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Wahl und Krise

Bei den jüngsten Wahlen in Frankreich und Griechenland stimmten die Menschen auch über die Krisenpolitik der EU ab. In den politischen Zeitschriften und Blogs wird nun über die Auswirkungen der deftigen Voten von Paris und Athen gestritten.

Von Norbert Seitz | 14.05.2012
    Der Sieg hat zumeist viele Väter, die Niederlagen der Regierenden in Frankreich und Griechenland scheinen jedoch nur eine Mutter zu kennen. Und die sitzt im Kanzleramt oder kämpft auf Brüsseler Terrain. So sehen es viele Kommentatoren von links – wie zum Beispiel Lutz Herden im Blog der linken Wochenzeitung Der Freitag. Er sagt den Euro-Rettern in Berlin und Brüssel unruhige Zeiten voraus:

    "Die Legitimation der von Deutschland dominierten Krisen-Bereinigung steht in Frage. Die Griechen haben einem ruinierten Establishment den Abschied und für Euro-Länder ein Beispiel gegeben, in denen demnächst gleichfalls Abstimmungen anstehen. Man denke an Irland mit dem Fiskalpakt-Referendum Ende Mai oder an die Niederlande mit den vorgezogenen Parlamentswahlen im September oder Italien, wo spätestens Anfang 2013 gewählt werden muss."

    Doch nicht nur die Krisenpolitik gerät auf den Prüfstand, sondern auch der "autoritäre Stil" Angela Merkels, mit dem der drakonische Sparkurs durchgesetzt wurde. So stellt Gunter Hofmann, der langjährige "ZEIT"-Korrespondent, auf Cicero-Online die sogenannte "Friss-Vogel-oder-stirb-Politik" an den Pranger:

    "In Griechenland und Frankreich stimmten die Wähler nicht nur über ihre eigenen Regierungen, sondern auch über den Einfluss Berlins in Europa ab. Der Stil der Kanzlerin – das Führen von oben – wurde abgekanzelt (…) Angela Merkel ist (…) nicht abgewählt worden. Aber die "Methode Merkel" hat verloren, und sie wäre gut beraten, das Votum genauer zu studieren. (…) Selbst manche derjenigen, die in der – anfechtbaren - Analyse mit Berlin übereinstimmten, dass die staatliche Verschuldung Quelle der Euro-Europa-Krise sei, muckten (…) wegen dieses autoritären Verfahrens auf."

    Andere Blogs und Blätter nehmen die deftigen Voten in Paris und Athen zum Anlass, nicht nur mit der Politik, sondern auch mit den Medien abzurechnen. Die linkssozialdemokratische Plattform "Nachdenkseiten" befindet sich seit jeher auf verschwörungsideologischem Kriegsfuß gegen die Berichterstattung im Lande. Blogger Jens Berger versucht dieses Mal sogar der angeblich allzu willfährigen Presse das demokratische Mandat zu entziehen:

    "Eigentlich kaum anders zu erwarten, hat das Gros der deutschen Medien mit hysterischer Schnappatmung auf den Linksrutsch in Frankreich und Griechenland reagiert (…) Die Bürger vertrauen (…) längst nicht mehr darauf, dass die Politik ihre Interessen vertritt. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob Medien, die ganz offen die Interessen der Eliten und der Finanzlobby über die Interessen des Volkes stellen, überhaupt noch der freiheitlich demokratischen Grundordnung entsprechen."

    Starker Tobak möchte man meinen. Doch auch auf konservativer Seite werden dieser Tage schrille Töne laut. So beim Online-Auftritt der Tageszeitung "Die Welt", wo die Wirtschaftsjournalistin Dorothea Siems dem unterstellten "Hollande-Ruck" in der SPD nichts weniger als einen bedrohlichen "Vaterlandsverrat" attestiert:

    "Von Hollande lernen heißt siegen lernen, glaubt man in der SPD. (…) Die größte Gefahr für Merkels Sparkurs kommt denn auch nicht aus dem nach links gerutschten Frankreich oder dem politisch instabilen Griechenland, sondern aus der hiesigen Opposition. Die SPD dringt auf eine europäische Wachstumspolitik und droht damit die deutsche Verhandlungsposition just in diesen schwierigen Zeiten brutal zu schwächen (…)Mit ihrem Widerstand gegen den Fiskalpakt verraten die Sozialdemokraten die Interessen der hiesigen Bürger."

    Doch ob die SPD tatsächlich auf Hollande-Kurs geht, wird sich noch herausstellen müssen. Wie sehr die traditionellen Rezepturen des neuen französischen Präsidenten selbst im intellektuellen Umfeld der Sozialdemokratie umstritten sind, entnehmen wir der aktuellen Ausgabe des parteinahen Netzwerkerorgans "Berliner Republik". Dort bescheinigt Thomas Hanke, der Frankreich-Korrespondent des "Handelsblattes" den Vorstellungen des Wahlsiegers nur wenig "Realitätstauglichkeit". Zum Beispiel kann er kein schlüssiges Konzept für ein "anderes Europa" erkennen. Drei zentrale Schwächen werden ausgemacht. Erstens:

    "(…) Fast nichts findet sich zu Einwanderung und Integration (…) Von ihm kommt nur ein sprödes "Ich werde die Zahl der Zuwanderer verringern, durch schnellere Asylverfahren".

    Und zweitens:

    "Eine komplette Leerstelle sind die ungelösten Probleme der Vorstädte. Dabei sind sie eine weit größere Gefahr (…) als die im Wahlkampf immer wieder beschworene angebliche Belastung der Mittelschichten."

    Dritte Leerstelle:

    "Wohnungsnot und hohe Mieten, die sehr viele Franzosen betreffen, tauchen zwar als Missstand auf, doch bietet er keine überzeugenden Lösungen an (…) Staatlichen Unternehmen will er Flächen abnehmen und als Bauland ausweisen."

    So beschwört Thomas Hanke in der "Berliner Republik" die Gefahr herauf:

    "Dass seine Wähler (Hollande) ebenso schnell fallen lassen (könnten) wie die Investoren, die heute noch französische Staatsanleihen kaufen."


    Quellen:

    Freitag online
    Cicero online
    Portal Nachdenkseiten
    Die Welt online
    Berliner Republik 2/2012