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Wirksamer als Methadon

Von Drogenabhängigen schaffen etwa ein Drittel den Ausstieg, ein Drittel stirbt und ein Drittel "überlebt" als verelendeter Langzeitschwerstabhängiger. Schon in den 90er Jahren haben Ärzte in der Schweiz begonnen, Heroinabhängige mit Heroin zu behandeln. Ihr Ziel war es, die Süchtigen von der Straße zu bekommen, damit die Beschaffungskriminalität zurückgeht. Ob die Heroinabgabe unter ärztlicher Aufsicht tatsächlich den Zustand der Drogenabhängigen bessert, konnten die Schweizer Ärzte allerdings nie wissenschaftlich belegen. Das gelang nun deutschen Wissenschaftlern mit der europaweit größten kontrollierten Studie zur heroingestützten Behandlung von Schwerstabhängigen. Über tausend Drogenabhängige haben in sieben deutschen Städten daran teilgenommen.

Von Kristin Raabe | 01.08.2006
    Pedros Drogenkarriere begann 1968. Als 16-Jähriger fängt er an, harte Drogen zu nehmen. Am Schluss gibt er jeden Tag 200 Mark für Heroin aus. Wegen Diebstählen und Raubüberfällen muss er mehrfach ins Gefängnis. Seine Sucht wird er da auch nicht los. Und eigentlich will er das auch gar nicht. Die Drogen und auch der Stress, an das Geld zu kommen, machen ihm Spaß. Als Pedro 2002 in das Bonner Heroinprogramm aufgenommen wird, ist er bereits 34 Jahre von harten Drogen abhängig.

    " Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich da jemals rauskomme, aber ich habe das hier mal ausprobiert, ganz einfach meine ganze Lebenssituation hatte sich verändert, durch Frau und Hunde, da braucht man doch schon ein bisschen Stabilität und die habe ich hier durch die Studie gekriegt und hier ist mir das Lebensgefühl, das ich damals durch die Droge gehabt habe, ... das ist mir hier abhanden gekommen. Man hat sich so weit von der Szene und von dem Leben in der Illegalität entfernt, dass das gar keinen Reiz mehr dargestellt hat. "

    Unter Suchtexperten gilt Pedro als Langzeitüberlebender. Solche wie er sind eigentlich nicht therapierbar. Die meisten leben auf der Straße und so ein Leben hinterlässt Spuren: Lungenentzündungen, Herzmuskelentzündungen, Lebererkrankungen und fast immer auch eine Gelbsucht kennzeichnen den körperlichen Zustand der Schwerstabhängigen. Nur wer wirklich extrem von der Verelendung betroffen war, hatte überhaupt eine Chance, in das Programm aufgenommen zu werden und so dreimal täglich seine legale Dosis Heroin zu bekommen. Natürlich alles unter Aufsicht der behandelnden Ärzte. Christoph Dilg ist Psychiater an der Bonner Heroinambulanz.

    " Patienten konnten sich mehr oder weniger Heroin wünschen. Verordnet und verantwortet werden musste die Dosis dann von ärztlicher Seite. Was sich herausgestellt hat, ist, dass nicht die Befürchtung eingetreten ist, dass die Patienten immer mehr nehmen, ganz im Gegenteil gab es eine langsame Abwärtstendenz, in der Durchschnittsdosis. Die Patienten dosieren sich tatsächlich mit der Zeit herunter auch um Nebenwirkungen des Opiates zu entgehen. "

    Verstopfung, unkontrolliertes Schwitzen, Schlafstörungen – für 19 der 50 Bonner Studienteilnehmer gehören diese Nebenwirkungen des Heroins nun der Vergangenheit an. Sie haben ihr Heroin soweit herunterdosiert, dass sie inzwischen vollständig abstinent sind oder zumindest auf dem Weg dorthin. Unter ihnen auch Pedro und seine Frau. Diese Erfolge sind natürlich nicht nur dem Heroin zuzuschreiben. Sozialarbeiter und Psychologen haben hart um das Vertrauen der Abhängigen gerungen. Die Unterstützung bei der Wohnungssuche und immer wieder auch bei Gerichtsverhandlungen war mindestens so wichtig, wie die Gruppengespräche, bei denen die Teilnehmer zu Experten in ihrer eigenen Suchterkrankung wurden. Die psychosoziale Betreuung bei den mit Heroin behandelten Patienten war dieselbe wie bei den mit Methadon behandelten Abhängigen.

    " Herausgestellt hat sich, dass nach rund einem Jahr die mit Heroin behandelten Patienten sich deutlich besser stabilisiert haben als die mit Methadon behandelten. Rund 60 Prozent der mit Heroin behandelten haben sich sowohl körperlich, psychisch als auch in Bezug auf ihren Drogenkonsum deutlich verbessert. Nur ca. 40 Prozent der mit Methadon behandelten haben sich deutlich verbessert. Das ist ein Schritt von 20 Prozentpunkten, die das neue Behandlungsverfahren besser ist als das alte Verfahren. Das ist eigentlich aus wissenschaftlicher Sicht ein sensationelles Ergebnis. "

    Pedro hatte bereits dreimal eine Methadonbehandlung abgebrochen. Er fühlte sich mit Methadon irgendwie unbefriedigt. Die Substanz lindert zwar die Entzugserscheinungen, befriedigt aber nicht das Suchtgedächtnis. Die Nebenwirkungen sind ähnlich wie bei Heroin, halten aber länger an, da Methadon eine längere Halbwertszeit im Organismus hat.

    " Methadon kam für mich schon damals nicht mehr in Betracht. Methadon, die Erfahrungen, die ich damit gemacht habe, die waren nicht so toll. Auf lange Sicht leidet die Gesundheit doch mehr als unter Heroin und es bleibt auch nicht aus, dass man irgendwo einen Beikonsum hat, also von daher eher unangenehm. Also Methadon hätte ich damals schon gar nicht mehr in Betracht gezogen. "

    Heroin hat Pedros Leben 38 Jahre lang bestimmt. Es hat ihn zerstört und am Ende doch gerettet. Seit Januar 2005 braucht er keinen Drogenkick mehr. Seine Frau und seine drei Hunde machen ihn glücklich. Ihm fällt die Abstinenz erstaunlich leicht. Anders seine Frau: Sie war ebenfalls süchtig und hat auch an dem Bonner Heroinprogramm teilgenommen. Seit einem guten dreiviertel Jahr ist sie clean, aber das ist etwas, für das sie jeden Tag neu kämpfen muss. Pedro hat Angst, sie könnte diesen Kampf irgendwann verlieren. Er wäre erleichtert, wenn es für ehemalige Abhängige wie sie im Notfall Heroin auf Rezept gäbe. Aber dazu müsste erst mal das Betäubungsmittelgesetzt geändert werden und wenn das bis Ende des Jahres nicht geschehen ist, dann wären die Erfolge der bundesweiten Heroinstudie vergebens.