Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Was die Textilindustrie jetzt tun muss

Die Rahmenbedingungen der Textilproduktion sind oft ausbeuterisch, mitunter gesundheitsgefährdend, manchmal tödlich – nicht nur in Bangladesch. Angesichts der Missstände geraten die Auftraggeber immer stärker unter Druck.

Von Daniela Siebert | 14.05.2013
    Sebastian Siegele hat schon Hunderte Textilfabriken von innen gesehen. In Bangladesch, in China, in Vietnam, Thailand und vielen anderen Ländern. Sein Fazit:

    "Katastrophal. Stellen sie sich das Schlimmste vor, was Sie sich vorstellen können in der Arbeitswelt, und irgendwo in der Produktionskette waren die Zustände schlimmer."

    Sebastian Siegele ist Schneider, Ingenieur für Bekleidungstechnik und hat die Firma Sustainability Agents gegründet, die Unternehmen berät, ihre Produktion nachhaltiger zu gestalten.

    Kaum eine Firma leiste es sich noch, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken völlig zu ignorieren, bilanziert Berndt Hinzmann von der Kampagne für Saubere Kleidung die Situation.

    "Das ist ein großer Unterschied zu vielleicht jetzt 20, 15 Jahren, seitdem die Kampagne das erste Mal diese Missstände angeprangert hat."

    Aber die To-do-Liste ist noch lang und variiert von Standort zu Standort: Es geht um existenzsichernde Löhne, Kündigungsschutz, gewerkschaftliche Vertretung, Gebäudesicherheit, Brandschutz, Pausen- und Freizeitansprüche.
    Wie kompliziert die Umsetzung im Einzelnen sein kann, zeigt das Beispiel Entlohnung. Adidas beispielsweise gibt auf Deutschlandradio-Nachfrage an, Zitat:

    Unsere Geschäftspartner haben ihren Mitarbeitern den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn bzw. den in der Branche üblichen Lohn, falls dieser höher liegt, zu bezahlen. Grundlöhne müssen mindestens den Lebensunterhalt und darüber hinaus einige zusätzliche Ausgaben der Mitarbeiter sowie ein Mindestmaß an erspartem Vermögen ermöglichen.

    Die grundsätzliche Orientierung am gesetzlichen Mindestlohn reicht in der Regel nicht, betont Berndt Hinzmann, man brauche existenzsichernde Löhne.

    "Partner der Kampagne für Saubere Kleidung haben es bewiesen, dass man diesen Lohn zum Leben berechnen kann, und deutlich wird, dass er oftmals zweifach oder dreifach höher liegt als die gesetzlichen Mindestlöhne, die in den Ländern vorgeschrieben sind."

    Auch volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen drückten den Lohn, sagt Sebastian Siegele:

    "Das Problem ist, dass die Situation in Bangladesch für die Arbeitnehmerinnen schlechter wird, weil die Lohnerhöhungen nicht die Inflation ausgleichen."

    Siegele setzt darauf, mit den Managern vor Ort Lösungen zu finden und ein Problembewusstsein zu schaffen. Nicht nur in Bangladesch. Beispiel Toilettengang:

    "Der Manager, der Vorarbeiter, hat nie die Bildung genossen, das zu organisieren: Wie organisiere ich meine 50 Arbeiterinnen und wie schaffe ich unser Produktionsziel und jetzt gehen da ständig welche auf Toilette!? Wir haben das gelernt: Wenn ich 50 Arbeitsplätze habe, dann kann ich mir ausrechnen, wie viel gleichzeitig auf Toilette sind, d. h., ich brauche nicht 50 Leute für die Arbeitsplätze, sondern vielleicht 55. Und wenn die das nicht lernen, dann werden die immer ihren Arbeiterinnen verbieten, auf Toilette zu gehen, weil sie einfach total überfordert sind, weil sie auch ihren Druck kriegen, und die verdienen ja auch nicht viel."

    Berndt Hinzmann setzt große Hoffnung in Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte, die auf die Einhaltung der vielerorts vorhandenen Standards pochen können. Denn die Wirklichkeit sieht oft anders aus:

    "Vor acht Jahren ist ja in Bangladesch schon mal ein Gebäude zusammengebrochen. Es war auch da eine Kontrolle, also ein Audit durchgeführt worden, und ein Arbeiter hatte ja den Mut auch zu sagen, dass hier in dem Gebäude es knackt öfters und es sind Risse drin und dass es wirklich bedenklich ist, und zur Strafe musste dieser Arbeiter dann in der Ecke stehen! Und das kann heute durchaus wieder passieren!"

    In anderen Fällen verlieren Kritiker ihre Arbeit gleich ganz.

    Noch ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis riesig. Denn viele Textilhersteller stellen hohe Ansprüche an die Produktion, zumindest formal: Sie postulieren für sich und ihre Zulieferer einen "Code of Conduct", einen Verhaltenskodex.

    "Kik beispielsweise hat unterdessen auch einen Verhaltenskodex, aber wenn man sieht: In all den Fällen, die derzeit durch die Medien gegangen sind, war ein Kik-Zulieferer involviert. Trotz Verhaltenskodex."

    Trotzdem geht es nicht ohne schriftlich fixierte Standards. Die Kampagne für Saubere Kleidung drängt derzeit gemeinsam mit anderen Organisationen weltweit Modefirmen dazu, ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen, das zu besserer Gebäudesicherheit und mehr Brandschutz in Bangladesch führen soll. Tchibo, Calvin Klein und Tommy Hilfiger haben bereits unterzeichnet. Illegale Baumaßnahmen sind in Bangladesch nichts Ungewöhnliches und keine Besonderheit der Textilindustrie, die staatliche Bauaufsicht wird vielerorts ihrer Aufgabe nicht gerecht. Das Memorandum fordere jedoch Maßstäbe ein, die eine Fabrikation im Rana Plaza verhindert hätte, betont Frauke Banse von der Kampagne für Saubere Kleidung.

    "Es gibt da eben Kontrollmechanismen, eben auch mit der starken Integration der Beschäftigten in diese Kontrollmechanismen, die unabhängige Kontrollen ermöglichen und eine verbindliche Regelung dazu finden, wer welche Renovierungsarbeiten usw. bezahlt – nein, in solch einem Gebäude hätte das nicht passieren können."