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Zentralabitur vom Tisch

Der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Jürgen Zöllner, hat sich nach dem Beschluss der Kultusminister, Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe einzuführen, erneut gegen ein Zentralabitur ausgesprochen. Eine einheitliche Prüfung führe nicht automatisch zu mehr Mobilität und Durchlässigkeit.

Moderation: Lothar Guckeisen | 18.10.2007
    Lothar Guckeisen: Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich laut einer Umfrage ein bundesweites Zentralabitur, also eine Prüfung für alle am gleichen Tag. Doch genau das wird es in Deutschland vorerst nicht geben. Stattdessen sollen einheitliche Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe eingeführt werden, sozusagen Normen, an denen sich alle Länder orientieren sollen, aber eben keine zentrale Prüfung. Das ist das Ergebnis der Kultusministerkonferenz, die noch bis heute in Bonn tagt. Jürgen Zöllner, amtierender Präsident der Kultusministerkonferenz, was bedeuten denn diese Bildungsstandards konkret, was ändert sich denn damit für Schulen und Schüler am Gymnasium?

    Jürgen Zöllner: Es bedeutet, dass die Deutschen das bekommen, was sie möchten. Sie bekommen Vergleichbarkeit, sie bekommen Durchlässigkeit und sie erreichen etwas für die Unterrichtsentwicklung. Das heißt, dass die jungen Menschen besser das lernen, was sie in der Schule lernen sollen, und das erreicht man nur durch Standards, also indem man letzten Endes Einigkeit über die Inhalte erzielt. Und ich gehe davon aus, dass wir in diesen wichtigen Punkten damit einen entscheidenden Schritt vorangekommen sind.

    Guckeisen: Die Deutschen, wie Sie gerade sagen, bekommen das, was sie wollen, aber Sie denken das, was Sie gerade eben zitiert haben, wohl noch logisch einen Schritt weiter zu Ende. Wenn wir die Standards schon haben, warum sollen wir das nicht auch gleich mit einer einheitlichen Prüfung dann auch zum Test stellen?

    Zöllner: Weil Sie durch die einheitliche Prüfung nicht automatisch das erreichen, was Sie erreichen wollen. Dadurch haben Sie keine Mobilität und Durchlässigkeit. Allerdings bedeutet es, dass wir diese Standards und das Erreichen der Standards dann auch letzten Endes hinterfragen müssen. Das kann jedes Land letzten Endes auf die Art und Weise machen, wie es organisatorisch am pragmatischsten und am einfachsten durchführbar ist. Mir ist einleuchtend, dass es scheinbar so ist, dass durch ein zentrales Abitur, wie man so schön sagt, dieses gewährleistet werden könnte, was aber jeder, wenn er sich das etwas länger überlegt, weiß, dass es so nicht geht.

    Guckeisen: Ist denn aus Ihrer Sicht mit diesen Bildungsstandards das Thema "bundesweites Zentralabitur" erledigt?

    Zöllner: Das hat überhaupt nicht zur Debatte gestanden, dieses Wort ist überhaupt nicht gefallen, in der ganzen Diskussion nicht gefallen. Ganz abgesehen von den technischen Schwierigkeiten und pragmatischen Schwierigkeiten, das zu organisieren, geht es der Kultusministerkonferenz um die Inhalte. Man kann die Sache nicht von hinten aufzäumen. Ob man und zu welchem Zeitpunkt möglicherweise einige Länder aus nahe liegenden Gründen gemeinsam ein Abitur organisieren, das ist davon völlig unabhängig. Dass es da keine Berührungsängste gibt, wird zum Beispiel klar, dass wir in Berlin uns festgelegt haben, dass wir in Berlin das Zentralabitur zusammen in absehbarer Zeit mit Brandenburg machen wollen, weil das aus nahe liegenden Gründen für alle Betroffenen günstig ist.

    Guckeisen: Aber Herr Zöllner, das versteht ja nun wirklich dann keiner mehr. Sie sagen, wir machen das in Berlin mit Brandenburg. Es gibt einige Länder, Baden-Württemberg hat dafür Sympathie bekundet, Thüringen etwa auch, dass man gemeinsam ein Abitur länderübergreifend machen könnte, warum dann nicht gleich bundesweit?

    Zöllner: Weil ganz einfach wir aus vielen anderen Gründen unser Schulsystem natürlich mit Brandenburg sehr eng harmonisieren, zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger von Berlin und von Brandenburg. Zu dem gleichen Zeitpunkt haben wir Ferien, wir haben auch die gleichen Lehrpläne jetzt schon, erarbeiten die. Wir betreiben gemeinsam ein Institut für Fort- und Lehrerweiterbildung. Das sind pragmatische Gründe, die sich aufgrund der lokalen Situation wahrscheinlich für jeden nachvollziehbar ergeben. Alles Dinge, wo es zu riesigen Umsetzungsschwierigkeiten kommt, wenn Sie das bundesweit harmonisieren wollen. Und Sie erreichen durch diesen Schritt letzten Endes nichts in dem Bereich, wo es drauf ankommt, dass eben die Qualität der Ausbildung in Deutschland überall gleich ist, sondern das erreichen Sie nur, indem Sie die gleichen Standards setzen und sich auf den Weg machen, zum Beispiel, was wir auch beschlossen haben, dass wir das begleiten von einer wissenschaftlichen Untersuchung, dass wir es begleiten, haben wir auch beschlossen, von Aufgabenentwicklungen, dass ein Aufgabenpool entsteht, dass während der gesamten gymnasialen Oberstufenzeit letzten Endes diese Rückkoppelung erfolgen kann. Und ein letzter Satz: Was noch wichtiger ist, ist, dass wir gesagt haben, wir wollen auch überprüfen, ob wir nicht am Beginn der gymnasialen Oberstufe länderübergreifende Leistungstests machen. Das bedeutet in der Phase, wo es noch möglich ist, dann eben im Sinne einer Optimierung, einer Anpassung, eines weiteren Lernens, man das noch nachholen kann, dass wir uns da überhaupt nicht scheuen und jeder von uns das will, dass wir uns da gegenseitig letzten Endes vergewissern, ob die Entwicklung in den einzelnen Ländern gleichmäßig nach oben verläuft.

    Guckeisen: Die Kanzlerin und die Bundesbildungsministerin, die interpretieren ja den Beschluss der Kultusministerkonferenz so, dass sie sagen, das sei nur ein Zwischenschritt zu einer einheitlichen Abiturprüfung in allen Ländern. Sehen Sie das auch so oder würden Sie sagen, nein, das Thema ist erledigt?

    Zöllner: Zumindest, ich wiederhole mich, es hat schon in der Konferenz gar keine Rolle gespielt, weil das Wort selbst in der Diskussion und geschweige denn in der Beschlussfassung vorgekommen ist. Dass man irgendwann irgendwas noch macht, das kann jeder interpretieren, wie er möchte. Für mich ist wichtig, und deswegen bin ich sehr froh als Präsident der Kultusministerkonferenz, dass die Länder gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, gesamtstaatliche Verantwortung zu übernehmen im Schulbereich, dort wo es wichtig ist, eben die gemeinsame Messlatte zu machen, an der dann jedes Land sich sein Schulsystem messen lassen muss.

    Guckeisen: In "Campus & Karriere", der amtierende Präsident der Kultusministerkonferenz, Jürgen Zöllner. Besten Dank fürs Gespräch.