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Wotan Wilke Möhring in "Happy Burnout"
"Freude am Chaos"

Er bezieht Hartz IV seit es Hartz IV gibt, Andres alias "Fussel", Alt-Punk und charmanter Systemverweigerer in André Erkaus neuem Film "Happy Burnout". In der Hauptrolle: Wotan Wilke Möhring, preisgekrönt, vielbeschäftigt und einer der populärsten deutschen Schauspieler. Sein Luxus: Ein Gleichgewicht zwischen Leben und Arbeit zu haben.

Wotan Wilke Möhring im Corsogespräch mit Ulrich Biermann | 26.04.2017
    Szenenfoto aus "Happy Burnout". Wotan Wilke Möhring als "Fussel" steht in Punkkleidung und mit Plastiktüten vor dem exklusiven Sanatorium (Foto: Thomas Kost / Riva Film)
    Wotan Wilke Möhring in "Happy Burnout" (Riva Film / Thomas Kost)
    Ulrich Biermann: Er bezieht Hartz IV seit es Hartz IV gibt, das weiß auch seine Sachbearbeiterin. Andreas alias "Fussel", Alt-Punk und charmanter Systemverweigerer in André Erkaus neuem Film "Happy Burnout", ab morgen in den Kinos mit Anke Engelke, Michael Wittenborn, Ulrike Krumbiegel und in der Hauptrolle: Wotan Wilke Möhring. Willkommen zum Corsogespräch.
    Wotan Wilke Möhring: Hallo, guten Tag.
    Biermann: '67 geboren sind Sie - da gehörte Punk natürlich zu Ihrer musikalischen Sozialisation im Ruhrgebiet?
    Möhring: Absolut.
    Biermann: Gut, wenn man so andocken kann für eine Rolle, oder?
    Für sechs Wochen die Springerstiefel schnüren
    Möhring: Ja, wunderbar, also deswegen hat auch der Drehbuchautor Gernot Gricksch da mich im Visier gehabt für diese Figur und es war toll, mal wieder für sechs Wochen die Springerstiefel zu schnüren und Musik zu hören, die andere doof finden.
    Biermann: Und den Parka anzuziehen, wo hinten die Zielscheibe draufgemalt ist:
    Möhring: "Schieß doch, Bulle."
    Biermann: Aber "Forever Punk"? Mit 50?
    Möhring: Nee, genau, das ist ja Teil dieser Geschichte auch von jemandem, der nicht erwachsen werden will, der die Provokation, die ihn wach und am Leben hält, als Einziges zu verteidigen hat, sonst nichts. Und eigentlich doch im wahrsten Sinne durch diese Verweigerung - auch der eigenen Reflektion - der größte Spießer von allen ist.
    Biermann: Ja, das ist ja wunderbar irgendwie durch das Kostüm in Szene gesetzt: "Won't change", ne?
    Möhring: Genau.
    Biermann: "Ich werde mich auf keinen Fall ändern" - spießiger geht es ja gar nicht.
    Möhring: Absolut.
    Biermann: Aber er kommt ja charmant rüber, es ist ja irgendwie … er ist ein Schlitzohr, der genau weiß, wie er an eine Wurst von einer Dame kommt …
    Möhring: Die eigentlich dem Hund gilt, muss man eben noch dazu sagen.
    Biermann: Genau. Oder auch, wie er charmant zu Sex kommt.
    "Mit Freude am Chaos und den Laden mal richtig aufzumischen"
    Möhring: Genau. Also wir erleben ihn vorher in seinem Biotop, nämlich dem Hamburger Schanzenviertel, bis er dann diese, diese Flucht, die ja keine Diagnose ist, sondern eine Möglichkeit, weiter Hartz IV zu empfangen, wahrnehmen muss: Nämlich in ein Sanatorium – das ist ja so toll, dass das gar keine Klinik ist, sondern ein Sanatorium – zu kommen. Und das nimmt er natürlich wie alles, was des Weges daher kommt, mit Lust und Spaß an, mit Freude am Chaos und den Laden mal richtig aufzumischen. Letztendlich, wie es sich für eine klassische Komödie gehört, muss er sich natürlich auch mit seiner eigenen, mit seinen eigenen Lebenslügen beschäftigen und mit merken, dass er doch nicht der Meister ist im Zuhören und Ratgeben, wie er immer dachte.
    Biermann: Weil, es wird klar, das alles ist nur Schutzwand.
    Möhring: Absolut richtig.
    Biermann: Er wird aber auch zum Hilfstherapeuten – kennen Sie das?
    Möhring: Nee, kenne ich nicht. Und für ihn es das Problem – und das kann ich nachvollziehen – wenn Du etwas aus Spaß machst, aus Freude, ohne Bewertung, dann ist das ein Elixier für ihn, das ist, was er kann. Plötzlich muss er es aber bewusst einsetzen, nämlich als sogenannter "Undercover-Therapeut". Und er muss es machen und es muss einen Sinn erfüllen: Nämlich die Therapie der Anderen zu unterstützen und da macht es ihm plötzlich keinen Spaß mehr. Das Element kann ich verstehen.
    Biermann: Es ist ja quasi sowas wie, "follow up", Fortsetzung von "Leben ist nichts für Feiglinge". Wie ist das bei Ihnen? Wenn man guckt, was Sie so in den letzten Jahren gemacht haben, da war "Old Shatterhand", da sind die "Tatorte", jetzt "Happy Burnout". Kennen Sie das? Irgendwann mal ist man an der Grenze? Wie krieg ich es hin?
    "Man muss die freie Zeit gegen alles verteidigen"
    Möhring: Ja, also es ist ja so, dass ich diese Arbeit mit Dank und Demut nach wie vor annehme und die ja sehr erfüllend ist – das können ja leider nicht alle von sich sagen, dass sie von einer Arbeit leben können, die ihnen ganz viel gibt, auch zurückgibt. Deswegen stellt sich das bei mir nicht ein. Es gibt ja so 'nen Stress und so 'nen Stress und man muss natürlich dafür sorgen, dass man die freie Zeit, also ich zum Beispiel, die freie Zeit, die auch den Kindern dann gehört, genau so einplant, fest einplant und verteidigt gegen alles, wie die Arbeiten, wie die Drehzeiten - das ist ganz wichtig!
    Biermann: Das heißt, Sie kennen das gar nicht? So den Punkt, zu sagen: "Ich weiß gar nicht mehr, ob es noch weiter geht?"
    Möhring: Ehrlich gesagt, nicht. Also natürlich hatte ich auch biographische Ereignisse in meinem Leben, die einem, sag ich mal, in die Fresse hauen. Aber irgendwie bin ich so optimistisch dann doch, dass ich denke, in jeder Niederlage liegt auch eine Chance. Die muss man nur erkennen. Manchmal dauert es länger, manchmal reicht die Lebenszeit nicht dafür aus, diese Chance zu erkennen. Und natürlich kennen wir alle diesen, sag ich mal "Erschöpfungszustand", der aber noch weit entfernt ist vom Burnout, um das es hier geht.
    Biermann: Sie scheinen das ja auch sehr geschickt zu machen. Ich habe gelesen, wenn Sie Drehpläne kriegen, dann versuchen Sie immer, darauf zu achten: "Hallo, wann kann denn der Herr Möhring frei haben, um zum Fußball zu gehen?"
    "Das Weiterkommen in der Champions League kann man nicht planen"
    Möhring: Ja, also die erste freie Zeit, die angemeldet wird, sind Ferien der Kinder, natürlich. Und ansonsten, wenn natürlich, wenn man weiß, jetzt ist Gruppenphase Champions League zum Beispiel, die kann man planen. Das Weiterkommen dann nicht, da wird es manchmal auch schwierig und dann geht natürlich die Arbeit vor.
    Biermann: Was mich überrascht hat - dieser "Fussel" hat einen grandiosen Gang. Schon in der ersten Gangszene. Ich dachte: "Mannomann, so geht der Möhring doch sonst nie!" Es hat so was Lässiges, irgendwie "Die Welt gehört mir", aber es gibt auch genau diese, ja so eine leichte Provokation?
    Möhring: Das ist sehr fein beobachtet.
    Biermann: Danke.
    Möhring: Tatsächlich hatte ich da einen alten Freund aus ebenjener Zeit vor Augen, der eben auch so "verzeckt" war wie die Figur, die "Fussel" in "Happy Burnout" darstellt, auch ist. Dazu gehört dieser Mantel, da gehört dazu alles bisschen groß, alles bisschen siffig. Und auch dieser Gang ist eben lasziv, latent provokant, ein bisschen verschlepptes Tempo immer - früher nannten wir das "Jojo-Gang" - und der war mir ganz wichtig für diese Figur, weil er eben nach außen schon sagt, dass er eigentlich gar nix will und verlangt vom Leben, sondern nur Spaß haben.
    Biermann: Dieser "Fussel" ist ja ein grandioses Chamäleon, weil er liest dann "Burnout für Dummies", das hat ihm seine Sachbearbeiterin in der Jobagentur gegeben und - zack - hat er den Depressionsgang drauf. Was heißt das für einen Schauspieler? Wie lang braucht das?
    "Das war ein Riesenspaß, das war eine Klassenfahrt"
    Möhring: Tatsächlich, das Schöne ist ja, dass "Fussel" sich überhaupt gar nicht mit diesem Phänomen beschäftigt, außer eben wir sind dabei. Und das hat mir die Arbeit natürlich sehr erleichtert, weil ich auch – außer mit Spaß und "Ich guck mal, was da passiert in dieser Klinik" - mich gar nicht drauf vorbereiten musste, sondern eben live. Und beim Burnout, das ist ja relativ simpel auch dargestellt, damit wir das verstehen im Film, Erschöpfung, Schlaffheit, all diese Phänomene, die er auch wiederkäut und wiedergibt, die hat er natürlich nur abgelesen. Das war relativ einfach.
    Biermann: Das klingt jetzt nach nicht sehr viel Spaß, aber …
    Möhring: Das war ein Riesenspaß!
    Biermann: … man sieht das dem Ensemble an. Weil es ist natürlich eine geniale Mischung, mit Anke Engelke, Michael Wittenborn, Ulrike Krumbiegel und, und, und.
    Möhring: Julia Koschitz, genau.
    Biermann: Das sieht danach aus, als ob da sehr viel Freude an einer wirklich guten Komödie am Set geherrscht hat.
    Möhring: Absolut. Das ist natürlich durch diese feine Zusammenarbeit, die wir vorher halt hatten, eine völlig andere - nicht ganz anderes Genre – aber andere Geschichte bei "Das Leben ist nichts für Feiglinge". Wieder mit derselben Regie, derselben Produktion, demselben Kameramann zusammenarbeiten zu können, das ist natürlich eine Freude, da kann man sich ganz anders gehen lassen und dann so ein sympathischer Stoff. Ja, das war dann diese Kasernierung im Sauerland, wo das Hauptmotiv war, das war ein Riesenspaß, das war eine Klassenfahrt. Wenn man dann noch so bescheuert provokant rumlaufen darf und Sprüche zum Besten geben darf, wie "Fussel" das machte, dann war das Ganze ein Geschenk.
    Biermann: Wenn das jetzt Klassenfahrt war, was würden Sie sich dann als nächstes wünschen?
    Möhring: Eine Klassenfahrt zu wärmeren Orten. Nee, also es geht ja darum, also den Spaß an der … Also ich dreh jetzt grad was ganz anderes, einen Action-Thriller, der Spaß ist ja auch durch die Befriedigung am Set, dadurch, dass man denkt, "das hast du jetzt gut gemacht", oder auch denkt, "ah, das kannst du nochmal probieren." Und auch die Hinweise, die man von außen kriegt und so. Also wichtig ist, dass man abends in den Spiegel gucken kann und sagen kann: Das war ein guter Tag. Und das wünsche ich auch allen da draußen.
    Biermann: Schönes Schlusswort. Danke.
    Möhring: Bitteschön.
    Biermann: Wotan Wilke Möhring, zu sehen ab morgen in André Erkaus neuem Film "Happy Burnout". Danke für das Corsogespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.