Dienstag, 16. April 2024

Archiv


"Wie gewonnen, so zerronnen"

Zeit- und Leiharbeiter sind die Ersten, die von der Wirtschaftskrise betroffen sind. In konjunkturellen Spitzenzeiten stellten sie in einigen Automobilbetrieben bis zu 50 Prozent der Belegschaft, nun droht ihnen die Arbeitslosigkeit. Wie die Situation der Leiharbeiter auch in Krisenzeiten verbessert werden kann, darüber gibt unter anderem eine Studie der Universität Jena Auskunft.

Von Barbara Weber | 05.02.2009
    "Ich habe einen Realschulabschluss gemacht, und dann bin ich zur Bundeswehr gegangen für zwei Jahre. Dann bin ich zurück in meine Heimat, habe ein bisschen gejobbt und habe mich dann entschieden, nach Köln zu ziehen, und seitdem arbeite ich für das Unternehmen Adecco."

    Klaus Meier, 30 Jahre, ungelernter Arbeiter. Tätigkeitsfeld:

    "Produktionshelfer, also meistens leicht erlernbare Tätigkeiten, zum Beispiel Montagehelfer bei Ford am Fließband, Autos bauen oder im Lagerbereich irgendwo Lager bestücken ... "

    ... und andere Hilfstätigkeiten, meint er.

    "Ich bin mit 17 Mama geworden, habe nun ein Abgangszeugnis nach der Neun, habe danach einen Lehrgang gemacht. Da man dann ein Kind großziehen muss, habe ich rumgejobbt."

    Melanie Schmitz, 25 Jahre.

    "Kellnerjobs, Verkauf- und Servicebereich, bin dann im Oktober 2007 auch zu Adecco gekommen, habe mich halt beworben, wurde dann auch genommen, habe ein Jahr am Fließband auch bei Ford gearbeitet, Autoteile gebaut, und dann habe ich halt im Büro hier angefangen."

    Jetzt macht sie bei Adecco leichte Bürotätigkeiten, zur vollsten Zufriedenheit ihres Chefs.

    "Ich habe ein abgebrochenes Studium, habe dann als Vertriebsleiter in einem CD-Großhandel gearbeitet und bin dann über die normale Zeitarbeitsschiene, also erst als externer Mitarbeiter, zu Adecco gekommen."

    Stefan Umari, jetzt Niederlassungsleiter bei Adecco in Köln Mülheim.

    "Leiharbeit und Zeitarbeit - zwei synonyme Begriffe zunächst einmal - bezeichnen ein ganz besonderes Beschäftigungsverhältnis. Man kann es auch als eine Art Dreiecksverhältnis bezeichnen","
    sagt Dr. Hartmut Seifert, Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut, Hans Böckler Stiftung.

    ""Ein Dreieckverhältnis mit den drei Punkten: der Verleihfirma, die ein Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitnehmer abschließt und diesen Leiharbeitnehmer dann verleiht an einen Entleiher, eine Firma, bei der eben dann der Leiharbeitnehmer auch eingesetzt wird, zu dem hat er kein Arbeitsverhältnis, aber ein Beschäftigungsverhältnis."

    Das Besondere dabei ist:

    "Da kann es sein, dass der Arbeitseinsatzort sehr viel bessere Arbeitsbedingungen hat, also dort ein höheres Entgelt gezahlt wird an die Stammbeschäftigten, als der Leiharbeitnehmer von seinem Arbeitgeber, nämlich der Verleihfirma, erhält. Und das ist auch einer der Streitpunkte bei der Einführung von Mindestlöhnen in den Betrieben, in denen sie dann auch eingesetzt werden."

    Ausnahmen gibt es selbstverständlich immer, aber selten. Seit der Deregulierung der Zeitarbeit durch den Gesetzgeber 2003 hat sich eine enorme Dynamik auf diesem Markt entwickelt, meint der Wissenschaftler:

    "Die Zahl der Leiharbeitnehmer hat sich seit dem Tiefpunkt 2003 bis 2007/2008 mehr als verdoppelt."

    Das bedeutet in absoluten Zahlen:

    "Wir hatten dann zuletzt den Höhepunkt, nahezu 800.000 Leiharbeitnehmer."

    Seine aktuelle Prognose:

    "Jetzt wird sich die Situation in dem letzten Halbjahr völlig verändert haben und vor allen Dingen auch in der Zukunft in absehbaren nächsten Monaten wird die Zahl der Leiharbeitnehmer ebenso schnell in den Keller rauschen, wie sie auf der anderen Seite in die Höhe geschossen ist. Also man kann fast sagen: Wie gewonnen, so auch zerronnen. Das zeigt die besondere Funktion dieser Beschäftigungsform. Leiharbeit ist eine sehr flexible Beschäftigungsform, die Unternehmen hilft, in Spitzenzeiten, in konjunkturellen Spitzenzeiten, kurzfristig Arbeitskräfte anzuheuern, um sie dann aber auch auf der anderen Seite, wenn die Konjunktur nachlässt, genauso schnell wieder entlassen zu können, abstoßen zu können."

    Das bestätigt die Praxis, wie der Niederlassungsleiter von Adecco in Köln Mülheim beobachtet:

    "Wir arbeiten seit mehreren Jahren mit den Fordwerken zusammen und hatten im Jahr 2008 die spezielle Situation, dass ein Modellwechsel bevorstand, das heißt, der neue Ford Fiesta ist nach den Werksferien vom Band gelaufen. Und zu diesem Zweck benötigten die Fordwerke im Jahr 2008 weitaus mehr Mitarbeiter als in den Jahren zuvor. In der Regel reden wir von 15 bis 200 Mitarbeitern, die wir bei Ford im Einsatz haben. Aufgrund des Modellwechsels sind die Zahlen dann eben im letzten Jahr an die 600 Mitarbeiter ausschließlich bei Ford gegangen. Diese zusätzlich benötigten Mitarbeiter für den Modellwechsel hatten einen befristeten Vertrag bis zum 31. Dezember, so dass eigentlich klar war, dass zumindest für den Großteil dieser Mitarbeiter dieser Einsatz projektbezogen war und zum Ende des Jahres auslief."

    Das ist inzwischen typisch für mehr als die Hälfte der Zeitarbeiter in der Bundesrepublik. Sie werden von den Zeitarbeitsfirmen nur befristet beschäftigt und für diesen befristeten Zeitpunkt an die Firmen weitergeliehen. Da in vielen Fällen diese Verträge unter drei Monaten laufen - so Untersuchungen der Hans Böckler Stiftung - haben die Leiharbeiter keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, das heißt, sie werden direkt zu Hartz IV-Empfängern.

    Ein weiterer Aspekt kommt hinzu:

    "Was uns natürlich überrascht hat, war die Weltwirtschaftskrise, die dann auch dazu geführt hat, dass der Fordauftrag komplett beendet wurde zum 31.Dezember und wir unsere Stammmitarbeiter, die auch bei uns schon länger gewesen sind, ohne Beschäftigung hatten."

    Das heißt: Für viele der 256 Mitarbeiter bedeutete das zunächst die Entlassung.

    Ford und Adecco sind kein Einzelfall. Prof. Klaus Dörre, Arbeits- und Wirtschaftssoziologe an der Universität Jena, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema "Zeitarbeit". Die Ergebnisse der letzten Studie resultieren aus Befragungen, die bis Ende Januar in 16 Unternehmen in Ost- und Westdeutschland durchgeführt wurden. Seine Mitarbeiter interviewten Manager, Betriebsräte, regulär Beschäftigte und Zeitarbeiter - soweit noch vorhanden, muss man fast sagen:

    "In der Mehrzahl der von uns untersuchten Betriebe gibt es inzwischen keine Leiharbeiter mehr oder nur noch ganz, ganz wenige, weil sie mit Blick auf die krisenhafte Wirtschaft als erste entlassen worden sind."

    Für den Soziologen steht fest:

    "Das Beschäftigungsrisiko wird allein auf Kosten der Leiharbeiter ausgetragen. Das ist ein hochproblematischer Trend."

    Seine Schlussfolgerung:

    "Deshalb sind mindestens zwei Dinge absolut notwendig: Die EU-Richtlinie zur Leiharbeit, die sagt 'equal pay, equal treatment', gleiches Geld für gleiche Arbeit, gleiche Arbeitsbedingungen. Das ist zwingend nötig umzusetzen und der zweite Punkt hochaktuell: Im Moment müsste man schauen und auch die verleihenden Unternehmen in die Pflicht nehmen, dass Leiharbeiter nicht wegen rückläufiger Konjunktur gleich wieder auf der Straße landen. Die Leiharbeitsunternehmen, gerade die großen internationalen Konzerne wie Adecco, haben hohe Gewinne gemacht in der Phase des Aufschwungs, und es ist überhaupt nicht einzusehen, dass Leiharbeitskräfte jetzt gleich wegen rückläufiger Konjunktur entlassen werden."

    Sie sind die ersten, die in der Krise entlassen werden, denn Zeitarbeiter werden in besonders konjunkturabhängigen Branchen nachgefragt. So ist auch die Studie von Prof. Klaus Dörre angelegt:

    "Wir haben in erster Linie die Metall- und Elektroindustrie untersucht und einzelne Betriebe herausgepickt, also keine Branchenanalyse gemacht, sondern einzelne Betriebe herausgenommen und haben uns vor allen Dingen konzentriert auf diesen Typus der 'strategischen Nutzung' von Leiharbeit beziehungsweise den Typus 'Flexibilitätspuffer', also nicht so sehr den Personalersatz, sondern wir wollten schon die Intensivnutzung von Leiharbeit stärker in den Blick nehmen. Wir haben das ergänzt, die Studien in der Metall- und Elektroindustrie, um einige Betriebe im Bereich Nahrung, Genuss, Gaststätten und im Dienstleistungssektor."

    Automobilunternehmen waren dabei, die bis zu 1000 Zeitarbeiter beschäftigten, bei einem Leiharbeiteranteil insgesamt von 35 bis 40 Prozent. Die Wissenschaftler nahmen Zulieferfirmen unter die Lupe mit einem Zeitarbeitsanteil von 50 Prozent.

    Andererseits trügt der erste Schein: So zeigen Studien der Hans Böckler Stiftung, dass die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen gar keine Leiharbeiter beschäftigt. 90 bis 95 Prozent der Firmen greifen auf andere Möglichkeiten zurück wie zeitlich befristete Verträge. Für die Entleiher-Firmen sind Zeitarbeitsplätze auch nur dann interessant, wenn hohe Löhne vom Entleiher an den Verleiher fließen. Eine Friseurstelle im Osten der Republik, die mit unter fünf Euro die Stunde honoriert wird, ist kein lohnendes Geschäft für die Zeitarbeitsbranche.

    Die Ergebnisse, die seine Untersuchungen gebracht haben, sind zwiespältig - so Klaus Dörre:
    "Eine Schlussfolgerung ist, dass Leiharbeit sicher ein gutes Instrument zur Flexibilisierung der Arbeit und zur Schaffung von Beschäftigungschancen sein kann, wenn es richtig eingesetzt wird, wenn es aber dazu dient, gewissermaßen ein Geschäftsfeld zu generieren, dass Leiharbeit tatsächlich auf Kosten von Festanstellung tatsächlich expandieren lässt, das in erster Linie der Kostenoptimierung dient, das eben keine arbeitsmarktpolitischen Chancen für Benachteiligte, Arbeitslose, generiert, dann ist das hochproblematisch. Und dann muss man natürlich überdenken, ob die vielen Deregulierungen, die es mit Blick auf dieses Instrument und die arbeitsmarktpolitischen Hoffnungen, die es gegeben hat, ob die tatsächlich so greifen."

    Der sogenannte Klebeeffekt - also die Übernahme von Zeitarbeitern in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis in der Firma - ist denkbar gering. Der Soziologe bestätigt Studien vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, nachdem der Klebeeffekt bei etwa 15 Prozent liegt.

    Den Brückeneffekt - also eine Festanstellung nach der Zeitarbeit in einem anderen Unternehmen - beziffern die Nürnberger Wissenschaftler mit zusätzlich 15 Prozent. Insgesamt - vorsichtig geschätzt - könnten die Leiharbeiter die Chance auf eine folgende Festanstellung mit etwa 30 Prozent ansetzen.

    "Was hochproblematisch ist, ist in meinen Augen dieser Tendenz zu zwei Klassen von Arbeitnehmern in den Betrieben, dass sie auf der einen Seite Arbeitnehmer haben, die Festangestellte sind, und auf der anderen Seite Arbeitnehmer, die zu Leiharbeitstarifen beschäftigt werden - und dann 30 bis 50 Prozent weniger Geld bekommen. Ich glaube deshalb, dass man sehr genau hinschauen muss, zumal die Leiharbeiter jetzt im Abschwung die ersten sind, die entlassen werden."

    Das wiederum ist ein Effekt, der von Gewerkschaftsseite ursprünglich ausdrücklich unterstützt wurde.

    "Es ist schon so, dass Betriebsräte, die mal einen Sozialplan gemacht haben, das natürlich nicht gerne wieder machen möchten. Deshalb hat es gerade in größeren Unternehmen die Tendenz gegeben, das Beschäftigungsrisiko für die Stammbelegschaft dadurch abzufangen, dass man tatsächlich Leiharbeitskräfte einstellt. Allerdings hat man etwa im Bereich der IG-Metall gesehen, dass - wenn diese neuen Nutzungsstrategien greifen - also die strategische Nutzung in den Hochburgen gewerkschaftlicher Organisation, wie etwa in der Automobilindustrie, plötzlich eine Zweiklassengesellschaft unter den Beschäftigten entsteht."

    Und nicht nur das: Ein Teil der Gewerkschaften zieht nun auch Zeitarbeiter in das politische Kalkül:

    "Es hat intensive Anstrengungen gegeben, unter den Leiharbeitern Mitglieder zu gewinnen, die Mitglieder melden sich jetzt natürlich und wenden sich an die Gewerkschaft und sagen sehr zurecht, bitte tut etwas für uns, wir sind nicht eingetreten, um unsere Beiträge zu zahlen und jetzt im Abschwung, wo wir das Beschäftigungsrisiko tragen sollen, da müsst ihr etwas tun, und das ist auch die Kernaufgabe im Moment."

    Ein Projekt, das bundesweit Schule machen könnte, hat jetzt die IG-Metall in Köln, die Adecco und die Bundesagentur für Arbeit ausgehandelt. Ziel war es, die 256 Mitarbeiter, die bei Ford keinen Job mehr haben und zum Teil schon von Adecco gekündigt wurden, nicht nur in Kurzarbeit zu schicken, sondern darüber hinaus seit dem 2. Februar weiterzubilden. Dazu bot die Bundesagentur für Arbeit in Köln Informationsveranstaltungen. In Einzelgesprächen und in kleinen Gruppen besprach Adecco Niederlassungsleiter Stefan Umari mit den Betroffenen die ausgehandelten Möglichkeiten.

    "Die Kurzarbeit ist gestartet am 1. Januar 2009, erst winmal angedacht bis zum 30. April. Wir werden diese Zeit nutzen, den Mitarbeitern Weiterbildungsangebote bei qualifizierten Trägern in Köln anzubieten, das heißt, jeder der Mitarbeiter hat die Möglichkeit, diese Zeit zu nutzen, seinen beruflichen Horizont zu erweitern oder gegebenenfalls einen Abschluss zu erlangen."

    Die IG-Metall sieht Köln als Vorreiter in der Bundesrepublik. Die Kosten teilen sich die Kooperationspartner: Qualifizierungskosten, einen Teil der anfallenden Beratungskosten und das Kurzarbeitsgeld für normale Arbeitstage übernimmt die Agentur für Arbeit. Adecco zahlt ebenfalls einen Teil der Beratungskosten und übernimmt alle anfallenden Sozialversicherungsbeiträge, außerdem die Löhne für arbeitsfreie Tage und Feiertage. Für besondere Härtefälle konnte die IG-Metall die Zahlung einer Abfindung und Durchführung eines Sozialplanes vereinbaren.

    Aus Sicht des Sozialwissenschaftlers Prof. Klaus Dörre ein positives Beispiel:

    "Ich halte das für eine gelungene Auseinandersetzung aus der Gewerkschaftsperspektive. Man hat die Beschäftigungschancen für Leiharbeiter überhaupt thematisiert. Das ist leider nicht, so weit wir das beurteilen können, leider nicht überall der Fall. Wir haben doch sehr häufig die Haltung jetzt, auch von Interessenvertretungen, die argumentieren, für die Leiharbeiter können wir jetzt nichts tun, wir sind froh, dass wir die Stammbeschäftigten halten. Da zeigt dieses Kölner Beispiel, dass man sich doch für die Leiharbeiter, die ja auch zu erheblichen Teilen sich gewerkschaftlich organisiert haben in der Metall- und Elektroindustrie, dass man für die etwas tun kann im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten."

    Für die Betroffenen ist es vielleicht eine Chance, auf dem regulären Arbeitsmarkt später Fuß zu fassen.

    "Ich erhoffe mir einfach, dass ich jetzt dadurch die Chance habe, da ich ja halt jung Mutter geworden bin und keine Lehre hab und keine Umschulung oder sonstiges, dass ich halt noch eine Umschulung, zum Beispiel mein Wunsch wäre, Personaldienstleistungskauffrau, dass ich da auch noch irgendwas machen kann, dass ich noch ausgebildet werden könnte. Ich hoffe, dass es danach wirtschaftlich bergauf geht, und wir wieder genug Einsätze haben, dass wir auch dann arbeiten gehen. Weil ich den drei Monaten ein bisschen - ja, ein bisschen skeptisch - auch entgegen sehe, weil: Drei Monate Schulbank drücken ist doch was anderes, als drei Monate arbeiten zu gehen."

    Und wie wäre es mit einer Lehre für den Dreißigjährigen, um anschließend vielleicht als Facharbeiter in regulärer Beschäftigung zu arbeiten?

    "Also ich habe damit abgeschlossen, noch einmal eine Berufsausbildung zu machen, weil ich mir nicht vorstellen kann, mit 600 Euro im Monat mein Leben auf die Reihe zu kriegen."