicht bis 2015 ohne große Probleme erfüllen können. Aber zu diesem Prozess gehört auch natürlich diese Reparaturarbeit überhaupt in der Europäischen Union, in der Wirtschafts- und Währungsunion. Und erst dann kann man über den Zeitpunkt sprechen.

    Adler: Herr Prawda, Sie haben ja gesagt, in Deutschland führt man eine angeregte Debatte, die Sie ja nun sehr genau verfolgt haben – auch natürlich, um Ihrer Regierung zu sagen, wie in Deutschland diskutiert wird. Unter anderem wird in Deutschland mit ziemlich deutlichen Worten diskutiert, zum Beispiel von Markus Söder, dem bayerischen Finanzminister, der der Meinung ist, dass man an Griechenland ein Exempel statuieren sollte. Wie fühlt man sich als Ausländer, als Pole, wenn man so etwas hört in Deutschland?

    Prawda: Also, die Debatte um die Lösung der Krise, um die Überwindung der Krise ist objektiv sehr kompliziert. Wir wissen nicht, wem wir glauben sollen. Viele Experten geben uns so unterschiedliche Antworten, dass man depressiv werden kann. Deshalb hat man den Eindruck, dass sich diese Debatte häufig von den Inhalten entfernt und dass wir vielmehr um die Interpretation streiten. Das heißt, jeder versucht eifrig, seine eigene Interpretation durchzusetzen. Und das löst eine Dynamik aus, wo man eben sehr einfache Rezepte sucht, wo man, um die Wähler oder das Publikum zu gewinnen, auch Schuldige denunziert oder Ressentiments auch aktiviert werden. Ich würde sagen, wir sollten vielleicht uns mehr darum bemühen, ein gemeinsames Verständnis der Krise zu erarbeiten. Das heißt, nicht eines der Geber und ein völlig anderes der Empfänger, weil da eine Spaltung, eine Lücke entsteht. Und in diese Lücke kommen diese einfachen Rezepte oder populistische Vorschläge. Aber wenn Sie mich fragen, was mir dazu als Pole dazu einfällt, sage ich auch, dass wir in diesem Zusammenhang an die polnische Erfahrung von 1989 denken, damals nach dem Systemwechsel. Da hat der erste polnische Finanzminister im unabhängigen Polen, Leszek Balcerowicz, versucht, die Wirtschaft vom Kopf auf die Füße zu stellen. Und damals pflegte er zu sagen, wir haben zwei Wege vor uns: Der eine ist riskant, der andere hoffnungslos. So haben wir uns zu dieser Zeit für eine sehr harte Wirtschaftsreform entschlossen, auch für Strukturreformen. Wir wissen, was das kostet, aber heute haben wir gesehen, dass sich diese schwierigen Reformen ausgezahlt haben, dass sie sich bewährt haben, gerade in der Krise.

    Adler: Polen hat eine Schuldenbremse eingeführt, schon 1997. Und es gibt ein Verständnis vom eigenen polnischen Bankensektor, dass der sozusagen in den nationalen Händen sehr gut aufgehoben ist und besser nicht an die europäischen Hände abgegeben werden sollte. Also, es gibt schon auch so eine Art 'Vorsicht' – freundlich ausgedrückt – was mit der Wirtschaft passiert, wenn Polen tatsächlich der Eurozone beitritt.

    Prawda: Die Bankenaufsicht wird jetzt diskutiert. Wir wissen nicht, wie die europäische Bankenaufsicht aussehen soll, ob die nationalen und europäischen Aufseher zusammenarbeiten. Das wird heute oder in diesen Wochen entschieden werden. Und bei dieser Gelegenheit kommen wir mit unseren Erfahrungen mit der Bankenaufsicht in Polen und mit dem Einlagensicherungsfond. Wir wollen einfach über unsere Erfahrungen erzählen, was aber nicht heißt, dass wir eine nationale Linie hier fahren oder vorziehen. Nur ist es wichtig, dass die Lösungen, die kommen, das, was man bis jetzt erreicht hat, nicht vergeudet oder schmälert, weil wir ziemlich weitgehende Sicherungen eingebaut haben in unsere Gesetzgebung. Und diese Bankenaufsicht gilt als eine effektive, strenge und – würde ich sogar sagen – nachahmenswerte. Das würde ich aber nicht mit einem Postulat verbinden, jetzt Banken in nationalen Händen zu lassen. Das ist etwas völlig anderes. Wir haben mehr als 60 Prozent Banken, die ihre Mutterbanken im Ausland haben. Aber es interessiert uns durchaus, wie diese Bankenaufsicht funktionieren kann.

    Adler: Die polnische Wirtschaft hat hohe Wachstumszahlen aufzuweisen. Für dieses Jahr werden ungefähr drei Prozent Wirtschaftswachstum erwartet. Auf der anderen Seite gibt es eine Entwicklung, von der man eigentlich den Eindruck hat, sie passt nicht so richtig dazu: Junge Leute, junge Polen gehen nach wie vor ins Ausland und suchen dort Arbeit, nach wie vor in Großbritannien, Irland und eben auch: Die größte Einwanderergruppe von Arbeitssuchenden in Deutschland kommt aus Polen. Wie passt das zusammen?

    Prawda: Die Leute, die jetzt ausreisen in den letzten Jahren, die nutzen einfach die Möglichkeiten, die sich durch die Mitgliedschaft in der EU, durch die Öffnung des Arbeitsmarktes ergeben. Aus diesen zeitbegrenzten Aufenthalten werden manchmal Aufenthalte für immer im Ausland. Dann haben wir es mit einer Emigration zu tun. Aber das ist doch etwas anderes. Ich war Botschafter in Schweden – einige Jahre. Und damals gab es mehr als 600 polnische Ärzte in Stockholm und in der Umgebung. Die waren sehr sichtbar. Sie haben die Lücke gefüllt, die die schwedischen Ärzte gemacht haben, weil sie nach Norwegen gingen und auch woanders. Sie gingen nach Norwegen, nicht weil sie hungerten oder weil in Schweden eine schreckliche Krise war, sondern weil sie sich dort gerechter, besser entlohnt fühlten. Und mit diesem Phänomen leben wir in Europa. Was wir in Polen erleben, ist eine massive Nutzung dieses Kalküls, die wir nicht vorschnell als endgültige Emigration bezeichnen sollen. Wenn Sie erlauben, könnte ich nur ganz kurz das Beispiel aus den 80er-Jahren bringen. Also nach der Zerschlagung der Solidarnosc gab es eine große Enttäuschung im Lande. Die Grenzen waren zu oder halb zu. Trotzdem haben fast eine Million Menschen den Weg gefunden, Polen zu verlassen. Man verlässt das Land nicht, weil es dem Lande nicht gut geht, sondern wenn man nicht mehr daran glaubt, dass sich in diesem Lande etwas ändern kann. Das war damals das Motiv für die Menschen, die ausgereist sind in der Überzeugung, nie wieder zurückzukommen: "Hier kommst du zu nichts." Polen wurde zu einer Unwirklichkeit erklärt. Also, man sagte sich, wenn du willst, dass in deinem Leben noch irgendetwas passiert, dann musst du ausreisen. Und das ist im psychologischen Sinne ein ganz anderes Phänomen. Deshalb, um auf Ihre Frage zurückzukommen, lässt sich schon diese relative wirtschaftliche positive Entwicklung mit der Nutzung der Arbeitsmöglichkeiten in Europa erklären.

    Adler: Und es ist dann eben doch nicht vergleichbar. Es ist eine andere Situation als in den 80er-Jahren.

    Prawda: Genau das meine ich, dass man damals einfach aus Verzweiflung für immer ausreisen wollte.

    Adler: Herr Prawda, ich würde gerne noch einen Blick weiter wagen über eine nächste Grenze hinaus, nämlich in Richtung Litauen. Litauen plant im Oktober eine Volksabstimmung über den Bau eines Atomkraftwerkes. In Polen selbst trägt man sich mit dem Gedanken, ein eigenes Atomkraftwerk zu bauen. Weder das litauische AKW noch das zukünftige eventuell polnische AKW tragen zur Beruhigung der deutschen Bevölkerung bei. Wie geht man mit solchen Bedenken um?

    Prawda: Ja, die polnische Regierung hat tatsächlich die Entscheidung für de Bau von Atomkraftwerken bereits getroffen. Der Atomstrom wird den Energiemix vervollständigen. Unter den primären Energieträgern hat Kohle derzeit einen Anteil von 60 Prozent, Erdöl 20, Gas 12 und erneuerbare Energien kommen an 8 Prozent.

    Adler: Wir reden von Polen?

    Prawda: Ja, von Polen, wie das derzeit aussieht. Und der Atomstrom soll diesen Energiemix vervollständigen. Man darf nicht vergessen, dass Polen zum Beispiel für russisches Gas mit die höchsten Preise bezahlt. Wir sind auch nicht die Einzigen in der Region, die sich für Atomkraft interessieren. Natürlich nehmen wir die Kommentare im Ausland wahr, vor allem in Deutschland. Wir nehmen sie sehr ernst. Es gibt viele Kontakte, die auch von unserer Botschaft organisiert werden, oder selbst die Mitarbeiter der Botschaft erklären die Szenarien und die Motive der polnischen Regierung. Meine Kollegen waren in diesem Jahr zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie an einer Sitzung im Landtag teilgenommen haben, um darüber zu diskutieren. Wir wissen, dass das noch ein Thema bleibt.

    Adler: Steht es fest, dass Polen dieses AKW baut?

    Prawda: Also, es gibt eine Entscheidung der Regierung und es gibt Szenarien.

    Adler: Ein anderes Problem, das die polnische Öffentlichkeit sehr bewegt hat in den vergangenen Tagen, war der Besuch von Kyrill, dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, in Polen. Es gab eine gemeinsame Erklärung, eine Versöhnungserklärung. Ist das der von Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, gewünschte Impuls auf ein besseres Verhältnis der beiden Länder?

    Prawda: Ich hoffe sehr. Die gemeinsame Botschaft der Kirchen ist kein politisches Dokument und soll vielleicht nicht zu weit politisch interpretiert werden, aber ich hoffe sehr, dass es Konsequenzen haben wird, sowohl für das Gespräch der Polen und Russen, für die Atmosphäre, wie auch für die politischen Beziehungen. Es soll aber nach den Absichten der Autoren eine Anregung zum geistigen Wandel in den Beziehungen zwischen den Menschen in beiden Ländern sein. Auch nach der Katastrophe des polnischen Flugzeugs bei Smolensk gab es viele Entwicklungen, die auch von einer Erwartung zeugten in beiden Ländern, dass man sich etwas zu sagen hat, dass man eine gemeinsame Sprache sucht. Und so war dieses Dokument ein lange erwarteter Akt. Und wir vergleichen diese Botschaft der Bischöfe mit der Botschaft von 1965, wo polnische Bischöfe ein Versöhnungsangebot an die deutschen Glaubensbrüder gemacht haben. Wir wissen, wie wichtig das damals war für die Beziehungen der beiden Völker. Die Politik hat das etwas später verstanden. Damals gab es noch keine politischen Voraussetzungen, um das vollständig zu nutzen. Die Bischöfe waren sehr kritisiert. Aber mit der Zeit hat sich erwiesen, dass sie der Politik voraus waren und dass sie ein geistiges Klima geschaffen haben, das heute unverzichtbar ist im deutsch-polnischen Verhältnis. Und diese Botschaft 'Wir vergeben und bitten um Vergebung' wurde zum moralischen Standard in unseren Beziehungen. Deshalb freue ich mich sehr, dass eine vergleichbare Sprache jetzt in diesem Dokument enthalten ist. Und ich glaube, dass die große Mehrheit der Bevölkerung das mit Interesse und mit großer Hoffnung aufgenommen hat. Vielleicht noch ein Aspekt: An diesem polnisch-deutschen Beispiel nach 1965 konnten wir sehen, wie wichtig die zivilen Gesellschaften sind für eine Versöhnung von zwei Völkern. Das kann nicht in einem Vakuum stattfinden. Die Politik kann es nicht richten. Das muss organisch wachsen. Deshalb hat aus meiner Sicht dieses Dokument oder diese Botschaft das Potenzial, diese Atmosphäre zu schaffen, in der sich dann Politiker einfacher und unverkrampfter bewegen können.

    Adler: Herr Botschafter, ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch und alles Gute in Brüssel.

    Prawda: Vielen Dank, Frau Adler.

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