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Was im politischen Streit liegen bleibt

Seit dem Rücktritt des konservativen Premierministers Necas ist der politische Rhythmus in Tschechien gestört. Vieles bleibt liegen - das wird auch für die Mitarbeiter des "Museums der Deutschen" in Usti nad Labem ein Problem.

Von Gerwald Herter | 17.07.2013
    Den allermeisten Besuchern kann er die Ausstellungsstücke nicht zeigen, noch verwahrt Jan Schicha viele Exponate in seinem Büro auf - ganz oben, unter dem Dach des Stadtmuseums von Usti nad Labem, zu deutsch Aussig an der Elbe. Im Gegensatz zu vielen Kollegen anderer tschechischer Museen hat er Plakate, Bücher, Propagandamaterial der Nationalsozialisten, aber auch Kunsthandwerk der Sudeten und andere typische Gegenstände ankaufen können. Jetzt liegen sie hier auf dem Boden und Schicha beugt sich darüber:

    "Hier ein Buch: 'Hitler befreit das Sudetenland'. Die Verhandlungen von München. Hier haben Sie die Unterzeichnung des Münchener Protokolls: 'Einigung in München', heißt das - also im Propaganda-Buch. Wir sehen in dieser Zeit viele Propaganda-Innovationen. Vor Schluss des Unterrichts ist würdigerweise auf die Bedeutung Sudetendeutschland ins Reich hinzuweisen und des Führers zu gedenken. Also das hing am 3. Oktober 1938 hier im Grenzgebiet, das sind Originalplakate."

    Jan Schicha ist stolz darauf, dass er hier so vieles zusammentragen konnte. In zwei Stockwerken und zwanzig Räumen soll die "Geschichte der Deutschen in den Böhmischen Ländern" bald dokumentiert werden. Das "Museum einer nahezu abwesenden Minderheit", so haben es Schicha und die Museums-Direktorin Blanka Mouralova in einem Artikel genannt.

    Eine ohnehin schwierige Aufgabe, sicher immer noch ein umstrittenes Unterfangen - die Exponate sind zwar vorhanden, das Konzept steht längst, viel Geld ist bereits investiert worden, unter anderem von der Europäischen Union und dem deutsch-tschechischen Zukunftsfonds. Seit dem Rücktritt der Regierung Necas in der Tschechischen Republik haben Schicha und Mouralova aber ein Problem mehr: Wann die Ausstellung eröffnet werden kann, vermag Blanka Mouralova beim besten Willen nicht zu sagen. Das Geld für die Finanzierung des Umbaus der Räume sollte aus Prag kommen. Necas hatte das versprochen, doch inzwischen hat der frühere Premier in dieser Sache nichts mehr zu sagen. Mouralova:

    "Was wir nicht so richtig beeinflussen können, ist, wann wir das Geld für die Realisierung der Dauerausstellung bekommen. Die Gespräche mit der tschechischen Regierung, die diese letzte Etappe bezahlen soll, laufen bereits seit vielen vielen Monaten. Und jetzt nach dem Regierungswechsel kann ich nicht sagen, wann genau das Geld kommt. Wir hoffen, dass es innerhalb von ein paar Monaten passiert."

    Knapp ein halbes Jahr würde es mindestens dauern bis die Ausschreibung abgeschlossen, der Auftrag also vergeben ist. Und dann der Umbau selbst. Aber jetzt mit der Übergangsregierung Rusnok, die vielleicht auch bald schon wieder abtritt oder mit Neuwahlen? Mouralova denkt sogar schon darüber nach, die Ausstellung in Etappen zu eröffnen. Allerdings hatte sie sich - zusammen mit ihren Kollegen - ganz bewusst für ein umfassendes Konzept entschieden:

    "Uns interessiert nicht in erster Linie der Konflikt und die Folgen dieses Konflikts. Sondern das frühere Zusammenleben als Inspiration für das heutige Zusammenleben in Europa."

    München 1938, die Besetzung des Sudetenlands durch die Deutschen, das sogenannte Protektorat, die Vertreibung nach 1945. All das soll natürlich ausführlich dargestellt werden, aber doch auch nicht für sich stehen. Es gab ein "Vorher" und es gibt ein "Nachher". Darauf kommt es Mouralova an:

    "Was wir in der Ausstellung klar machen wollten, war, dass es ein Verlust war, dass so viele Menschen weg mussten - mit ihrem Know-how, ihrer Beziehung zu dem Land, ihrer Loyalität. Das zeigt sich daran, dass die grenznahen Regionen immer noch anders aussehen als der Rest des Landes. Und wenn man sich fragt, warum, ist ein Teil der Antwort: Es gab hier diesen Bevölkerungswechsel."

    Nicht allein die Deutschen haben in dieser Stadt ihre Spuren hinterlassen, die noch ins Nirgendwo zu führen scheinen. Mit der "Geschichte der Deutschen in Böhmen" würden viele Tschechen, vieles über ihre eigene Geschichte erfahren - gerade hier in Usti nad Labem/Aussig an der Elbe.


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