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Wunderbarer Wallach

Es ist der Stoff, aus dem die Kinoträume sind: Ein Bauernjunge und sein geliebtes Pferd gehen gemeinsam durch dick und dünn. Doch dann kommt der Krieg und trennt die eigentlich Unzertrennlichen. Was bleibt, ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen.

Von Josef Schnelle | 16.02.2012
    Ein Klischee ist schrecklich. Hundert Klischees können sich aber zu einem Meisterwerk zusammenfügen. Das sagt man über "Casablanca" von Michael Curtiz. Man kann diese Faustregel aber auch immer wieder im Werk von Steven Spielberg bestätigt finden. Mit Gefährten – Originaltitel "War Horse" - betritt er wieder einmal die Kitsch-Gefahrenzone des Tränenkinos – und meistert sie grandios. Im Mittelpunkt dieses Films steht ein Pferd namens Joey, das von dem bekannten Hollywood-Filmhengst "Finders Key" so überzeugend verkörpert wird, dass die menschlichen Darsteller Nebensache werden. Aber zunächst muss das Pferd in die Geschichte. Und abgerichtet werden.

    "Nein bitte bringt ihn nicht zurück." - "Das geht auch erst, wenn er abgerichtet ist." - "Und wie willst du mit deinem Bein ein Pferd abrichten?" – "Ich richte ihn ab." – "Halt du dich da raus Albert. Du verstehst nichts von Pferden." – "Bitte Ma. Bitte lass mich. Ich schaff das." – "Wir müssen ihn behalten. Wir haben keine Wahl." – "Na gut. Du hast einen Monat ihn abzurichten, sonst bring ich ihn persönlich zurück."

    So kommen der Farmersohn Albert und der Rassehengst Joey zusammen und etablieren eine dieser Liebesgeschichten zwischen Mensch und Pferd, an denen das Kino von "Black Beauty" bis zu "Der Pferdeflüsterer" so reich ist. Überhaupt haben Pferde das Kino von Anfang an stark geprägt, vor allem natürlich in Western, "in denen die Dialoge manchmal nur dazu dienten, den Pferden eine Verschnaufpause zu verschaffen." Das hat John Wayne einmal gesagt, der so herrlich ein Pferd besteigen konnte wie kein anderer. Die Schönheit und Eleganz der Bewegungen des Pferdes sind Kinoschauwerte "par excellence". Das weiß auch Spielberg, der neben den bewundernden Blicken des Farmersohns auch unseren voyeuristischen Zugang zu diesen Bildern in seine Inszenierung mit einbezieht. Die Idylle des Melodrams der Anfangsepisode mit Landschaftsschönheit und Schmachtmusik von Spielbergs Lieblingsfilmkomponisten John Williams hält jedoch nicht lange. Die Familie gerät in Not. Joey wird an die Armee verkauft und ist bald eines von Millionen Pferden, die im Ersten Weltkrieg als Kanonenfutter dienen sollen. Die Zeiten der glorreichen Kavallerie sind in den Stahlgewittern des Krieges mit Tanks und Maschinengewehren natürlich vorbei. Doch Joey wird noch ins Gefecht geschickt.

    "Vorwärts im Kanter! Kanter Marsch!"

    Für Joey beginnt eine Odyssee über die Schlachtfelder des Weltkrieges, bei der er jedoch auf beiden Seiten der Kriegsparteien immer wieder an Menschen gerät, die inmitten des Grauens zu ihm halten. Der Film bekommt nun eine episodische Struktur und ist ein opulent inszeniertes Bündel von Geschichten aus dem großen Krieg. Spielberg selbst hat ja mit "Saving Private Ryan" seinen Beitrag zum Kriegsfilm geleistet, und auch in den Kriegsszenen dieses Films pfeifen uns die Kugeln eindrucksvoll um die Ohren. Oft wirken die Übergänge von einer Geschichte zur anderen etwas konstruiert, wie das bei Seriendramaturgie nun einmal so ist. Doch durch Steven Spielbergs Inszenierungskunst wirkt es immer glaubwürdig, wie das Wunderpferd stets große Emotionen auslöst.

    "Was ist das?" – "Ein Pferd, das sich ins Niemandsland verlaufen hatte." "Was für ein Pferd?" – "Ein wunderbares Pferd, wenn Sie mich fragen."

    Von einer Million Pferden, die von britischer Seite in den Krieg geschickt wurden, kehrten nur 62.000 zurück. Die übrigen wurden im Krieg zerfetzt oder nach dem Ende des Krieges aus Ersparnisgründen noch in Frankreich geschlachtet. Diese Tatsache hatte Michael Morpurgo dazu angeregt, den Jugendroman zu schreiben, der Spielbergs Film zugrunde liegt. Joey gehört natürlich zu den glücklichen Rückkehrern. Und in der letzten Szene vor einem blutroten Sonnenuntergang zitiert Spielberg zum Happy End in der Idylle ausdrücklich das Finale von "Vom Winde verweht", so wie er eingangs die Landschaftsstimmung von John Fords "So grün war mein Tal" heraufbeschworen hatte. Mit nunmehr 65 Jahren hat sich Steven Spielberg einen auf angenehme Art altmodischen Film geschenkt. Da bleibt ein gewisses Maß an Pathos nicht aus.

    "Kannst du dir vorstellen, über einen Krieg zu fliegen? In dem Wissen, das du niemals hinabsehen darfst. Du musst immer nach vorn sehen. Sonst kehrst du nie heim."