"In meinem Zeugnis stand immer: Er findet keinen Zugang zur Klassengemeinschaft, ich wusste aber nie, wie funktioniert Freundschaft? Ich kann Augenkontakt schlecht halten. Ich war froh, wenn man mich in Ruhe gelassen hat und ich lesen und lernen konnte."
Rainer Döhle hatte kaum Freunde in der Schule, brach seine Ausbildung ab, eckte in diversen Hilfsjobs bei Kollegen und Vorgesetzten an und verstand nie, woran das lag. Er ist über 30 Jahre alt, als er die Diagnose erhält: Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus.
"Diese ganzen nicht ausformulierten Regeln, die andere Menschen intuitiv beherrschen, sind für uns oft ein Buch mit sieben Siegeln. Wie geht man mit Kollegen um? Das müssen wir uns alles kognitiv erschließen."
Verhaltenstherapien halfen Rainer Döhle, die Regeln des sozialen Miteinanders soweit verstehen zu lernen, dass er heute ein selbständiges Leben führt, mit Beruf und festem Freundeskreis. Auch bei Autisten, die kognitiv stark beeinträchtigt sind, werden in der Regel verhaltenstherapeutische Methoden angewendet, um soziale Fähigkeiten zu trainieren. Sie wirken – heilen kann man Autismus damit jedoch nicht. Auch Medikamente gibt es allenfalls gegen Begleiterscheinungen wie Aggressivität oder Hyperaktivität. Seit einigen Jahren nun rückt das Hormon Oxytocin in den Fokus der Forschung. Inge Kamp-Becker, Leiterin der Autismus-Spezialambulanz an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg:
"Was wir wissen ist, dass es auf Areale im Gehirn, im limbischen System, wirkt und hier Stress, Angst und so weiter herunterreguliert und dadurch eben Vertrauen, Bindungsverhalten fördert. Was auch spannend ist: Dass Oxytocin auch im Bereich von sich wiederholenden Verhaltensmustern, Stereotypien und so weiter – offensichtlich Wirkungen hat."
2009 veröffentlichte der Psychologe Adam Guastella von der Universität Sydney erstmals Forschungen zur Wirkung von Oxytocin bei autistischen Jugendlichen: Nachdem sie eine Einzeldosis Oxytocin-Nasenspray verabreicht bekommen hatten, gelang es den Jungen besser, auf Fotos von Augenpartien Gefühle zu identifizieren. Zwar verbesserte sich die Fähigkeit zur Emotionswahrnehmung nur gering. Dennoch bestehe die Hoffnung, so Anne-Kathrin Wermter, Leiterin des molekulargenetischen Labors der Marburger Kinder- und Jugendpsychiatrie…
"...dass dies eine Unterstützung für Patienten ist. Dass bei Autismus-Spektrum-Störungen Blickkontakte intensiviert werden, damit die Emotionserkennung in Gesichtern erleichtert wird und damit wieder Vertrauen zu der anderen Person aufgebaut wird. Und diese hohe Schwelle, soziale Interaktion aufzubauen, vermindert wird."
Im Internet kursieren zahlreiche Berichte über die positiven Effekte von Oxytocin bei Autisten, von mehr Kooperationsbereitschaft bis zu besserer Sprachfähigkeit. Fundierte Belege jedoch stehen vielfach noch aus – derzeit laufen Pilotstudien: die amerikanische Psychiaterin Linmarie Sikich etwa behandelt 300 Kinder ein halbes Jahr lang zweimal täglich mit Oxytocin-Nasenspray – und beobachtet Sozialverhalten und - Nebenwirkungen. Denn zugleich gibt es Hinweise auf negative Effekte von Oxytocin. Der Psychologe Carsten de Dreu von der Universität Amsterdam berichtete 2010, dass mit dem Hormon behandelte Probanden sich zwar vertrauensvoller innerhalb einer Gruppe enger Bezugspersonen verhielten, Außenseiter aber stärker ablehnten. Die kanadische Sozialpsychologin Jennifer Bartz fand heraus, dass Borderline-Patienten sich nach einer Oxytocin-Gabe misstrauischer und unkooperativer verhielten als vorher. Inge Kamp-Becker:
"Das ist wie bei jedem Medikament: Wenn man es zu schnell und zu undifferenziert einsetzt, dann gerät das Medikament in Verruf. Wichtig ist wirklich zu verstehen, was bewirkt ein Medikament und bei wem macht es Sinn, es anzuwenden?"
Noch in diesem Jahr startet daher ein Team um Inge Kamp-Becker und Anne-Kathrin Wermter an der Universität Marburg eine Studie, in der untersucht werden soll, welche Patienten tatsächlich von Oxytocin profitieren können. Kamp-Becker:
"Dann schauen wir: Was macht das Oxytocin bezüglich empathischer Fähigkeiten in Abhängigkeit davon, welcher Genotyp vorliegt? So dass wir dann differenziert sagen können: Oxytocin wirkt bei einem bestimmten Genotyp in welcher Weise. Das ist das Ziel."
In drei Jahren sollen erste Ergebnisse vorliegen.
Hinweis: Zum Thema Autismus sendet der Deutschlandfunk am Sonntag, 23.06, 16:30 Uhr, in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Autist!.
Rainer Döhle hatte kaum Freunde in der Schule, brach seine Ausbildung ab, eckte in diversen Hilfsjobs bei Kollegen und Vorgesetzten an und verstand nie, woran das lag. Er ist über 30 Jahre alt, als er die Diagnose erhält: Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus.
"Diese ganzen nicht ausformulierten Regeln, die andere Menschen intuitiv beherrschen, sind für uns oft ein Buch mit sieben Siegeln. Wie geht man mit Kollegen um? Das müssen wir uns alles kognitiv erschließen."
Verhaltenstherapien halfen Rainer Döhle, die Regeln des sozialen Miteinanders soweit verstehen zu lernen, dass er heute ein selbständiges Leben führt, mit Beruf und festem Freundeskreis. Auch bei Autisten, die kognitiv stark beeinträchtigt sind, werden in der Regel verhaltenstherapeutische Methoden angewendet, um soziale Fähigkeiten zu trainieren. Sie wirken – heilen kann man Autismus damit jedoch nicht. Auch Medikamente gibt es allenfalls gegen Begleiterscheinungen wie Aggressivität oder Hyperaktivität. Seit einigen Jahren nun rückt das Hormon Oxytocin in den Fokus der Forschung. Inge Kamp-Becker, Leiterin der Autismus-Spezialambulanz an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg:
"Was wir wissen ist, dass es auf Areale im Gehirn, im limbischen System, wirkt und hier Stress, Angst und so weiter herunterreguliert und dadurch eben Vertrauen, Bindungsverhalten fördert. Was auch spannend ist: Dass Oxytocin auch im Bereich von sich wiederholenden Verhaltensmustern, Stereotypien und so weiter – offensichtlich Wirkungen hat."
2009 veröffentlichte der Psychologe Adam Guastella von der Universität Sydney erstmals Forschungen zur Wirkung von Oxytocin bei autistischen Jugendlichen: Nachdem sie eine Einzeldosis Oxytocin-Nasenspray verabreicht bekommen hatten, gelang es den Jungen besser, auf Fotos von Augenpartien Gefühle zu identifizieren. Zwar verbesserte sich die Fähigkeit zur Emotionswahrnehmung nur gering. Dennoch bestehe die Hoffnung, so Anne-Kathrin Wermter, Leiterin des molekulargenetischen Labors der Marburger Kinder- und Jugendpsychiatrie…
"...dass dies eine Unterstützung für Patienten ist. Dass bei Autismus-Spektrum-Störungen Blickkontakte intensiviert werden, damit die Emotionserkennung in Gesichtern erleichtert wird und damit wieder Vertrauen zu der anderen Person aufgebaut wird. Und diese hohe Schwelle, soziale Interaktion aufzubauen, vermindert wird."
Im Internet kursieren zahlreiche Berichte über die positiven Effekte von Oxytocin bei Autisten, von mehr Kooperationsbereitschaft bis zu besserer Sprachfähigkeit. Fundierte Belege jedoch stehen vielfach noch aus – derzeit laufen Pilotstudien: die amerikanische Psychiaterin Linmarie Sikich etwa behandelt 300 Kinder ein halbes Jahr lang zweimal täglich mit Oxytocin-Nasenspray – und beobachtet Sozialverhalten und - Nebenwirkungen. Denn zugleich gibt es Hinweise auf negative Effekte von Oxytocin. Der Psychologe Carsten de Dreu von der Universität Amsterdam berichtete 2010, dass mit dem Hormon behandelte Probanden sich zwar vertrauensvoller innerhalb einer Gruppe enger Bezugspersonen verhielten, Außenseiter aber stärker ablehnten. Die kanadische Sozialpsychologin Jennifer Bartz fand heraus, dass Borderline-Patienten sich nach einer Oxytocin-Gabe misstrauischer und unkooperativer verhielten als vorher. Inge Kamp-Becker:
"Das ist wie bei jedem Medikament: Wenn man es zu schnell und zu undifferenziert einsetzt, dann gerät das Medikament in Verruf. Wichtig ist wirklich zu verstehen, was bewirkt ein Medikament und bei wem macht es Sinn, es anzuwenden?"
Noch in diesem Jahr startet daher ein Team um Inge Kamp-Becker und Anne-Kathrin Wermter an der Universität Marburg eine Studie, in der untersucht werden soll, welche Patienten tatsächlich von Oxytocin profitieren können. Kamp-Becker:
"Dann schauen wir: Was macht das Oxytocin bezüglich empathischer Fähigkeiten in Abhängigkeit davon, welcher Genotyp vorliegt? So dass wir dann differenziert sagen können: Oxytocin wirkt bei einem bestimmten Genotyp in welcher Weise. Das ist das Ziel."
In drei Jahren sollen erste Ergebnisse vorliegen.
Hinweis: Zum Thema Autismus sendet der Deutschlandfunk am Sonntag, 23.06, 16:30 Uhr, in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Autist!.