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Warten auf das große Beben

Geologie. - Heute vor genau 100 Jahren erlebte San Francisco die schlimmsten Erschütterungen seiner Geschichte. Ein Erdbeben der Stärke 7,8 auf der Richter-Skala vernichtete weite Teile der Stadt, rund 3000 Menschen fanden damals den Tod. Doch eine Wiederholung sei nur eine Frage der Zeit, warnen Experten. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich erklärt es im Gespräch mit Arndt Reuning.

18.04.2006
    Arndt Reuning: Frau Röhrlich, könnte sich eine Katastrophe wie 1906 heute in San Francisco wiederholen?

    Dagmar Röhrlich: "Zunächst muss man sagen, dass sich das nächste Beben bestimmt ereignen wird - das ist hundertprozentig klar. Seit 100 Jahren bauen sich dort die Spannungen auf. Weil die Bewegungen an den Platten, die die Ursache für dieses Beben waren, weiter bestehen, wird es auch wieder zu einem neuen Beben kommen. Heute aber wohnen sehr viel mehr Menschen in dieser Gegend, es stehen dort wesentlich mehr Häusern und Fabriken. Die materiellen Schäden wären heute wahrscheinlich sehr viel höher, doch ob es auch so viele Opfer gäbe, ist indes offen, weil sich die Bauweise in den letzten 20 bis 30 Jahren sehr verbessert hat."

    Reuning: Aber allgemein stimmt das: je länger ein Beben zurück liegt, desto wahrscheinlicher wird auch ein neues, starkes Erdbeben?

    Röhrlich: "Ja, denn in diesen Bereichen ist es so, dass diese Platten sich permanent aneinander vorbei bewegen. Die pazifische Platte geht dabei permanent in Richtung Norden, die amerikanische jedoch in Richtung Süden. Diese Bewegung läuft nicht wie geschmiert, sondern an dieser 1200 Kilometer langen Störung, die in mehrere Abschnitte unterteilt wird, hakt es immer wieder. Dabei sind die verschiedenen Teile der Störung wie blockiert. An diesen Stellen baut sich über die Zeit die Spannung im Untergrund auf, weil ja im Grunde genommen alles immer weiter weg drängt. Irgendwann werden diese Spannungen so groß, dass sich das Ganze binnen Sekunden in einem großen Beben entlädt. Und das wird einfach immer wieder passieren, weil diese großen tektonischen Kräfte immer weiter mit zwei Zentimeter pro Jahr die beiden Platten aneinander vorbei schieben, bis wieder die Bruchfestigkeit der Gesteine überschritten wird."

    Reuning: Aber die Gefahr eines Erdbebens hängt auch davon ab, an welchem Ort entlang der Störung man sich befindet?

    Röhrlich: "Ja, in San Francisco beispielsweise hat die Erde vor 100 Jahren gebebt. Dort besteht jetzt wahrscheinlich etwa Halbzeit, es wird ungefähr weitere 100 Jahre dauern, bis das nächste Beben dieser Stärke kommt. Auch Los Angeles hat wohl noch Zeit: da hat es zuletzt vor 150 Jahren gebebt. Weiter im Süden der Störung ist es allerdings schon gefährlicher, denn dort wartet man quasi auf das nächste Erdbeben. Das würde dann die Gegend um Palm Springs treffen. Dieses Beben könnte so stark sein, dass dann Los Angeles noch mit betroffen wird, weil das nicht nur lokale Ereignisse sind - es sind einfach sehr, sehr starke Erdbeben."

    Reuning: Diese Gegend in Kalifornien muss ja ein wahres Mekka für Erdbebenforscher sein?

    Röhrlich: "Ja, die moderne Erdbebenforschung ist mit dem großen Beben von San Francisco eigentlich entstanden. In den vergangenen zehn Jahren hat die Erdbebenforschung gewaltige Fortschritte gemacht: durch bessere Sensoren, durch stärkere Computer, und man hat sehr viele neue Erkenntnisse gewonnen, die auch sehr interessant sind mit Blick auf die Möglichkeit, eines Tages so etwas wie eine Vorhersage für solche Ereignisse treffen zu können. Dabei war ein ganz entscheidender Schritt in die Entdeckung so genannter "stiller" Erdbeben. Das Phänomen wird auch nicht-vulkanischer Tremor bezeichnet. Man kennt von Vulkanen bestimmte Erdbeben, die dann auftreten, wenn das Magma aufsteigt. Das sind lang andauernde Beben, die über mehrere Tage gehen können und wo nicht die Energie binnen Sekunden freigesetzt wird. Etwas, das genauso aussieht, was auch lange andauert, hat man zuerst in so genannten Subduktionszonen gefunden. Das sind Zonen in der Erde, wo die ozeanische Kruste wieder in den Erdmantel hinein sinkt. Man war sehr erstaunt, als man das gleiche auch gesehen hat in Parkfields. Dort ist eine Bohrung durch die San Andreas-Verwerfung angelegt worden, in der das gleiche Phänomen beobachtet wurde. Experten vermuten, dass diese stillen Beben dafür verantwortlich sind, dass an manchen Abschnitten der San Andreas-Verwerfung solche großen Beben entstehen, während in anderen Abschnitten die Erdmassen einfach aneinander vorbei rutschen."