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Widerstand als Wert

Der Aufruf de Gaulles im Radio vor 70 Jahren markiert eine neue Phase im französischen Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft. Das Radio hat auch bei der weiteren Kommunikation mit dem Widerstand und als Information der Franzosen im besetzten Frankreich eine bedeutende Rolle gespielt.

Im Gespräch mit Ursula Welter | 18.06.2010
    Ursula Welter: Die BBC in London war zunächst also Dreh- und Angelpunkt des sich formierenden Widerstandes gegen die Nazi-Herrschaft. Dorthin (zur BBC) ging General de Gaulle am 18. Juni 1940 und von dort wurden fortan regelmäßig Botschaften an die Résistance in Frankreich geschickt, Botschaften, die sich etwa so anhörten:

    "Ici Londres", die Rolle des Radios und die Frage, was bedeutet Widerstand, was braucht es, um Widerstand zu leisten, das sind Fragen, denen Deutschlandfunk und Radio France heute gemeinsam in ihren Programmen an verschiedenen Stellen nachgehen wollen. Welche Überlegungen steckten hinter diesem Projekt? - Das habe ich vor der Sendung die Intendanten beider Sender gefragt: Willi Steul für das Deutschlandradio und Jean-Luc Hees für Radio France.

    Jean-Luc Hees: Ja was uns hier vor allem interessiert hat, das war einerseits natürlich die Geschichte, die Geschichte dieser eklatanten Niederlage Frankreichs und der Aufruf des Generals am 18. Juni. Daneben aber hat uns eben auch gefangen genommen der Gedanke des Radios. Das Radio, das eben nicht nur etwas Überaltertes ist, das es vielmehr diesem einfachen Mann, der damals noch völlig unbekannt war, ermöglichte, sich alleine hinzustellen, seine Stimme erklingen zu lassen und zu sagen, ja, diese Niederlage ist geschehen, aber es ist nicht alles verloren, die Schlacht ist verloren gegangen, aber wenn wir alle zusammenstehen, dann wird es vielleicht eines Tages möglich sein, dass Frankreich auf der Seite der Sieger steht. Nun wurde oft auch gesagt, das Radio sei doch ein altes Medium, das Internet habe alles vor sich, aber nein: wir wissen, es gibt Dutzende Millionen von Zuhörern, von Nutzern in unseren Ländern, ich glaube 13,5 Millionen Hörer jeden Tag in Frankreich, und ich möchte also doch behaupten, dass das Radio ein wunderbares Werkzeug der Kommunikation ist, und auch das gilt es zu feiern an diesem 18. Juni, 70 Jahre nach dem Aufruf von General de Gaulle.

    Welter: Ein Aspekt, der auch uns, den Deutschlandfunk, mit diesem Thementag interessiert, Willi Steul?

    Willi Steul: Ja, klar! Das Radio als Medium hat eine enorme Rolle gespielt in vieler Hinsicht. Da war dieser unglaubliche Aufruf des kleinen Brigadegenerals de Gaulle, den niemand kannte: Kommt zu mir, wir, die widerstehen, wir sind Frankreich. Das war das eine. Und danach hat das Radio auch eine wesentliche Rolle gespielt als Kommunikation mit dem Widerstand und als Information der Franzosen im besetzten Frankreich.

    Welter: Wir reden also über die Résistance mit einem großen R bei Radio France und bei uns im Deutschlandfunk heute, aber es soll um mehr gehen: um Widerstand, um Widerstehen bis in die heutige Zeit.

    Hees: Ja, ich bin mir da ganz sicher. Das gehört zu den Gegenständen. Es war allzu leicht, jetzt sich zurückzulehnen und zu sagen, dieses schreckliche Unglück ist nun einmal geschehen, wir können nichts machen. In weniger als einem Monat war diese Armee, die für die größte der Welt gehalten wurde, vernichtend geschlagen worden und es gab sicherlich auch viele, die hier von diesem überwältigenden Ereignis eben nicht mehr sich erholten. Aber dieser Geist des Widerstandes, der bedeutet eben, dass man sich nicht in sein Schicksal fügt, dass es irgendwo doch noch in irgendeinem Winkel des Herzens Hoffnung gibt, dass man etwas ändern kann. Ich hoffe jedenfalls, dass dieser Geist da ist. Wenige haben damals ja den Aufruf von General de Gaulle am 18. Juni tatsächlich gehört, aber das macht nichts. Man muss daran glauben und ich glaube, mein Kollege Willi Steul teilt diese Auffassung: Wir arbeiten hier in einem Medium, das der Demokratie hilft, oder vielleicht nicht ihr hilft, sondern sie befördert. Das mag jetzt vielleicht etwas hochgestochen oder feierlich klingen, aber ich glaube, in unseren beiden Ländern ist das auch der Auftrag des Radios, etwas, was man nicht vergessen sollte.

    Und dieser Geist des Widerstandes, was bedeutet das? Nun, Widerstand bedeutet ja nicht, dass man ständig sich in irgendwelchen provokatorischen Gesten ergeht. Nein, es bedeutet, dass man das Umfeld, in dem man lebt, in die eigene Gestaltungsmacht nimmt, dass man die Kontrolle ausüben will. Und ich glaube, dass dieser Geist uns gemeinsam beseelt.

    Steul: Ja, und ich kann nur sagen: Was mich sofort fasziniert hat, das ist ja die Selbstverständlichkeit der Entscheidung. Intellektuelle, aber auch ganz einfache Fischer haben zwischen dem 18. und dem 22., 23. Juni 1940 sofort entschieden, in die Boote zu gehen, um nach London zu gehen. Und was bedeutet es, was braucht man, um diese richtige Entscheidung zu treffen? Es besteht überhaupt kein Zweifel daran: Die Entscheidung für den Widerstand war die richtige Entscheidung, der Widerstand gegen die Barbarei. Und das ist etwas, über das wir auch heute nachzudenken haben.

    Welter: Ein Aufruf, der nun 70 Jahre zurückliegt. - Ein "Thementag Widerstand" aus diesem Anlass, interessiert das die Jugend heute noch? Anders gefragt: Kann das die Debatte zwischen den Generationen auch über das Thema Widerstand im Grundsätzlichen bereichern?

    Hees: Ja, ich glaube schon, dass das so ist. Vielleicht bin ich auch ein Träumer, oder ein Büßer, aber es ist beeindruckend gewesen zu sehen, wie eine einzelne Stimme eines Mannes, der obendrein in Abwesenheit von seinen eigenen Kollegen, den Generälen des Vichy-Regimes, zum Tode verurteilt worden war, wie er seine Stimme erhob und wie er dann eben nachweisen konnte, dass nicht alles verloren ist, dass man etwas machen konnte. Egal wie man nun zur Politik steht, ob man über Geschichte spricht, ob man dieses oder jenes Interesse hat, diese Stimme, die hinterlässt einen Eindruck, ich glaube, bei jedem Menschen, der 20 Jahre alt ist.

    Steul: Also ich kann nur unterstreichen, was Jean-Luc da gesagt hat, und noch hinzu etwas ganz Persönliches: In der Erziehung unserer vier Kinder habe ich mir immer die Frage gestellt, was muss ich denen mitgeben, damit sie in entscheidenden ethischen Fragen Nein sagen können, selbst wenn alle um sie herum Ja sagen. Das ist ein großes Beispiel, aber man soll sich auch an großen Beispielen orientieren - denken Sie an die Geschwister Scholl. Deren Haltung ist deshalb so bewundernswert, weil sie es aus einer inneren, eigenen Haltung heraus tun mussten. Das heißt auch, Verantwortung zu übernehmen für sich und andere in dieser Welt, und das sind Fragen, die sich uns heute ganz genauso stellen wie damals und an den Widerständlern in einer ganz besonderen Situation. Wir können und dürfen uns nicht damit vergleichen, das wäre auch völlig unbescheiden, aber wir müssen darüber nachdenken, was macht Menschen dazu, was versetzt sie in die Lage, etwas zu tun, wo andere feige sind, wo andere sich normal verhalten.

    Welter: Nun gibt es ja nicht mehr allzu viele Zeitzeugen, nicht mehr viele, die uns erzählen können, wie und warum sie Widerstand geleistet haben. Wie werden Radio France und Deutschlandfunk dem Rechnung tragen? Und vor allem: Was lernen wir für heute aus diesen Schätzen, die unsere Archive in Berlin, in Köln, Paris und in London noch hüten?

    Steul: Erst mal: Man muss schon die Hoffnung haben - und die habe ich als grundoptimistischer Mensch -, dass man aus großen Vorbildern lernen kann. Was ich von den Zeitzeugen in Frankreich, auch in Deutschland herausgehört habe, den Äußerungen, die ich kenne, das ist auch dieser große Unterschied zwischen einem natürlichen, selbstverständlichen Patriotismus, einer wunderbaren verantwortlichen Haltung für die Freiheit, für das Gemeinwesen, und Nationalismus, ein Nationalismus, der sich immer gegen andere wendet. Das ist auch etwas, was wichtig ist zu sehen und zu wissen. In Deutschland müssen wir, glaube ich, ganz besonders darauf hinweisen.

    Hees: Ja, da möchte ich noch etwas hinzufügen. Vor etwa 20 Jahren habe ich die Nichte des Generals, Geneviève de Gaulle Anttonioz, kennengelernt, die damals im Jahr 1940 ja noch ein Mädchen war, ich glaube 14, 15 Jahre alt, und sie ertrug eben damals nicht den Gedanken, dass ihr Land besetzt sei. Deswegen hat sie auch bestimmte antideutsche Parolen auf die Brücken in Paris geschrieben, aus Gründen, die ich teile, und sie wurde dann ins Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Ihre Erzählungen haben mich sehr, sehr berührt, denn das ist genau das, was sie aus dieser Zeit erzählte, was auch Sie gerade jetzt erwähnt haben. Es ging hier nicht um Nationalismus; nein, es ging um die Idee der Freiheit, es ging um Unabhängigkeit. Diese Ideen haben wirklich etwas Bezwingendes, das ist etwas Wunderbares!