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Wulff und die Medien

Die Medien verfolgten nicht nur den Auf- und Abstieg von Christian Wulff, sondern trugen auch ihre Teil dazu bei. Der Journalist Michael Götschenberg beschreibt und analysiert in seinem Buch "Der böse Wulff?" die Rolle der Medien in der Affäre um den ehemaligen Bundespräsidenten.

Von Stephan Detjen | 04.02.2013
    13. Februar 2012, vier Tage vor dem Rücktritt des Bundespräsidenten, im Regierungsairbus der deutschen Luftwaffe auf dem Weg nach Rom: In rund 10.000 Metern Reiseflughöhe ist der Zusammenbruch einer Präsidentschaft zu besichtigen. Christian Wulff hat einen von ihm persönlich handverlesenen Kreis von Journalisten zum Staatsbesuch in Italien mitgenommen. Alle wissen, dass dies möglicherweise die letzte Dienstreise des Bundespräsidenten ist. Im weich gepolsterten Besprechungsraum des Flugzeuges sitzt Wulff mit den Presseleuten zusammen. Die Reporter von "Bild" und "Stern" sind dabei. Sie führen seit Monaten eine publizistische Treibjagd auf das Staatsoberhaupt an.

    Auch Michael Götschenberg sitzt in der Runde. Der Hörfunkkorrespondent des Mitteldeutschen Rundfunks im ARD Hauptstadtstudio wird Zeuge eines gespenstischen Beisammenseins:

    "Die Atmosphäre war bedrückend, da es einige Kollegen gab, die ihn Maß nahmen wie einen Schuljungen. Und das hatte etwas Entwürdigendes. Genauso wie Wulffs Verhalten etwas Würdeloses hatte, indem er halt meinte, er könne – den Problemen zuhause ausweichen."

    Mit dem Abstand von etwas mehr als einem Jahr hat Michael Götschenberg jetzt ein beachtenswertes Buch geschrieben. Es zeichnet nicht nur das spektakuläre Ende dieser Präsidentschaft nach. Aus kritischer Distanz in alle Richtungen zieht Götschenberg die Bilanz einer Amtszeit, in der er – obwohl es die kürzeste in der Geschichte der Bundespräsidenten ist – erheblich mehr entdeckt als den beispiellosen Skandal ihrer letzten Monate.

    "Ich bin eigentlich der Überzeugung, dass Wulff kein schlechter Bundespräsident war,"

    sagt Götschenberg mit Blick auf die erste Phase von Wulffs Amtszeit, in der er auch im Urteil der Bürger zum beliebtesten Politiker dieser Zeit aufgestiegen war.

    "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."

    Bereits am 3. Oktober 2010, keine 100 Tage nach Amtsantritt, zeigt Wulff, dass er mit der Macht des präsidialen Wortes zu wirken weiß. Am Ende, bereits im Zeichen der Krise, ist es Wulff, der den richtigen Ton und Takt bei der Begegnung mit den Angehörigen der NSU-Morde findet. Ein Abendessen mit den Familien, zu dem Wulff auch die Bundesregierung ins Bellevue zitiert, wird zu einem höchstpersönlichen Staatsakt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zu den wenigen, die im Sommer vergangenen Jahres noch bereit sind, nicht nur unter Zusicherung von Anonymität mit Götschenberg über Christian Wulff zu sprechen, gehören Vertreter muslimischer Verbände in Deutschland.

    "Die sind der Überzeugung, das ist der beste Bundespräsident, den Deutschland je hatte. Dem muss man nicht folgen. Aber grundsätzlich glaube ich schon: Er hat auch in dieser kurzen Zeit gute und wichtige Akzente gesetzt. Das hat er geschafft."

    Zugleich beschreibt Götschenberg mit kühler Präzision, wie Wulff bereits in Hannover das Maß bei der Trennung privater und öffentlicher Dinge verliert. Der Umgang mit den falschen Freunden aus der Hannoveraner Schickeria, diabolische Ratgeber und ein teuflischer Pakt mit der "Bild"-Zeitung tragen einen fatalen Keim in diese Präsidentschaft. Der Leser kennt das Ende. Mit Schaudern verfolgt man, wie alle Ansätze eines hoffnungsvollen Gelingens in einen politischen Wundbrand sondergleichen münden.

    Klammert man einige Redundanzen im letzten Teil des Buches aus, so liegt seine Stärke in der Selbstbeobachtung, durch die der kluge Journalist Götschenberg die Rolle der Medien in der Affäre beschreibt und analysiert. Schicksalhafte Bedeutung misst er vor allem der auf wechselseitigem Nutzen beruhenden "Geschäftsbeziehung" zur "Bild"-Zeitung bei, die Wulff – gesteuert von seinem Sprecher und lange Zeit engstem Vertrauten Olaf Glaesecker in Hannover aufgebaut hat. Schritt für Schritt, rekonstruiert Götschenberg wie sich die publizistisch-politische Symbiose in Berlin auflöst und in offene Gegnerschaft umschlägt. Im Untertitel seines Buches kündigt der Autor selbstbewusst an, die "Geschichte hinter der Geschichte" zu kennen. Hier, wo es um die Rolle der Medien geht, löst Götschenberg sein Versprechen ein.

    "Wenn man sich den Verlauf der Krise ansieht, dann war es am Ende bei aller berechtigten Aufregung über die Vorwürfe, die auf den Tisch kamen, war es am Ende ein Machtkampf zwischen Bundespräsident und Medien. Und in dem Punkt haben die Medien meines Erachtens ihre Rolle verlassen, sind auch aus der Rolle gefallen. Ähnlich wie Wulff, als er zum Telefon griff und bei 'Bild'-Chef Kai Dieckmann anrief."

    Götschenberg lässt keinen Zweifel daran, dass bei wesentlichen Akteuren auf Seiten der Medien nicht mehr allein das Streben nach Aufklärung, sondern der klare Wille vorherrschte, diesen Bundespräsidenten zur Strecke zu bringen.

    Die Kolportagen, die fast ausschließlich im Internet über das angebliche Vorleben von Wulffs Ehefrau verbreitet wurden, streift Götschenberg eher am Rande. Ein Manko des Buches? Götschenberg konzentriert sich auf das Geschehen im klassischen Zentrum des politisch-medialen Komplexes in Berlin. Und was er hier vor und hinter den Kulissen zu beschreiben weiß genügt, um Ursachen und Hintergründe des Dramas plausibel zu erklären. Die digitale Gerüchteküche aufzuräumen und ihre Ausdünstungen zu ermessen bleibt eine Aufgabe für spätere Autoren. Als Christian Wulff am 17. Februar vergangenen Jahres seinen Rücktritt erklärte, waren die Grenzen zwischen der Öffentlichkeit konventioneller Medien und einem entgrenzten Kommunikationsraum im Internet jedenfalls kaum noch klar zu ziehen:

    "Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen zwei Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt. Ich wünsche unserem Land von ganzem Herzen eine politische Kultur, in der die Menschen die Demokratie als unendlich wertvoll erkennen und sich vor allem – das ist mir das wichtigste – gerne für die Demokratie engagiert einsetzen."

    Von dieser Szene ist heute vor allem die räumliche Distanz in Erinnerung, die Bettina Wulff – wie sie später selbst betonte - bewusst zu ihrem Mann eingenommen hat. Erst mit gewachsener zeitlicher Distanz wurde deutlich, wie tief die Wunden tatsächlich sind, die das Paar erlitten hat. Einen guten Teil davon muss man als Selbstverletzung qualifizieren. Zu Recht zählt Götschenberg das peinliche Buch dazu, mit dem Bettina Wulff glaubte, die Interpretationshoheit über ihre eigene Geschichte zurückgewinnen zu können.
    Erst mit noch größerer Distanz wird man wohl einmal auch das Verhalten Wulffs nach seinem Rücktritt bewerten können. Schweigend wartet der jüngste Altpräsident der Geschichte nach wie vor auf die staatsanwaltschaftliche Bewertung seines früheren Verhaltens. Vielleicht wird sich einmal erweisen, dass er gerade in und mit dieser Stille einen Teil der verlorenen Würde zurückgewinnt. In Zeiten, in denen die Medienöffentlichkeit ein entfesselter Beschleuniger und Wirkungsverstärker von Krisen und Skandalen aller Art ist, wird Schweigen zu einem letzten Akt der Souveränität. Es zeugt zugleich von einem Restvertrauen darauf, dass die eiligen Urteile aus dem Wettstreit der medialen Standgerichte einmal durch nüchterne Betrachtungen ersetzt werden. Michael Götschenberg hat einen lesenswerten Beitrag dazu gelistet. Er ist für alle Akteure dieses Dramas ernüchternd.

    Michael Götschenberg: Der böse Wulff? Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
    Plassen-Verlag
    271 Seiten, 19,90 Euro
    ISBN: 978-3-864-70084-2