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Zentralabitur all'italiana
Nord-Süd-Sozialgefälle zeichnet sich ab

Maturità hat begonnen: das italienische, zentrale Staatsabitur. 500.000 Schüler werden noch bis zum 22. Juni geprüft. Die Prüfungsfragen liegen auf einem staatlichen Server - natürlich absolut hackersicher.

Von Thomas Migge | 19.06.2015
    Der Spot zeigt drei Lehrer vor einem Tisch. Sie fragen den Abiturienten warum er so leidet. Dann fällt die Kamera auf den Prüfling, der vor dem Tisch mit den Lehrern steht, mit einem Folterinstrument am Oberkörper, das den Kopf und die Hände zusammenhält. Auf die Frage der Lehrer, warum er denn so leide, meint der Schüler: "Sehen Sie das denn nicht?!"
    "Maturità" ist angesagt. Das zentrale Staatsabitur. Das große Zittern, dem viele Schüler versuchen, mit Humor zu begegnen. An zahllosen Schulen produzieren sie für die Maturità witzige Clips, die im Web gezeigt werden. Wie dieser Clip des humanistischen Gymnasiums Giulio Cesare in Rom.
    500.000 werden in diesen Tagen geprüft. Bis zum 22. Juni dauert das italienische Zentralabitur. Marco Bellio ist Abiturient am Giulio Cesare-Gymnasium. Wir treffen ihn am Ausgang seiner Schule, nach dem ersten Prüfungstag:
    "Das war schon schwer, aber ich denke mir machbar. Ich habe mich für das sozial-ökonomische Thema entschieden, bei dem es darum ging, die Entstehung der grünen Protestbewegung im Bezug auf das Vorgehen multinationaler Konzerne zu interpretieren."
    Seit 1997 existiert in Italien das Zentralabitur in seiner heutigen Form. Jede Schulklasse untersteht dabei einer dreiköpfigen Prüfungskommission. Die eigentliche Prüfung: "Ein schriftlicher Teil, drei oder vier unterschiedliche Fragenstellungen, und eine mündliche Befragung. Seit 2011 werden die zentral im Bildungsministerium formulierten Prüfungsfragen - von Experten der jeweiligen Themenbereiche und unter strengstem Ausschluss der Öffentlichkeit - nicht mehr in verschlossenen Briefumschlägen den einzelnen Schulen zugeschickt.
    Das große Zittern von Schülern, Eltern, Freunden
    Bei dieser Briefverschickung kam es immer wieder zu gestohlenen Prüfungsfragen, was dazu führte, dass neue Fragen formuliert und Prüfungstermine verschoben werden mussten. Seit vier Jahren laden die Schulleitungen die Fragestellungen vom staatlichen Server herunter. Ein, versichert Carla Collicelli, Lehrerin am römischen Gymnasium Virgilio, absolut hackersicherer Server, denn bis jetzt ist es Hackern noch nicht gelungen, an die Prüfungsfragen heranzukommen:
    "Dieses Jahr bin ich zum ersten Mal externe Kommissarin der Prüfungen, das heißt: Ich kontrolliere ob alles rechtens abläuft. Immer wenn bei uns Abitur angesagt ist sind wir Lehrer aufgeregt. Es berührt einen schon zu sehen, wie so viele junge Leute total nervös sind. Und so fühle auch ich mich wie ein Prüfling."
    Das geht auch zahllosen Eltern so. Am Tag nach jedem Prüfungstag veröffentlichen Italiens große Zeitungen die wichtigsten Fragestellungen des Vortages: mathematische Themen, philosophische, soziale, kunsthistorische etc. Und dann wird gerechnet, gegrübelt, diskutiert...
    Und auch kritisiert, denn nicht wenige Eltern klagen darüber, dass wissenschaftliche Prüfungsfragen weit über das Niveau einer Schule hinaus gehen und bereits Universitätsqualität haben. "la maturità" ist dasThema, wenn man Nachbarn, Freunde oder Bekannte trifft."
    Demokratisches Prüfungsverfahren
    Die Abschaffung des Zentralabiturs stand und steht in Italien nicht zur Debatte: Die meisten Italiener sehen darin den größtmöglichen Garanten eines demokratischen Prüfungsverfahrens. Lucia Mattarella, Lateinlehrerin am Virgilio-Gymnasium:
    "Der zentrale Punkt der schulischen Ausbildung ist doch der, das alle Schüler die gleichen Voraussetzungen erhalten. Die Prüfungen sind überall gleich. Das garantiert, dass niemand behaupten kann, dass man in Sizilien oder sonst wo die Schüler härter oder softer prüft als anderswo."
    Doch das stimmt so nicht ganz. In Norditalien schneiden Abiturienten besser als im Süden ab - wo aufgrund geringer Finanzmittel zum Beispiel vertiefender Zusatzunterricht nicht angeboten werden kann. Abiturienten haben in Süditalien durchschnittlich schlechtere Noten. Dagegen versprechen Bildungsminister etwas zu tun. Aber solange Gymnasien im Süden nicht die gleiche finanzielle Ausstattung wie im Norden erhalten wird sich an diesem Notenunterschied nicht viel ändern.