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Zum 60. Geburtstag des Bundeskanzlers

Elke Durak: Eine deutsche Bilanz, unser Geburtstagsgespräch über den Bundeskanzler, und zwar mit einem Mann, der Schröder zwar nicht ganz von Kindesbeinen an kennt, aber immerhin doch seit Ende der siebziger Jahre etwa, und darüber ein Buch geschrieben hat, eine Biographie, das ist Reinhard Urschel, Berlinkorrespondent auch der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, wie der Kanzler auch im Urlaub, aber ganz woanders. Herr Urschel, Herr Schröder ist der klassische Aufsteiger aus dem Arbeiterhaushalt bis ins Kanzleramt. Was hat der reife Mann vom rebellischen Juso-Schröder denn behalten?

Moderation: Elke Durak | 07.04.2004
    Reinhard Urschel: Ganz sicher das, was vorhin angeklungen ist, seine Kampflust, ich würde fast sagen, seine Rauflust, die er behalten hat. Dann hat er als Kanzler sicher diese Sprunghaftigkeit von früher, die er als junger Politiker hatte, als junger Mann sicherlich auch, diese Sprunghaftigkeit - und wenn man es positiv ausdrücken will seine Spontaneität - die hat er sich sicherlich bewahrt. In gewissen Dingen sicher auch eine Beliebigkeit in seinen Ansichten. Was er sich sicher bewahrt hat, ist auch ein Gespür dafür, wie er bei den Menschen ankommt. Das hat vielleicht in letzter Zeit ein bisschen gelitten, aber ein gewisses Gespür dafür ist noch da.

    Durak: Was denken Sie, Herr Urschel, ist er im Kanzleramt nun endgültig erwachsen geworden? Nicht nur mit Macht und Spaß an der Politik, sondern mehr Verantwortung?

    Urschel: Verantwortung hat er ja schon früh übernehmen müssen. Das hängt damit zusammen, wie er aufgewachsen ist in der Familie mit den Eltern und den Geschwistern, mit jüngeren Geschwistern, für die er verantwortlich war. Verantwortung hat er schon früh übernehmen müssen, aber das, was Sie angesprochen haben, ist schon bezeichnend, ja. Ist der Mann erwachsenen geworden? Da bin ich nicht so sicher. Er hat sich so eine Art kindliches Gemüt sicher bewahrt, was einerseits natürlich nicht schlecht ist für einen Menschen, andererseits aber diese negativen Eigenschaften, wie diese Zufälligkeit und Sprunghaftigkeit, die ich gerade erwähnt hatte, noch zu sehr in den Vordergrund treten lässt. Ob er ganz erwachsen wird, nein, das glaube ich nicht.

    Durak: Manchen Mann zeichnet das ja aus. Beim Kanzler, soweit es ihn menschlich als Person betrifft, wünscht man ihm das auch. Aber er ist ja Kanzler. Autokanzler, Medienkanzler, und nun möchte er gerne der Reformkanzler sein. Wie fällt denn diese deutsche Bilanz nach sechzig Jahren Ihrer Meinung nach aus?

    Urschel: Unvollendet auf jeden Fall. Er steht ja mitten in der Politikära, die er als Agenda 2010 angefangen hat. Ob er sie ganz zu Ende bringen wird, da habe ich meine Zweifel. Er hat die erste Legislaturperiode gebraucht, um sich in diesem sehr hohen Amt, in das er fast mit staunenden Augen hineingekommen ist, obwohl er es sich so sehr gewünscht hat, zurechtzufinden. In der zweiten jetzt hat er die Reform angegangen, angepackt. Ob er sie ganz zu Ende bringen wird in seinem Sinne - auch da habe ich meine Zweifel.

    Durak: Ist denn dieser Mann, dieser Gerhard Schröder, ein Kanzler, den Deutschland verdient, im Sinne von ein typischer Vertreter?

    Urschel: Ich glaube schon, wenn man sich die Lebensgeschichte Schröders anguckt, eben diese letzte Kriegsgeneration, in sehr schlechten Zeiten, in schwierigen Verhältnissen groß geworden, vaterlos. Gerade so einer wie er, hat es schwer, so etwas wie Patriotismus, wie Vaterlandliebe zu entwickeln, und das merkt man ihm auch an in seiner Politik. Er hat erst so etwas wie ein Gefühl für deutsche Politik entwickelt, als er sich der Außenpolitik zugewandt hat. Erst über seine Liebe zur Außenpolitik hat er gemerkt, wie wichtig so etwas ist oder wie bedeutungsvoll so etwas sein kann, wie Patriotismus, wie Liebe zum Vaterland. Ich glaube so etwas hat er in jungen Jahren - ganz anders als Helmut Kohl - nicht entwickelt.

    Durak: Herr Urschel, Sie kennen ja Gerhard Schröder nun seit geraumer Zeit, haben wir gesagt, was schreckt diesen Mann?

    Urschel: Wohl gar nichts. Der schreckt vor nichts zurück. Das ist vielleicht etwas hart ausgedrückt, aber ich glaube Mut in einem sehr weiten Sinne, Mut zeichnet ihn immer aus. Ich könnte mir nicht vorstellen, was diesen Mann schrecken würde.

    Durak: Sie haben vorsichtig angedeutet, dass es möglicherweise ein vorzeitiges Ende der Kanzlerschaft geben kann. Wird er müde?

    Urschel: Ja, das ist sehr auffällig. Ich hatte das Gefühl zweimal. Einmal nach der gewonnenen Wahl, unmittelbar dann 2002 hatte ich den Eindruck - nicht ich allein, viele mit mir - dass er mit dieser erneuten Wahl fast gar nicht mehr gerechnet hatte und sich in Gedanken schon verabschiedet hatte aus seinem Job. Er hat ja auch immer gesagt, ich kann mir ein Leben nach der Kanzlerschaft vorstellen.

    Durak: Das sagen sie alle.

    Urschel: Das sagen sie alle, ja, aber bei ihm glaube ich schon zum einen, dass er irgendwann in seinem Leben noch etwas Geld verdienen möchte.

    Durak: Nicht, dass uns jetzt die Tränen kommen. Herr Urschel, schönen Dank, wir wollen an dieser Stelle unsere Laudatio beenden.