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Wenn Sinne verschmelzen

Medizin. - Synästhesie ist eine besondere Fähigkeit, bei der sich die Sinne vermischen: Buchstaben werden farbig, obwohl sie nur schwarz auf weiß auf einem Blatt Papier stehen. Musik bekommt Formen und Strukturen, die sich mit Melodie und Klangfarbe vor dem inneren Auge verändern. Wissenschaftler vermuten, dass bei Synästhetikern eine genetische Veränderung des X-Chromosoms vorliegt. Der konkrete Nachweis steht allerdings noch aus. Synästhetiker erleben die Welt mit verknüpften Sinnen. Ein Phänomen, das nicht nur Künstler sondern auch Hirnforscher fasziniert. In Hannover fand am Wochenende die erste Internationale Fachkonferenz für Synästhesieforschung statt.

24.03.2003
    Von Volkart Wildermuth

    Synästhesietagungen sind anders als normale Konferenzen. In Hannover waren genauso viele Forscher wie Synästhetiker, in den Vorträgen ging es mal um Hirnströme, mal um die Farbmusik der 1920iger, dann stellte ein synästethischer Künstler seine Bilder vor. Synästhesie ist keine Krankheit und so kommen die Synästhetiker nicht wie etwa Krebspatienten von sich aus auf die Wissenschaftler zu, sie werden regelrecht umworben. Wie etwa Regina Pautzke. Wenn sie ein Konzert hört, sieht sie vor ihrem inneren Auge ein Ballett bunter Formen, Buchstaben auf einer Zeitungsseite erscheinen ihr farbig, genauso die Zahlen. Die Eins ist weiß, die Zwei gelb, die Drei rot, im bunten Ein mal Eins haben nur die Sechs und die Acht den selben Farbton: schwarz.

    Da ist mir immer ein und derselbe Fehler unterlaufen, 7 mal 8 ist 56 dadurch, dass die 6 und die 8 gleich schwarz sind hab ich immer 58 gesagt, ich hatte mir grün schwarz gemerkt und das war nicht ganz richtig, da hat mir meine Synästhesie einen Streich gespielt.

    Meist ist die Erweiterung der Sinne aber hilfreich, etwa als Gedächtnisstütze und sie ist auch ganz einfach schön. Das sie eine besondere Fähigkeit hat, war Regina Pautzke lange nicht bewusst.

    Ich hab das früher nicht als erwähnenswert empfunden, ich sag immer so wie die Schwerkraft eigentlich, man nimmt das so sein ganzes Leben lang wahr als Selbstverständlichkeit und kommt nicht darauf, darüber zu reden.

    Viele Synästhetiker treffen auf Unverständnis, wenn sie von ihren besonderen Erfahrungen berichten. Selbst viele Forscher bleiben skeptisch. Vielleicht ist Synästhesie ja nur eine bloß gelernte Assoziation etwa von Ziffern und Farben. Auf der Konferenz in Hannover wurden aber mehrere Studien aus Deutschland, Australien und den USA vorgestellt, die das synästhetische Erleben direkt im Gehirn nachweisen konnten, erläutert Dr. Markus Zedler von der Medizinischen Hochschule Hannover.

    Wenn Synästhetiker uns erzählen, dass sie zu einem Wort das sie hören auch eine Farbe wahrnehmen, dann ist das subjektiv und wir müssen ihnen das glauben. In unseren Untersuchungen konnten wir jedoch feststellen, dass ein Synästhetiker, wenn er ein Wort oder einen Buchstaben vorgesprochen bekommt nicht nur da Hörzentrum aktiviert ist sondern auch das Sehzentrum und zwar mehr als in der Kontrollgruppe der Leute, die keine Synästhesie haben. Das ist praktisch der Beweis dafür, dass der Synästhetiker zu dem was er hört, auch eine Farbe sehen kann.

    Zusätzlich sind auch viele höhere Gehirnzentren bei Synästhetiker aktiver als bei Normalpersonen. Für die Wissenschaftler besonders spannend ist die Frage, wie die zusätzlichen Verknüpfungen der Sinne entstehen. Die sogenannte Bindung sorgt bei allen Menschen dafür, dass etwa ein Ball als ein Ganzes wahrgenommen wird, obwohl seine Farbe, seine Form, seine Bewegung in ganz verschiedenen Gehirnzentren verarbeitet werden. Im synästhetischen Erleben ist die Bindung noch verstärkt, werden zusätzliche Sinneseindrücke mit dem Objekt verschmolzen. Damit können die Synästhetiker quasi als Vergrößerungsglas dienen, durch das die Hirnforscher das Phänomen der Bindung besser untersuchen können. Derzeit gibt es zwei Theorien. Die eine geht davon aus, dass es beim Säugling noch vielfältige Verknüpfungen im Gehirn gibt, die dann zurück gestutzt werden. Vielleicht bleiben bei Synästhetiker versehentlich direkte Verbindungen zwischen den Hör- und den Sehzentren bestehen über die dann die Bindung läuft. Dr. Annina Rich, von der Universität Melbourne in Australien, glaubt hingegen, dass die Verknüpfung der Sinne in höheren Denkarealen des Gehirns stattfindet.

    Wenn es sich um ein reines Phänomen der Wahrnehmung handeln würden, dann sollte man doch erwarten, dass man den Reiz sehen muss, bevor es zur Synästhesie kommt. Stellt man aber Synästhetikern die Rechenaufgabe: Fünf plus Zwei, ohne das Ergebnis hinzuschreiben, löst allein der Gedanke an die Ziffer Sieben die synästhetische Farbe aus. Der optische Reiz selbst ist gar nicht nötig. Unsere Daten zeigen generell, dass Synästhesie eher ein Phänomen des Verstandes, als der reinen Wahrnehmung ist.

    Noch sind das alles vorläufige Befunde. Die Wissenschaftler hoffen, noch viel von den Synästhetiker zu lernen. Andersherum sind Synästhetiker wie Regina Pautzke froh, dass sie von der Forschung ernst genommen und nicht als Spinner abgetan werden.

    Ich bin diesen Wissenschaftlern , allen Wissenschaftlern sehr dankbar, das sie den Begriff geformt haben und die ganze Geschichte bekannt gemacht haben, denn sonst stünden wir Synästhetiker ganz anders da.