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Wie die Windungen ins Gehirn kommen

Es ist eine der ältesten Fragen der Hirnforschung: Wie kommen die typischen Windungen und Furchen in unser Gehirn? Schon seit dem 19. Jahrhundert geht die Forschung davon aus, dass mechanische Kräfte für die charakteristischen Erhebungen und Gräben in der Hirnrinde verantwortlich sind. Diese Hypothese haben jetzt erstmals deutsche und amerikanische Hirnforscher in Primaten-Versuchen bestätigt.

Von Christoph Kersting | 14.06.2006
    " Es ist seit der Antike eigentlich schon bekannt, dass das Gehirn Furchen aufweist. Und der Grund dafür ist ein ganz einfacher: Die Oberfläche der Großhirnrinde ist etwa dreimal so groß beim Menschen wie die innere Oberfläche des Schädels. Das heißt, wenn man die Großhirnrinde in den Schädel einbringen möchte, dann muss sie aufgefaltet werden. Und natürlich geht das auf verschiedene Arten und Weisen, man könnte die einfach zusammen knautschen, zusammen knüllen wie ein Blatt Papier, und dann hätte sie eine relativ zufällige Gestalt, aber das hat sie nicht. Die Großhirnrinde ist sehr charakteristisch gefaltet und bietet dieses bekannte Bild, was man sieht, wenn man sich Bilder des Gehirns näher anschaut."

    Warum die Gehirnwindungen eben nicht zufällig geformt sind, sondern offenbar einem bestimmten Bauplan folgen - diese Frage untersuchte der Bremer Neurowissenschaftler Claus Hilgetag gemeinsam mit Helen Barbas von der Universität Boston anhand von Primaten-Gehirnen. 20 Jahre lang hatte Hirnforscherin Barbas hierfür Daten über die Gehirnstruktur von Rhesusäffchen gesammelt.

    " Man schaut sich die Gehirne in ihrer groben Morphologie an, wie sie von außen aussehen in ihrer Gestalt, aber natürlich auch in Dünnschnitten, so dass man sieht, wie die Zellen in den verschiedenen Schichten der Großhirnrinde angeordnet sind, wie dicht sie sind, welche Morphologie sie haben. Verbindungen kann man dadurch nachweisen, dass Farbstoffe injiziert werden, die entlang der Verbindungen transportiert werden, so dass man dann in den Dünnschnitten auch wiederum sehen kann, wo die Verbindungen ihren Ursprung hatten oder wo sie terminieren, wo sie also enden, letztlich kann man daran sehen, welche Regionen im Hirn miteinander verbunden sind."

    Die Untersuchungsergebnisse bestätigten schließlich die alte Annahme, dass die Gehirnwindungen bei Primaten wie Menschen durch mechanische Kräfte entstehen, nämlich durch eine Faserspannung, die von Nervenverbindungen in der Hirnoberfläche ausgeübt wird. Demnach werden Gehirnregionen, die durch viele Nervenfasern miteinander verbunden sind, während der embryonalen und frühkindlichen Entwicklung des Gehirns zueinander gezogen - es entstehen die typischen Hügel, die unser Gehirn bisweilen wie einen Schwamm aussehen lassen. Furchen oder Täler entstehen dagegen in den weniger stark vernetzten Regionen zwischen den Hügeln - Claus Hilgetag:

    " Letztlich lässt sich unsere Idee so ausdrücken, dass die Gestalt des Gehirns in etwa so zustande kommt wie die Gestalt einer gestopften Socke. Dort, wo man also viele Fäden durchführt, werden die Regionen zu einem Hügel zusammengezogen, und dort, wo wenig Fäden laufen , bildet sich eine Furche, ein Tal aus. Letztlich ist es beim Gehirn nicht viel anders als bei einer Socke: Mechanische Kräfte setzen so an, dass durch die Zugspannung Nervenfasern die Hügel zusammengezogen werden und sich dazwischen die Täler ausbilden."

    Mit ihren Forschungsergebnissen haben die Wissenschaftler nicht nur eine der ältesten Fragen der Hirnforschung beantwortet, sondern tragen laut Claus Hilgetag auch zum Verständnis bestimmter Krankheitsbilder bei:

    " Ich glaube es ist ganz wichtig, dass wir eine systematische experimentelle Bestätigung geliefert haben für die Hypothese, die es schon seit einiger Zeit gab: dass eben die Verbindungsstruktur der Nerverfasern und die Gestalt des Gehirns zusammenhängen. Das ist deswegen wichtig, weil Bild gebende Untersuchungen in den letzten Jahren gezeigt haben, dass es systematische Abweichungen gibt zwischen den Gehirnen von Normalprobanden und bestimmten Patientengruppen, zum Beispiel Patienten mit Krankheiten wie Autismus oder Schizophrenie. Bei denen zeigen sich systematische Abweichungen der Lage und der Gestalt der Gehirnwindungen. Und bisher wusste man nicht genau, auf welchen Mechanismus das zurück zu führen ist. Unsere Untersuchungen legen jetzt nahe, dass es die Verbindungsstruktur des Gehirns ist, die die unterschiedliche Gestalt nach sich gezogen hat."

    Auf die Frage indes, warum die Nervenverbindungen sich bei einigen Menschen anders entwickeln und zu Krankheiten wie Schizophrenie führen, wird die Wissenschaft laut Hilgetag in naher Zukunft kaum eine Antwort finden.