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Wenn Insider Missstände in Unternehmen öffentlich machen

Arbeitnehmer, die Korruption oder Veruntreuung in ihren Unternehmen öffentlich machen, müssen mit Sanktionen rechnen. Unter Umständen droht ihnen sogar der Verlust des Jobs. Wie Mitarbeiter Zivilcourage am Arbeitsplatz zeigen können, war Thema einer Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn.

Von Peter Leusch | 29.09.2011
    "Dann kam eine Geschichte nach der anderen, dass mein oberster Chef irgendetwas macht, was anrüchig sein könnte, nämlich Vorteile aufgrund seiner hohen Stellung im Betrieb erwirtschaftet. Das bedeutet, dass er kostenlose Dienstleistungen bekommt von Firmen, die ihm dienstlich ergeben sind, weil millionenschwere Aufträge laufen."

    Helmut Sauer, jahrzehntelanger Mitarbeiter am Forschungszentrum Jülich, entschloss sich 2005, den Betriebsdirektor anonym anzuzeigen.

    "Ich habe mich da den Vorgaben des Strafgesetzbuches bedient: Das heißt Betrug, Untreue und Korruption, und ich habe dann fünf Din-A4-Seiten stichhaltige Argumente der Staatsanwaltschaft geliefert, dass einige Monate später Hausdurchsuchungen stattgefunden haben, bei den von mir beschuldigten Unternehmen, bei meinem großen Chef und natürlich im Büro meiner Firma."

    Der Schutz der Anonymität hielt jedoch nicht. Helmut Sauers Name wurde bekannt.

    "Daraus folgte meine fristlose Entlassung mit der Begründung, das Vertrauen sei jetzt zerstört. Die Zeit meiner Entlassung war über zweieinhalb Jahre mit Gang zum Arbeitsgericht, mit Einspruch beim Landesarbeitsgericht, wo ein Urteil für mich gefällt wurde, das lautete auf Weiterbeschäftigung. Der Arbeitgeber hat aber Einspruch vor dem Bundesarbeitsgericht erhoben, die dem nicht entsprochen haben, sondern das Urteil des Landesarbeitsgerichtes bestätigt haben."

    Helmut Sauer erstritt seine Weiterbeschäftigung. Und den Betriebsdirektor schickte man vorzeitig in Rente, das Verfahren gegen diesen wurde allerdings eingestellt. Helmut Sauer hat gesiegt, aber zu einem hohen Preis. Während des zermürbenden gerichtlichen Streits lebte er zeitweise von Sozialhilfe. Und auch heute fühlt er sich im Unternehmen gegängelt.

    "Im Betrieb selber werde ich sanktioniert. Das bedeutet, das Telefon ist abgeklemmt, kein Intranet- und kein Internetzugang. Ich muss mit Bleistift, Papier und Radiergummi arbeiten, - es sind ganz eigenartige Sanktionen, die bis ins Detail laufen."

    Helmut Sauer ist ein sogenannter Whistleblower, wörtlich: Jemand der die Pfeife bläst, der Alarm schlägt, ein Hinweisgeber, der auf interne Missstände aufmerksam macht. Der Tübinger Politikwissenschaftler Gerd Meyer definiert Whistleblowing folgendermaßen:

    "Beim Whistleblowing geht es darum, dass Insider aus einem Unternehmen, einer Verwaltung, auch einer sozialen Einrichtung, einer Kirche, Missstände öffentlich machen, nach außen gehen, in die Medien, an die Justiz und Aufsichtsbehörden und dabei ein hohes Risiko eingehen, bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes."

    Die Missstände können unterschiedlicher Art sein: Das reicht von Rechtsverstößen wie Korruption, Preisabsprachen über Verschwendung im Unternehmen bis hin zu Mobbing, Diskriminierung oder sexuellem Missbrauch. Gerd Meyer versteht Whistleblowing als besondere Form von Zivilcourage.

    "Das Moment der Zivilcourage besteht darin, dass nach der Auffassung dieses Hinweisgebers wichtige Regeln, Normen, humane und demokratische Werte oder legitime Interessen verletzt wurden. Und in dieser Konfliktlage setzt sich jemand mit Risiko öffentlich und auch angesichts eines Machtungleichgewichts, einer Abhängigkeit ein, damit eben hier andere nicht zu Schaden kommen oder Recht und Gesetz gewahrt bleiben."

    Im allgemeinen Bewusstsein aber hat das Verhalten des Whistleblowers immer noch ein negatives Image. Sein Tun gilt – so heißt es schon im Kindergarten – als Petzen oder Anschwärzen. Das positiv gemeinte Whistleblowing ist nicht zufällig ein Anglizismus, und das deutsche Wort Hinweisgeber noch nicht etabliert. So ist die Diskussion um Whistleblowing auch ein Kampf um die Sprache, erklärt der Theologe Peter Mörbel, der die Tagung an der Evangelischen Akademie im Rheinland leitete.

    "Was wir tun können, ist zum Beispiel über die Situation von Whistleblowern zu diskutieren, … und ihr Verhalten aus der Grauzone der moralischen Verdächtigung herauszuholen, als eine Haltung, die ethisch hoch verantwortlich ist, und im Prinzip einem konstruktiven Zweck dient. Im Grunde genommen sind Whistleblower eben keine bösen Kollegen, die jemanden verpfeifen wollen, sondern sie wollen aus ihrer Gewissensentscheidung heraus, einen Missstand beseitigen, weil sie das als Schaden für die Abteilung, für den ganzen Betrieb oder für die Gesellschaft identifiziert haben, was da schiefläuft."

    Whistleblower halten sich selber nicht für Robin Hood. Sie wollen auch keine Helden sein, sondern sind sehr wohl darauf bedacht, neben der allgemeinen Schadensabwehr auch sich selber zu schützen. Aus gutem Grund: Sie sind zunächst allein, sind Einzelne, die von der Firma oder der Organisation abhängig sind, in der sie den Mund aufmachen. Ihnen gegenüber steht die Macht der Hierarchie. Deshalb müssen sie sich an andere wenden, um sie zu überzeugen und als Verbündete zu gewinnen. Der Hinweisgeber braucht Unterstützung, braucht stärkere Kräfte, die sein Anliegen aufnehmen und sich zu eigen machen. Dabei sind verschiedene Adressaten denkbar, zwischen denen sich der Whistleblower entscheiden muss.

    "Im Prinzip kann er jedermann ansprechen, von dem er sich Hilfe erwartet, wenn man das versucht zu klassifizieren, kann man sagen, intern, in der Organisation seinen unmittelbaren Vorgesetzten, dann die Hierarchie ganz nach oben, vielleicht auch noch den Betriebsrat, dann gibt es als zweite Ebene die Behörden, also staatliche Stellen, Staatsanwaltschaft, Aufsichtsbehörden, Datenschutzbehörden, und als dritte Ebene die Öffentlichkeit, Medien, Gewerkschaften, und irgendwelche NGOs von denen er sich erhofft, dass sie Druck machen können, damit sich irgendetwas ändert."

    Guido Strack, Jurist, ist selber ein Whistleblower, der mit anderen zusammen ein Netzwerk gegründet hat.

    "Wir sind ein Verein, den gibt es jetzt seit fünf Jahren, er hat sich im Wesentlichen aus Betroffenen gegründet oder aus Leuten, die Interesse an dem Thema haben, die finden, dass in Deutschland viel zu oft geschwiegen wird, wenn man Missstände sieht."

    Warum passiert so wenig in Deutschland' Fehlt es an Zivilcourage? Oder sind die Mutigen viel zu ohnmächtig, als dass sie Veränderungen anstoßen könnten? Eine Klippe, an der viele Versuche zerschellen, bildet die Reaktion der anderen, sowohl derjenigen, an die sich der Whistleblower direkt wendet, als auch jener, die durch sein Vorgehen auf den Plan gerufen werden.

    Diesem Problem ist die Tagung auf eine besondere Weise nachgegangen. Dabei haben die Teilnehmer nicht nur versucht, die Reaktionen Dritter von außen zu diskutieren, sondern auch selber in einem Rollenspiel die Interaktionen und ihre Dynamik nachzuvollziehen, um das Ganze anschließend zu reflektieren.
    Stephan Schmitz, katholischer Theologe und Betriebswirt hat das Rollenspiel geleitet.

    "Wir sind ausgegangen von einem realen Fallbeispiel, einer Altenpflegerin in einem Altenpflegeheim, die Missstände festgestellt hat beim Tablettenverteilen, darauf hingewiesen hat. Und dieses Beispiel haben wir dann szenisch simuliert, mit den Teilnehmern des Workshops, und dabei sind über 30 Akteure zunächst einmal identifiziert worden, und dann hat man eine Auswahl von zehn, zwölf auf die Bühne gebracht und die Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben sich in die Rollen hineinversetzt und haben versucht, aus den verschiedenen Perspektiven diesen Zusammenhang zu untersuchen."

    Das Soziodrama verdeutlichte die Komplexität und Dynamik des Geschehens. Die Whistleblowerin hatte bei einem bestimmten eingrenzbaren Missstand eine Veränderung gefordert. Doch ihr Anstoß löste eine Lawine aus, weil immer mehr Akteure hineingezogen wurden, die sich in diesem Fall sukzessive gegen die Whistleblowerin wendeten.

    Die Pflegeaufsicht wiegelt die Kritik mit Blick auf die personellen Engpässe ab. Der Geschäftsführer fordert ein Ende der Diskussion, der Träger fürchtet um das Renommé der Einrichtung, die Aufsichtsbehörden haben dringendere Probleme, und die Bewohner, alt und kränklich, reagieren mit Verunsicherung, möchten nur noch, dass der Streit aufhört. Die Kolleginnen schließlich fühlen sich in Frage gestellt, manch eine hat auch schon ein Auge auf die Position der Whistleblowerin geworfen, der Querulantin, wie es nun heißt. Im Endeffekt kehren sich alle von ihr ab. Die Hinweisgeberin ist isoliert und stigmatisiert, indem das Problem auf sie zurückgeworfen wird: Sie selber sei das Problem.
    Peter Mörbel:

    "Es entsteht eine hohe Drucksituation, die für den Einzelnen nur schwer erträglich ist, viele zerbrechen auch daran, ihr Familiensystem gerät unter einen hohen Belastungsdruck, der Freundeskreis differenziert sich plötzlich, in der Not merkt man ja, wie viele noch wirklich Freund bleiben, unter den Kollegen entsteht ein Isolationsprozess, … der Konflikt der am Arbeitsplatz sich entzündet an einem Konflikt oder einer Sachfrage, einem Missstand, zieht plötzlich Kreise und ragt bis in das Privatleben des Betreffenden hinein und auf der anderen Seite natürlich in das Betriebsgeschehen."

    Die Tagung beleuchtete auch das Gegenüber des Whistleblowers, die Betriebe und Organisationen: Im Grunde müssten doch Unternehmen ein großes Interesse am Alarmsignal des Whistleblowers haben? Denn Missstände, das belegen die Untersuchungen zur Wirtschaftskriminalität, führen zu erheblichen Gewinneinbußen und Belastungen: Wo Gelder veruntreut oder verschwendet werden, wo Ineffizienz regiert, wo durch Mobbing das Betriebsklima gestört wird, erleidet das Unternehmen selber Schaden. Unternehmen müssen Busgelder zahlen für das Fehlverhalten ihrer Manager oder Mitarbeiter, für Korruption, Preisabsprachen, Produktmängel oder vernachlässigten Arbeitsschutz.

    Mittlerweile haben die großen Unternehmen nach amerikanischem Vorbild sogenannte Compliance-Strukturen aufgebaut. Compliance meint die betriebsinterne Überwachung der gesetzlichen Regeln, darüber hinaus auch die Einhaltung von ethischen Standards, auf die sich ein Unternehmen freiwillig verpflichtet hat, erläutert Stephan Schmitz, Leiter der Fachgruppe Wirtschaftsethik im Bundesverband der deutschen Betriebs- und Volkswirte.

    "In den letzten Jahren ist Unternehmensethik ein Trend geworden, das hat mit den rechtlichen Rahmenbedingungen zu tun, die großen Konzerne, die in den USA an der Börse notiert sind, die sind verpflichtet, Compliance-Strukturen nachzuweisen, sonst werden sie für Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter haftbar gemacht, also haben die Unternehmen – auch auf Grund des öffentlichen Interesses, die Öffentlichkeit nimmt immer mehr wahr, was auch moralisch in Unternehmen passiert, die haben ein Interesse daran etwas für die Reputation zu tun, und sie wollen auch, dass im Unternehmen auf Missstände hingewiesen wird, es ist auch betriebswirtschaftlich kein Vorteil, wenn das unter der Decke bleibt, wenn es verschwiegen wird."

    Auf der Tagung hat Susanna Nezmeskal Berggötz, verantwortlich für Unternehmenskultur bei der Deutschen Post AG, das dortige Konzept der Compliance vorgestellt. Whistleblower heißt man darin ausdrücklich willkommen, sie sollten ihre Kritik allerdings nur intern einbringen, zum Beispiel über die spezielle Hotline für Beschwerdemanagement. Dort seien seit der Einrichtung allerdings mehr Meldungen eingegangen, - nicht weil sich Missstände gehäuft hätten, sondern einfach weil die Schwelle gesenkt sei.

    Die Deutsche Post wie auch andere große Unternehmen mit Compliance-Struktur veröffentlichen keine konkreten Zahlen, gestatten keinen Einblick, wie es nun dem einzelnen Whistleblower mit seiner Beschwerde konkret ergangen ist. Und hier liegt die Crux.

    "Alle Unternehmen, die versuchen Compliance-Strukturen aufzubauen, müssen damit rechnen, dass mehr herauskommt, als vorher rausgekommen ist. Und das, was rauskommt, kommt auch an die Öffentlichkeit, das heißt der kurzfristige Effekt ist eigentlich in der Regel ein Reputationsverlust, die Öffentlichkeit sieht erst einmal die Skandale und was alles herauskommt, und sieht weniger die Bemühungen des Unternehmens hier Ordnung zu schaffen. Und da muss man durch, aber das ist etwas, was viele Unternehmen noch scheuen."

    Im Unternehmen liegen hier lang- und kurzfristige Interessen im Widerstreit. Langfristig nutzt die Initiative des Whistleblowers dem Unternehmen, weil er hilft, Geldverschwendung, Ineffizienz, Arbeitsschutzverletzungen abzustellen. Kurzfristig jedoch könnte, so immer wieder der Verdacht der Unternehmensleitung, der Whistleblower dem Ruf des Unternehmens im Konkurrenzkampf schaden.

    Das Whistleblower-Netzwerk hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Whistleblower-Systeme von Unternehmen analysiert. Zum einen fiel dabei auf, so Guido Strack, dass die Konzepte über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg und nicht in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat erstellt wurden, zum anderen, dass sie nicht auf Transparenz angelegt sind.

    "Also für mich ist ganz entscheidend, wie transparent sind diese Systeme aufgestellt, und zwar so, dass man auch sieht, was in der Praxis passiert, dass sie darüber berichten, dass die Mitarbeiter auch sehen können: Ja, selbst wenn es ein Manager ist - da wird gegen den vorgegangen, wenn er korrupt ist. Es wird ihm kein goldener Handschlag gegeben, und man einigt sich und vertuscht die ganze Geschichte. - Und da ist viel zu wenig Transparenz in den Unternehmen und gegenüber der Öffentlichkeit."
    Die mangelnde Transparenz wiegt umso schwerer, weil der Whistleblower hierzulande in einem rechtsunsicheren Raum handelt. Im Gegensatz zu Ländern wie den USA und Großbritannien erhält die Zivilcourage am Arbeitsplatz in Deutschland bis heute keinen gesetzlichen Flankenschutz. Und das, so lautet eine Konsequenz der Tagung, wäre eine erste Forderung an Politik und Wirtschaft. Gerd Meyer:

    "Es gibt bis jetzt leider keinen gesetzlichen Schutz, obwohl die Parteien und die Tarifpartner seit Jahren darüber diskutieren, es ist vor allem die Arbeitgeberseite, die dieses verhindert, die Interessenlage ist offensichtlich. Bis jetzt ist es so, dass ein Whistleblower ernsthafte rechtliche Konsequenzen zu befürchten hat und vor Gericht, selbst wenn er im Recht ist, sich im Recht fühlt, nicht sicher sein kann, dass er dort Recht bekommt, und die Abwägung, die der Richter zu treffen hat, zwischen Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitsnehmers fällt eben sehr unterschiedlich aus, und dieses ist sicherlich eine offene Wunder der rechtlichen Sicherheit in diesem Feld."

    Mehr zum Thema auf dradio.de:

    "Man müsste Whistleblower stärken" - Whistleblower-Netzwerk-Gründer über das Aufdecken von Missständen *

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