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"Wir sollten bei der Wehrpflicht bleiben"

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung plädiert für die Beibehaltung der Wehrpflicht in Deutschland. Der Vorschlag der SPD, die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umzuwandeln, für die nur noch formal eine Wehrpflicht besteht, sei widersprüchlich, kritisierte der CDU-Politiker. Außerdem halte er es für eine Illusion, dass allein durch Anreize wie etwa Vorteile bei der Vergabe von Studienplätzen genügend Freiwillige geworben werden könnten.

Moderation: Friedbert Meurer | 20.08.2007
    Friedbert Meurer: Der SPD-Vorstand will heute dem Parteitag der SPD im Oktober empfehlen, das Konzept der sogenannten freiwilligen Wehrpflicht einzuführen. Über das Wochenende hat es einerseits Spott und Hohn für diesen Vorschlag gegeben, denn eine Pflicht, die freiwillig ist, das wäre doch wie der schwarze Schimmel, und den gibt es bekanntlich nicht. Aber andere machen darauf aufmerksam, dass schon heute so wenige Männer eines Jahrgangs zur Bundeswehr gezogen werden, dass faktisch auch heute schon die allgemeine Wehrpflicht nur noch auf dem Papier stünde. Wer keine Lust hat, der könne sich relativ leicht vor der Bundeswehr drücken.

    Am Telefon begrüße ich Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Guten Morgen, Herr Jung!

    Franz Josef Jung: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Sind Sie auch der Meinung, das ist ein schwarzer Schimmel, den die SPD vorschlägt?

    Jung: Ja, ich denke schon. Ein Stück ist es ein Widerspruch in sich. Entweder gibt es eine Pflicht, und dann habe ich der nachzukommen, oder ich habe eine freiwillige Leistung oder letztlich eine Berufsarmee. Das ist aber etwas anderes. Ich denke, wir brauchen auch in Zukunft die Wehrpflicht, weil nicht nur über eine Tradition von über 50 Jahren die Bundeswehr sich dort im Rahmen der Wehrpflichtarmee positiv entwickelt hat. Wir haben dadurch den Bezug zu unserer Gesellschaft. Die Armee in der Demokratie ist geprägt durch die Wehrpflichtarmee. Und ich füge auch hinzu: Von den 60.000 Wehrpflichtigen im Jahr verpflichten sich 25.000 freiwillig weiter. Es ist auch eine Frage, wie sich eine Armee strukturell in die Zukunft entwickelt, so dass ich der Meinung bin, wir sollten bei der Wehrpflicht bleiben. Und ich bin froh darüber, dass wir das in der Koalition auch so vereinbart haben und die Bundesregierung auch im Rahmen des Weißbuches im letzten Jahr dies so verabschiedet hat.

    Meurer: Den Aspekt, den Sie zuletzt genannt haben, da sagt die SPD, es werden ja alle gemustert und bei der Gelegenheit hat die Bundeswehr eine erstklassige Gelegenheit, sozusagen Werbung für den eigenen Dienst zu machen.

    Jung: Das ist ja in Ordnung. Wir machen ja auch Werbung, und zwar insbesondere dass sich Leute dann freiwillig verpflichten oder Zeitsoldat werden oder auch die Perspektive für den Berufssoldaten. Aber ich denke, wir brauchen vom Grundsatz her die Wehrpflicht, denn ansonsten sind nicht beispielsweise 60.000 Jugendliche bereit, zur Bundeswehr zu gehen. Und - das muss man fairer Weise auch sagen - man darf den Zivildienst nicht so ganz vergessen, denn die Wehrpflicht hat die Wirkung, dass auch der Zivildienst hier eine wichtige Rolle auch im Rahmen dieser Pflichtaufgabe als Dienstpflicht hier eine Rolle spielt. Das ist, denke ich, auch ein Punkt, den man dabei nicht ganz vergessen darf.

    Meurer: Da sagt die SPD allerdings, Herr Jung, es gibt doch jetzt schon genug Freiwillige, die sich länger an die Bundeswehr binden möchten, und wenn man dann zusätzliche Anreize gibt, Studiengebühren erlassen oder einen Studienplatz überhaupt besser erreichen, dann ist das Anreiz und man bekäme genug Freiwillige, jedenfalls wahrscheinlich.

    Jung: Da bin ich anderer Auffassung. Tatsache ist: Wir haben bisher auch schon das Bonussystem für die Wehrpflichtigen für den Studienplatz. Das ist die Regel. Und ich habe Ihnen gerade gesagt: Von 60.000 Wehrpflichtigen verpflichten sich 25.000 weiter, freiwillig. Aber wir brauchen 60.000, und das entspricht auch der Zahl für den Zivildienst. Deshalb ist es meines Erachtens eine Illusion, dass sich, wenn ich das umstelle auf eine freiwillige Lösung, dass sich so viele dann entsprechend auch freiwillig melden.

    Meurer: Ist die Wehrpflicht heute faktisch schon freiwillig, weil es nicht so schwer ist, sich an ihr vorbeizudrücken?

    Jung: Das sehe ich nicht so. Da sind meines Erachtens teilweise völlig falsche Zahlen im Raum. Tatsache ist nämlich, dass 60.000 Wehrpflichtige im Jahr ihren Dienst leisten bei der Bundeswehr. In etwa ist das auch die Zahl, die dann Zivildienst leistet. Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch noch eine Zahl gibt, die im Rahmen von Katastrophenhilfe, Feuerwehr und so weiter ihrer Verpflichtung nachkommt, so dass bei denjenigen, die tauglich gemustert sind, wir in etwa eine Zahl haben von 80 Prozent, die der Wehrpflicht nachkommen. Das will ich sagen, dort habe ich natürlich auch eine Änderung herbeigeführt, denn wir hatten eine Entwicklung, wo immer mehr die Wehrpflichtigen reduziert worden sind. Ich habe entschieden, dass wir in diesem Jahr wieder 5000 Wehrpflichtige mehr haben, weil die Frage der Wehrgerechtigkeit schon eine wichtige Rolle spielt.

    Meurer: Mit 80 Prozent eines Jahrgangs schließen Sie ja den Zivildienst mit ein, Wehrdienst, Zivildienst, andere Dienste. Was ist mit den anderen 20 Prozent?

    Jung: Diejenigen, die tauglich gemustert sind, von denen sind 80 Prozent, die hier ihrer Dienstpflicht nachkommen. Der andere Anteil ist ein Teil, der dafür deshalb nicht in Betracht kommt, weil eben auch nicht tauglich gemustert wird. Von daher gibt es diese Grundlage, aber ich sage noch einmal: Wir brauchen unter dem Aspekt auch der Wehrgerechtigkeit diese Zahl und was man nicht vergessen darf, wir werden im Jahre 2009 in den östlichen Bundesländern eine Halbierung der Jugendlichen haben, so dass ich der Meinung bin, dass wir dort auch sehr schnell dann wieder an die 100-Prozent-Grenze kommen, so dass von daher auch auf jeden Fall die Wehrgerechtigkeit gewährleistet ist.

    Meurer: Sie werden übers Wochenende zitiert, Herr Jung, in dieser Legislaturperiode bleibe es bei der Wehrpflichtarmee. Eine Bestandsgarantie für alle Zeiten oder längere Zeiten wollen Sie nicht geben?

    Jung: Wir als CDU/CSU halten eindeutig an der Wehrpflicht fest. Wir haben im Rahmen dieser Koalition mit der SPD vereinbart, dass für diese Legislatur auch die Wehrpflicht gilt. Das haben wir auch im Rahmen des Weißbuchs so von der Bundesregierung entschieden. Wie die Wählerinnen und Wähler dann neue Konstellationen wieder zusammensetzen ist eine andere Frage. Ich denke aber, solange ich was zu sagen habe, werden wir weiter auch an der Wehrpflicht festhalten. Dies ist auch die überwiegende Meinung von CDU und CSU.

    Meurer: Wenn am Ende, Herr Jung, nur noch die Union hinter der Wehrpflicht steht, aber nicht mehr die SPD, die drei kleineren Parteien im Bundestag auch nicht, reicht das überhaupt noch als gesellschaftliche Unterstützung für die Wehrpflicht?

    Jung: Dann muss man schauen auch im Rahmen von Koalitionsverhandlungen, dass man das wieder durchbekommt, wie wir es auch in dieser Koalition erreicht haben. Ich denke aber, ich merke immer mehr auch im Rahmen meiner öffentlichen Veranstaltungen, wo ich das sehr offensiv anspreche, dass die Bürgerinnen und Bürger doch einsehen, dass es richtig ist, wenn die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee erhalten bleibt. Es ist ein anderes Auftreten. Die ganzen Erkennungsmerkmale der Bundeswehr, von innerer Führung über andere Perspektiven, auch wie unsere Soldaten auftreten im Ausland, hat etwas damit zu tun, dass es den unmittelbaren Bezug zu unserer Gesellschaft, zu unserer Demokratie gibt. Das ist ein wesentlicher Punkt der Wehrpflicht, den man hierbei nicht vergessen darf.

    Meurer: Aber viele in der Gesellschaft sagen auch, was brauchen wir die Wehrpflicht, wenn wir Profis in Afghanistan oder andernorts brauchen?

    Jung: Dabei wird Folgendes verkannt: Wir brauchen die Wehrpflicht gerade auch zur Unterstützung der Auslandseinsätze. Sie wissen, dass die Grundwehrdienstleistenden nicht ins Ausland mitgehen, aber in Deutschland helfen sie mit im Hinblick auf die Voraussetzungen, dies zu bewerkstelligen. Auch das Thema Schutz Deutschlands: Wir hätten beispielsweise im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe nicht die Hilfe leisten können, wenn wir nicht die Wehrpflichtigen dabei gehabt hätten. Das ist auch ein wichtiger Punkt, der hier mit zu berücksichtigen ist. Die Wehrpflichtigen haben eine wichtige Funktion für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Und auch das ist ein Punkt, der dazu gehört, wenn man eine solche Debatte führt.

    Meurer: Was ist in Deutschland anders als in Frankreich oder vielen anderen Ländern, wo in den letzten Jahren nach Ende des Kalten Krieges die Wehrpflicht abgeschafft wurde?

    Jung: Erstens: Wir haben uns als Wehrpflichtarmee über 50 Jahre in der Demokratie entwickelt, und ich finde, die Bundeswehr hat sich sehr positiv entwickelt. Sie hat ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, und das hängt ein Stück damit zusammen, dass wir eine Wehrpflichtarmee sind.

    Zweitens: Viele meiner Kollegen sagen mir unter vier Augen, dass sie teilweise froh wären, wenn sie heute wieder die Wehrpflicht hätten. Also es ist nicht so, dass dies ein Erfolgsrezept ist, dass man die Wehrpflicht abschafft, auch in Europa. Es gibt mittlerweile schon wieder eine ganz andere Diskussion. Und deshalb bin ich sicher, dass wir, wenn wir an der Wehrpflichtarmee festhalten, auch den richtigen Weg gehen.

    Meurer: Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung heute Morgen bei uns hier im Deutschlandfunk. Herr Jung, besten Dank, auf Wiederhören.

    Jung: Gerne, Herr Meurer. Auf Wiederhören.