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"Wäre das am Nachmittag passiert, dann wären die Leute verschüttet worden"

Geologie.- 7,1 auf der Richterskala - mindestens so stark war das Erdbeben, das am Samstag auf der Südinsel Neuseelands für große Verwüstung sorgte. Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich berichtet im Interview mit Ralf Krauter.

06.09.2010
    Ralf Krauter: Den Bewohnern von Christchurch wird das Wochenende noch lange in Erinnerung bleiben. Am Samstag Morgen um 4.35 Uhr erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,1 die 400.000-Einwohner-Stadt in Neuseeland. Zahlreiche Häuser stürzten ein, es gab viele Verletzte und Obdachlose und inzwischen über 30 größere Nachbeben. Frage an meine Kollegin Dagmar Röhrlich, unsere Expertin für Geologie und Erdbeben: Es war in Neuseeland das stärkste Beben seit fast 90 Jahren. Wo genau lag das Epizentrum?

    Dagmar Röhrlich: Das Ganze erinnert die Experten an dieses große Beben von Haiti, was wir vor weinigen Monaten hatten. Das Epizentrum war nämlich sehr flach, etwas zehn Kilometer tief und lag wenige Kilometer von einer Großstadt entfernt, in dem Fall 40 Kilometer von Christchurch. Das ist, wenn man die Südinsel nimmt, so etwa im oberen Drittel. Das ist eine Gegend, wo sich dieses Beben gelöst hat, die von Störungen geradezu zerstückelt ist. Man weiß das auch. Aber diese spezielle Störung, an der sich jetzt das Beben ereignet hat, ist eigentlich nicht beachtet worden. Zurzeit wird auch noch untersucht, ob es wirklich nur ein Beben war, wahrscheinlicher sogar zwei oder drei, die fast gleichzeitig miteinander losgegangen sind in diesen 18 Sekunden, die das Hauptbeben gedauert hat.

    Krauter: Diese geologische Störung, von der Sie sprachen - das sind ja Platten der Erdkruste, die da aneinander reiben. Welche genau sind das in diesem Fall?

    Röhrlich: Das ist die australische Platte und die pazifische Platte. Und die bewegen sich nicht nur gegeneinander, sondern auch seitlich aneinander vorbei. Bei der Nordinsel haben wir mehr die Bewegung gegeneinander und bei der Südinsel ist es mehr diese Bewegung aneinander vorbei. Und diese Störung, die sich jetzt in dem Beben gelöst hat, ist nicht direkt in dieser Störungszone drin, der Hauptzone, sondern mehr im Hinterland. Und hat sich das Ganze dann gelöst, in dieser Knautschzone nach hinten weg.

    Krauter: Wer schon einmal in Neuseeland war, weiß, dass es da an vielen Orten brodelt und zischt. Die Erde lebt sozusagen. Erdbeben sind dort deshalb eigentlich auch nichts ungewöhnliches. Warum hatte dieses denn jetzt so gravierende Folgen?

    Röhrlich: Es war einfach ein großes Beben, wie es in dieser Region alle 55 Jahre, rein statistisch gesehen, vorkommt. Es ist so, dass in Neuseeland quasi ständig Erdbeben losgehen, 15.000 werden pro Jahr gezählt. Größere, die man ohne Instrumente spürt, das sind auch noch 100, 150 und alle paar Jahre, Jahrzehnte halt so ein richtig großes. Und in Christchurch ist es so, dass diese Stadt auch noch auf Flusssedimenten gebaut worden ist, was diese Bewegungen verstärkt. Und es kann halt auch sein, dass es dann zu Bodenverflüssigungen gekommen ist - das wird man in den nächsten Tagen sehen. Das bedeutet, dass während eines Bebens der Boden, dieser grundwassergesättigte Boden, wie eine Flüssigkeit reagiert und alles dann noch viel stärker schwankt als ohnehin schon.

    Krauter: Christchurch ist an der Ostküste der Südinsel gelegen, auch das weiß der Neuseeland-Fahrer. 20 Prozent der Häuser sollen dort eingestürzt sein. Ist das denn eine normale Schadensquote für ein Beben der Stärke sieben in einer Industrienation?

    Röhrlich: Wenn man sich anschaut, was genau eingestürzt ist, dann sagen die Experten, dass es vor allen Dingen die Backsteinbauten sind, also die alten Häuser, die 100, 130, 140 Jahre alt sind. Die waren im Zentrum. Dort sind auch viele Geschäfte. Man hat also Glück gehabt, dass es nicht viele Tote gegeben hat. Wäre das am Nachmittag passiert, dann wären die Leute verschüttet worden. Ansonsten hat man in Neuseeland aber schon seit mehr als 100 Jahren eine sehr regide Baupolitik. Es soll erdbebensicher gebaut werden. Und natürlich hat sich das im Laufe der Zeit immer verschärft und erdbebensicher bedeutet aber jetzt nicht, dass es keine Gebäudeschäden geben soll. Die können sogar sehr stark sein. Aber die Häuser dürfen nicht zusammenfallen und die Menschen unter sich begraben. Und wenn man von diesen alten Backsteinbauten absieht, ist das ja auch gelungen.

    Krauter: Das heißt, die Bauvorschriften sind ganz wichtig. Das ist ja auch die Lehre aus dem Beben in Chile im Februar, das deutlich stärker war, aber doch vergleichsweise glimpflich abgelaufen ist.

    Röhrlich: Das war ein Beben der Stärke 8,8. Es hatte die 500-fache Energie, die da freigesetzt wurde. Aber es sind - in Anführungsstrichen - nur 300 Menschen gestorben. Wenn man das mit Haiti vergleicht, 7,1, gleiche Stärke wie jetzt in Neuseeland, wo Zehntausende gestorben sind - das zeigt, wie wichtig dieses Bauen ist. In Chile legt man sehr großen Wert auf die Bauvorschriften. Die sind fast noch strenger, ungeheuer genau wird da ausgeführt. Man wollte sie schon lockern, man hat gedacht: Herrgott, es hat jetzt 30 Jahre nicht mehr gebebt, was soll's. Aber jetzt dieses in Chile dran erinnert, wie gefährlich diese Gegend ist, und von daher bleibt man doch bei den strengen Vorschriften. Und in Neuseeland sieht man, dass man schon ganz gut gewesen ist, man kann es aber wohl noch verbessern.