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Zu Herzen gehende Chronologie der Ereignisse

Der erzwungene Exodus der deutschen Juden nach 1933 ist Thema einer großen Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin. Gezeigt wird die Emigration der deutschen Juden in mehr als 100 Länder. Die Ausstellung erzählt von Verfolgung und Fluchtvorbereitung, von Reisewegen in eine ungewisse Zukunft und vom Neuanfang in einer fremden Welt.

Von Carsten Probst | 29.09.2006
    Die vielleicht am meisten bohrende Frage findet sich im letzten Raum dieser Ausstellung: Wie kam es, dass einige der aus der Heimat vertriebenen deutschen Juden nach all dem unsagbaren Leid, dem totalen Verlust ihrer Habe, ihrer Existenzen, der Ermordung vieler Freunde und Verwandter dennoch den Entschluss fassten, in den Jahren nach 1945 nach Deutschland zurückzukehren?

    Heimweh kann es nicht gewesen sein, denn Deutschland war keine Heimat mehr, sondern das Land der Täter obgleich in manchen Aufzeichnungen sogar auch von der Hoffnung die Rede ist, einst durch ein zum Empfang rosenbekränztes Brandenburger Tor zu schreiten. Die Gründe bei den Rückkehrern waren vielschichtig, und man hütet sich in der Ausstellung vor psychologischen Spekulationen.

    Stattdessen wird, ganz untypisch für den sonstigen Verlauf der Schau, vor allem auf intellektuelle Prominenz verwiesen: Max Horkheimer etwa kehrte bekanntlich zurück, als die beginnende Kommunistenhatz in den USA die Fortsetzung seiner Arbeit bedrohte. Anna Seghers verließ Mexiko, um sich für eine sozialistische Gesellschaft in Deutschland zu engagieren. Die nicht-prominenten Zeitgenossen, die früh zurückkehrten, taten dies mitunter aus scheinbar einfacheren Gründen: manche für die familiäre Spurensuche, nach der sie das Land wieder verließen, manche, weil sie im Exil keinerlei neuen Halt gefunden hatten

    Die Ausstellung deutet nur an, wie es ihnen nach der Rückkehr ergangen ist und wie sie sich gefühlt haben müssen. Die gelehrte oder intellektuelle Prominenz wurde gerade in der späteren Bundesrepublik mit offenen Armen empfangen und mit Ehrungen überhäuft. Das schlechte Gewissen der einstigen deutschen Kulturnation über ihren Verfall dringt bis heute aus allen Dokumenten dieser Zeit. Die weniger prominenten Rückkehrer blieben Fremde in der einstigen Heimat und wollten es oft auch bleiben, traumatisiert und jederzeit bereit, wieder alle Zelte abzubrechen.

    Es mag einseitig sein, so sehr auf dem letzten Kapitel einer über viele Räume großangelegten Schau zu verharren, doch das liegt auch daran, daß sich historische Fragen und mögliche Antworten zum Exil der deutschen Juden nach 1933 hier zum ersten Mal wirklich verdichten. Der gesamte Rest der Ausstellung ist eine zu Herzen gehende Chronologie der Ereignisse, deren inhaltliche Tiefe jedoch spürbar hinter einem erheblichen Aufwand an multimedialer Bebilderung zurückbleibt. Eigentlich wird alles aufgeboten, was das Lehrbuch für Erlebnis- und Mitmach-Ausstellungen "für die ganze Familie" heute vorschreibt: Flackernde Filme, zeitgenössische Geräusche, mystische Lichteffekte, herzergreifende Artefakte, die von persönlichen Schicksalen zeugen, und natürlich die so genannten spielerischen Elemente, mit denen Besucher sich selbst Informationen beschaffen sollen, die selbst aber wiederum nur Häppchenware in kurzen Sätzen sind. Niemanden überfordern, vor allem nicht intellektuell, das ist bedauerlicherweise auch hier das Motto, wie üblich bei der derzeitigen Geschichtsausstellungs-Ästhetik

    Der Eingangsbereich glänzt von alten, meterhoch in die Wände eingelassenen Porträtfotos wie der Erinnerungsturm im Washingtoner Holocaust Museum. Schon daran wird erkennbar: Wissen soll als Stimmung vermittelt werden, ein begehbarer Film sein. Nur kurz wird man dagegen daran erinnert, dass die deutschen Juden sich eigentlich immer als Deutsche begriffen haben, obwohl hierin doch eigentlich der ganze extreme soziale Riss dieser Geschichte am allerdeutlichsten greifbar würde. Aber man erfährt nicht, was "Deutschtum" für die Juden in einer Zeit wie der Weimarer Republik geheißen hat. Man erfährt es nicht, weil es vielleicht als zu sperrig angesehen wurde, aber andererseits würde daraus erst die ganze Spannbreite individueller Schicksale der Vertriebenen herausgestellt. Zwar greift die Ausstellung gezielt immer wieder Einzelschicksale heraus, aber sie wirken holzschnittartig: etwa von Kurt Roberg aus Celle, der 1938 mit 14 Jahren erst nach Rotterdam, dann in die USA floh, wo er sich nach und nach eine neue Existenz aufbaute.

    Hängen bleibt nach dem Durchgang der Säle vor allem die alle Flüchtlinge verbindende Kollektiverfahrung der existenziellen Not, des sich Zurechtfinden-Müssens. Hängen bleibt das schwierige Überleben und die zeitweilige Exotik an den Orten des Exils, etwa in Südamerika oder Shanghai. Der individuelle Blick zurück jedoch auf das, was sie verloren haben, auf das so genannte Deutschtum der Juden, bleibt vage und vernebelt von der Katastrophe.

    Auch Michael Blumenthal, heutiger Direktor des Jüdischen Museums, hat diese Geschichte erlebt und durchgemacht, und auch er berichtet von den bis heute andauernden Nachwirkungen dieser Erschütterung, andere Zeitzeugen auch von der Scham des Überlebt-Habens. Deutschland hat sich bei den Vertriebenen als Erfahrung von Heimat selbst ausgelöscht. So deutlich will man das in dieser Ausstellung aber dann wohl doch nicht mehr sagen.