Donnerstag, 25. April 2024

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Wer will in den "Austrokoffer"?

Fischer: Aufregung in der österreichischen Literaturszene über den so genannten "Austrokoffer". Das ist eine Sammlung österreichischer Literatur, eine nicht ganz unbedeutende literarische Beigabe zum großen österreichischen Jubiläumsjahr 2005. Dann feiert Österreich 60 Jahre Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und den zehnjährigen EU-Beitritt. Das Problem: Gepackt wird dieser "Austrokoffer" von Günter Nenning, ehemals Enfant Terrible der linken österreichischen Szene, der inzwischen aber als Kolumnist der Kronenzeitung arbeitet, ein Boulevardblatt, das österreichische Intellektuelle nicht mal ignorieren, wie wir sagen würden, womit das ganze Projekt hinereichend diskreditiert scheint. Außerdem soll die Kunstabteilung im Bundeskanzleramt das Projekt angestoßen haben, womit die schönste Debatte weit im Vorfeld der Feierlichkeiten im Gange ist. Gegen die Vereinnahmung durch die schwarz-blaue Regierung laufen bisher zwölf bedeutende Autoren und Autorinnen von Elfriede Jelinek bis Gerhard Roth Sturm. Einer derjenigen, die solche Debatten mit Amüsement, aber auch mit viel kritischer Distanz betrachtet, ist der Schriftsteller Robert Menasse. Herr Menasse, wer ist denn der Hauptfeind, der Austrokofferträger Günter Nenning oder die Regierung? Wohin zielt der Protest?

Robert Menasse im Gespräch | 07.09.2004
    Menasse: Es geht in dieser Auseinandersetzung nicht um Haupt- oder Nebenfeinde, sondern diese Auseinandersetzung um den "Austrokoffer" ist nichts anderes als das neueste Symptom für traditionelle österreichische Konfliktgeschichte, und zwar der Konflikt zwischen der österreichischen Literatur und der österreichischen Politik. Diese Konstellation ist historisch dadurch gekennzeichnet, dass lebende Autoren immer verwunschen wurden, der Psychiatrie empfohlen wurden, als Netzbeschmutzer und Vaterlandsverräter bezeichnet wurden, und kaum waren sie tot, wurden sie vereinnahmt und in einer Kulturnation für die Touristen zur Schau gestellt, wie es eben zuletzt auch mit Thomas Bernhard geschehen ist. Die österreichischen Autoren haben seit jeher keine Lust gehabt, sich dann in irgendwelchen Situationen, wo die Politik im Spiel ist, sich vereinnahmen zu lassen, ausnahmsweise mal zu Lebzeiten. Dieser Koffer ist nichts anderes als ein kleines kulturelles Stückchen Ornament bei dem im nächsten Jahr anstehenden großen Selbstbeweihräucherungsjubelfest der Zweiten Republik. In Österreich existiert wenig Identität beziehungsweise Selbstzuschreibung. Niemand sagt, Österreich ist ein Bauernstaat, obwohl es einen ganz großen Anteil an Landwirtschaft gibt. Kein Mensch sagt, Österreich ist eine Industrienation, weil es zuwenig Großindustrie gibt. Es wird immer gesagt, Österreich ist eine Kulturnation. Und die österreichische Situation, die Geschichte, das Herumlavieren mit der Geschichte, die gegenwärtige politische Situation mit dieser unappetitlichen Regierung, soll nun herhalten für die Selbstbeweihräucherung der Regierung. Es war jedem denkenden Gemüt klar, dass sie das nicht wollen, und jeder österreichischer Künstler, der bei Sinnen ist, will nicht von der österreichischen Regierung, vom österreichischen Kanzler und vom österreichischen Kulturstaatssekretär herausgegeben werden.

    Fischer: Günter Nenning, der Herausgeber selbst, kokettiert ja sogar mit diesem Etikett, das viele österreichische Autoren auch im Ausland haben. Er sagt, ein anständiger österreichischer Autor liebt Österreich, indem er Österreich heruntermacht, und Nenning will selbstverständlich diese Kritik mit in den Koffer packen.

    Menasse: Ja, aber genau diese Terminologie von Günter Nenning zeigt ja, wie problematisch genau dieser Ansatz ist. Was heißt anständiger Autor? Was ist Anstand in diesem Zusammenhang? Und zweitens, was heißt heruntermachen? Die österreichischen Autoren sind zurecht darauf stolz, dass, wenn sie sich mit den Bedingungen ihres Lebens und Schreibens, mit der gesellschaftlichen Realität, in der sie wirksam sind, auseinandersetzen, sie dies analytisch tun. Es besteht für keinen Autor einen Grund, Interesse oder Anlass, etwas herunterzumachen, damit er beweist, dass er anständig ist. Es geht um die analytische Auseinandersetzung, und die wird in Wahrheit in diesem Land als Skandal empfunden, einem Land, in dem noch ein großer Untertanengeist herrscht und in dem von Seiten der Regierung eigentlich immer nur weihrauchschenkende Sätze erwartet werden oder Sätze von zeitloser ästhetischer Schönheit, wenn es um Kunst geht.

    Fischer: Besteht denn die Gefahr, dass es eine Spaltung gibt innerhalb der Autorinnen und Autoren Österreichs, dass also diejenigen, die ihre Werke im "Austrokoffer" belassen, auf der anderen, auf der falschen Seite stehen?

    Menasse: Im Gegenteil. Gerade der jetzige Kunststaatssekretär hat ja mehrmals versucht, revanchistisch die Kritik der österreichischen Autoren an ihm und der Regierung zu bestrafen. Er hat immer wieder versucht, österreichische Autoren zu spalten, sie gegeneinander auszuspielen, dort etwas zu kürzen, dort etwas zu versprechen und so weiter. Das hat nicht funktioniert, sondern im Gegenteil, immer dazu geführt, dass die Solidarisierung und das politische Bewusstsein der österreichischen Künstler eigentlich immer schärfer geworden sind. In politischen Fragen gibt es in Österreich in der Kunstszene eine Einigkeit gegen diese Regierung wie nie zuvor.

    Fischer: Vielen Dank für das Gespräch.