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Wie die Adern im menschlichen Körper

Ein Drittel des norwegischen Erdgases wird an der norwegischen Westküste in Karstø für den Export bereit gestellt. Wenn diese Anlagen nicht funktionieren, kommt die norwegische Öl- und Gasförderung ins Wanken.

Von Marc-Christoph Wagner | 13.10.2010
    Karstø an der norwegischen Westküste, gut zwei Autostunden nördlich von Stavanger. Ein Industriekomplex im Nirgendwo, eine Landschaft aus Tanks, Röhren und Schornsteinen. Ein neuralgischer Punkt. Denn etwa ein Drittel des norwegischen Erdgases wird von dieser Aufbereitungsanlage exportiert. Wenn Karstø nicht funktioniert, bricht die gesamte norwegische Öl- und Gasförderung binnen Kürze zusammen, sagt der Ingenieur Jon Magne Svensbø:

    "Die Anlage arbeitet rund um die Uhr. Das Gas lässt sich verdichten, auch in den Pipelines, sodass diese im Fall des Falles als Puffer, als Lagerstätten funktionieren können. Doch das geht nur, bis der Druck in den Röhren einen gewissen Punkt erreicht. Sollte Karstø noch länger als zwei, drei Tage ausfallen, müsste die gesamte Offshore-Produktion stoppen.""

    Svensbø arbeitet seit 14 Jahren hier in Karstø. Über Pipelines ist die Anlage mit rund 50 Offshore-Feldern verbunden, deren Gas hier aufbereitet wird. Kein Wunder also, dass alles getan wird, um den Betrieb zu sichern:

    "Man kann es vergleichen mit den Adern im menschlichen Körper. Sie versorgen die wichtigsten Organe mit Blut und erhalten den Körper am Leben. Und diese Anlage ist so etwas wie das Herz"

    Ortswechsel. Wie verzweigt und somit wie fragil die norwegische Öl- und Gasförderung ist, wird beim Netzwerkbetreiber Gassco deutlich. Der Schaltraum ist so groß wie eine Sporthalle. Meterlange Bildschirme hängen an holzbetäfelten Wänden. In der Raummitte kleine Inseln, an denen Techniker nichts weniger koordinieren als Norwegens Erdgaslieferungen nach ganz Europa. Verantwortlicher Leiter an diesem Nachmittag ist Morten Carlsen, der das System aus Bohrplattformen, Pipelines, Terminals und Schnittstellen überwacht:

    "Für uns ist Verlässlichkeit oberstes Gebot. Unser Ziel sind 100 Prozent – rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Natürlich passiert es immer wieder, dass wir Bohrplattformen warten müssen oder dass wir Ausfälle haben. Aber das versuchen wir dann zu kompensieren – entweder, in dem wir schon vorher mehr Gas in die Pipelines pumpen, oder indem andere Felder ihre Kapazitäten kurzfristig erhöhen. Verlässlichkeit ist unsere wichtigste Aufgabe."

    So wundert es wenig, dass sich unter anderem Norwegen erst Ende September einem zwischenzeitlichen Stopp für Tiefseebohrungen in der Nordsee widersetzte. Ein solches Moratorium hatte Bundesumweltminister Norbert Röttgen vorgeschlagen, um Lehren aus dem Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko zu ziehen und ähnliche Unfälle in Europa zu vermeiden. Bei Norwegens Ölgesellschaft StatoilHydro aber stößt ein solches Ansinnen auf Unverständnis. Einerseits verfüge man bereits heute über die höchsten Sicherheitsstandards weltweit. Andererseits könne sich die Welt derlei Produktionsausfälle schlichtweg nicht leisten, so die Geologin Mona Nyland Berg:

    "Das Öl-Zeitalter stoppt nicht von einem Tag auf den anderen. Es wird einen gleitenden Übergang geben zu erneuerbaren Energien. Das ist ein langfristiger Prozess. Es geht nicht um zehn oder zwanzig Jahre, sondern um einen sehr viel längeren Zeitraum."

    Und so treiben auch die Norweger ihre Ölsuche in immer entlegenere Gegenden voran. Vor die Küsten der Lofoten, eines Vogel- und Naturparadieses im Norden des Landes sowie in die Tiefen der Barentssee und Arktis. Sicherheit ist wichtig, betont auch Außenminister Jonas Gahr Støre. Versorgungssicherheit aber ebenfalls – und das müsse man auch in Brüssel wissen. Denn immerhin sei Norwegen nach Russland der inzwischen zweitgrößte Energielieferant Europas.