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Wirtschaftsstudiengänge
Hochschüler verfassen Manifest

Mittlerweile 52 Studierenden-Organisationen aus 23 Ländern kritisieren in einem Manifest die Art und Weise, wie VWL und BWL an den Unis gelehrt wird. Nämlich besorgniserregend einseitig, wie auch Studierende der Wirtschaftsuniversität Wien beklagen.

Von Alexander Musik | 15.05.2014
    Studentinnen sitzen in einem Hörsaal
    Etwa 60 Studierende gehören zur Gesellschaft für Plurale Ökonomik - und damit zu einer der 52 Gruppen der internationalen Initiative. Darunter auch die Studierenden der Uni Wien. (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Der neue schicke Campus der Wirtschaftsuniversität Wien wurde erst im vergangenen Herbst eröffnet. "Rethink Economy" hat man sich dort ganz offiziell auf die Fahnen geschrieben. Doch dass Wirtschaft wirklich neu gedacht und gelehrt würde, konnten die Studierenden, die sich zu einer "Gesellschaft für Plurale Ökonomik" zusammengeschlossen haben, bislang nicht feststellen. Franziska Disslbacher studiert im achten Semester Volkswirtschaft – Unmut über die Lehrinhalte spürte sie von Anfang an.
    "Ich hab mir ein kritisches Studium erwartet. Ich hab das begonnen zu studieren, weil ich mir gedacht hab, man lernt gewisse Dinge zu verstehen, weil man sie ein bisschen kritisieren kann, kann Vorgänge in der Wirtschaft nachvollziehen - und schlussendlich ist es genau das, worum es nicht geht im Studium!"
    Ihr Kommilitone Benedikt Göhmann, 4. Semester, hat vorher Politik studiert und sich vom Wirtschaftsstudium neue Einsichten versprochen, vergeblich:
    "Ich war dann doch schockiert, wie engstirnig die ganzen Einführungsveranstaltungen sind, weil ich mich immer privat nebenbei mit Volkswirtschaft beschäftigt hab und dann gemerkt hab: Das gilt alles gar nicht, was ich so auch als Volkswirtschaft verstanden hab und so lesen kann! Wird einfach nicht beachtet, wird unter den Tisch gekehrt und als störend empfunden."
    Etwa 60 Studierende gehören zur Gesellschaft für Plurale Ökonomik - und damit zu einer der 52 Gruppen der internationalen Initiative, die – besonders in Hinblick auf die Weltwirtschaftskrise von 2007 – Stillstand und Einseitigkeit im Studium ausmacht:
    "Diese fehlende intellektuelle Vielfalt beschränkt sich nicht nur auf Lehre und Forschung, sie behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts", heißt es im Manifest. Was sie zu hören bekämen, so Disslbacher und Göhmann, seien im Wesentlichen neo-klassische Litaneien: Der Markt werde es schon richten, der Mensch als Marktteilnehmer sei schließlich ein rational entscheidender Homo oeconomicus. Für die Studierenden als Führungskräfte von morgen sei das bedenklich, sagt Göhmann.
    "Ich finde es wichtig, dass diese Menschen eben all das Wissen, dass da draußen existiert, auch gelehrt bekommen und nicht diesen Eindruck, wie es im Moment vermittelt wird, dass es eine absolute Wahrheit gibt, die fast dogmatisch verteidigt wird."
    Wirtschaftsuniversität-Rektor Christoph Badelt kann die Kritik seiner Studierenden nicht nachvollziehen.
    "Das eine ist die Ebene der Programme, hier halte ich die Kritik für völlig unberechtigt, weil wir an der WU eine Reihe von Programmen anbieten, die ganz bewusst abstellen auf Alternativen in der Ökonomie."
    Er verweist etwa auf das neue Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit und den Studiengang Sozioökonomie, dessen Inhalte genau die von den Studenten beklagte Lücke füllten. Außerdem, so Badelt weiter, sei die Lehre frei.
    "Was die Lehrveranstaltungen betrifft, so ist es schlicht und einfach die Verantwortung der einzelnen Lehrenden, welches eine Verantwortung ist, die von uns sehr eingefordert wird, dass sie zu vorhandenen Theorien auch Alternativen bringen."
    "Ich glaube, dass wir da einen Nerv getroffen haben"
    Steffen Bettin hat in Heidelberg sein Bachelorstudium in Politischer Ökonomie abgeschlossen und belegt jetzt im zweiten Semester eben dieses Masterstudium Sozioökonomie. Er erinnert sich an die Vorgeschichte des internationalen Manifests; sie beginnt in Frankreich am Anfang des 21. Jahrhunderts in Form eines Aufrufs zur so genannten "post-autistischen Ökonomie". Nach der Wirtschaftskrise 2007 hatte dieser Appell plötzlich wieder Konjunktur, in Heidelberg, aber auch in Bayreuth und Hamburg.
    "Und dann wurde festgestellt, dass es nicht nur uns so ging, sondern in Frankreich waren immer noch Leute dabei, in den USA, in Dänemark und im Vereinigten Königreich und auch hier in Österreich waren Gruppen dabei. Da haben wir dann angefangen, uns immer mehr zu vernetzen und zu kommunizieren - und zu merken, dass wir alleine relativ leise sind und dass wir lauter werden müssen und auch die Öffentlichkeit mit einbeziehen müssen."
    Um die gewünschte Vielfalt zu fördern, stellt die Gesellschaft für Plurale Ökomomik eigene Ringvorlesungen auf die Beine, die sehr gut besucht seien, versichert Franziska Disslbacher. Kommilitone Benedikt Göhmann drückt es so aus:
    "Das Bedürfnis, aus diesem Gedankengefängnis auszubrechen und anders zu denken, ist da. Ich glaube, dass wir da einen Nerv getroffen haben."
    Das Manifest der angehenden Wirtschaftswissenschaftler ist im Internet unter der Adresse www.isipe.net nachzulesen.