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Werkeln an Wendelstein

Physik.- Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald entsteht der Experimentalreaktor Wendelstein. Er wird 430 Millionen Euro kosten und in ein paar Jahren der größte Stellarator der Welt sein – das ist ein bestimmter Typ von Fusionsreaktor.

Von Frank Grotelüschen | 08.09.2009
    Eine Werkhalle am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. Mit dem Luftdruckreiniger macht sich ein Arbeiter an einem eigenartigen Gebilde zu schaffen – ein dicker Metallring, zwei Meter Durchmesser. Das Teil ist verbogen, verbeult und in sich verdreht, als wäre es vom Kran gefallen. Es ist eine Magnetspule für Wendelstein, sagt Projektleiter Thomas Klinger. Ihre Form ist ganz absichtlich so gewunden und verdrillt.

    "Das ist die natürlichste Spulenform, die den magnetischen Einschluss garantiert. Die es ermöglicht, ein heißes Plasma durch ein Magnetfeld von der kalten Wand fernzuhalten, damit das heiße Plasma eine Chance hat, heiß zu sein."

    Das Plasma ist Wasserstoffgas. Im Inneren eines Fusionsreaktors muss es bis auf 100 Millionen Grad erhitzt und in einem Magnetkäfig eingesperrt werden, so dass es die Wände nicht berührt. Nur dann kann das Plasma zünden und zu Helium verschmelzen. Wendelstein mit seinen gewundenen Magneten ist ein Fusionsreaktor vom Typ Stellarator. Andere Physiker setzen auf ein Alternativkonzept, den Tokamak. Er hat eine deutlich simplere Form als der Stellarator und ist deshalb einfacher zu bauen. Thomas Klinger aber hofft, dass der Stellarator letztlich besser funktioniert als der Tokamak.

    "Das heißt: Wir wollen demonstrieren, dass der Stellarator das Zeug zum Kraftwerk hat, ganz simpel."

    Überall in der Vorbereitungshalle sind Arbeiter am Gange, bohren, biegen und schrauben an den krummen Magnetspulen herum.

    "Wir arbeiten im Schichtbetrieb. Wir arbeiten auch an Samstagen",

    sagt Montageleiter Lutz Wegener. Und was passiert, wenn ein Bauteil fertig ist?

    "Dann kommt es in die Vormontage-Halle 100 Meter weiter. Und da gehen wir jetzt hin."

    Hier stehen zwei Montage-Stände, groß wie Einfamilienhäuser, umringt von Hydraulikstempeln. In ihnen sind Teile des Plasmagefäßes eingespannt. So heißt die Reaktorkammer, in der das Plasma später zünden soll. Sie wird aussehen wie ein überdimensionaler, auf dem Boden liegender Lastwagenreifen, Durchmesser 16 Meter. Ähnlich wie die Magneten sind auch die Gefäßteile verbeult und in sich verdrillt.

    "Hier sind sie an beiden Seiten eingespannt. In der Mitte zwischen diesen beiden Teilen erkennen Sie eine Spule. Wie ein Gürtel umschließt sie die beiden Gefäßteile."

    Die Arbeiter fädeln die ringförmigen Magnetspulen über die Gefäßteile und verschweißen sie miteinander.

    Jetzt gehen wir in die Reaktorhalle. Hier wird Wendelstein zusammengesetzt – aus fünf Modulen mit insgesamt 70 Magnetspulen.

    "Sie sehen diese große graue Stahlstruktur. Die muss am Ende die gesamte Masse von 750 Tonnen der Maschine tragen. Der Außendurchmesser ist 16 Meter. Das ist schon eine massive Anlage, der größte und modernste Stellarator der Welt. Er wird dort bleiben bis zum Ende seiner Dienstzeit, 20 Jahre."

    Eines der fünf Module ist schon an seinem Platz. Über ein Gerüst klettern wir hinein und blicken auf ein Gewirr aus Leitungen, Strippen und Kabeln.

    "Manchmal hat man den Eindruck, es sieht aus wie ein ausgegossener Teller Spaghettis – sehr viele gebogene Rohre. Und man muss sich vorstellen: Jede dieser Biegungen, jede Abzweigung ist genau per Computer entworfen."

    Das Gewirr ist nur scheinbar chaotisch – ebenso wie das Labyrinth aus Stahlrohren, die sich wie Spinnfäden durch das Modul ziehen. Durch diese Rohre soll flüssiges Helium fließen – minus 270 Grad Celsius kalt. Man braucht es für die Kühlung der Magnetspulen. Die nämlich sind supraleitend und transportieren, solange sie tiefgekühlt sind, den Strom völlig verlustfrei.

    "Insgesamt haben wir es mit 425 Tonnen kalter Masse zu tun, die auf diese sehr, sehr tiefe Temperatur herabgekühlt werden muss."

    2014 soll Wendelstein fertig sein – deutlich später als geplant, ursprünglich sollte er schon 2010 loslegen. Energie wird der Experimentalreaktor zwar nicht erzeugen – dazu ist er schlicht zu klein. Aber er wird zeigen, ob der Stellarator zumindest im Prinzip das Zeug zum Kraftwerk hat oder nicht.