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Zwischen Halbmond und Rotlicht

In Beirut leben die unterschiedlichen Konfessionen mittlerweile in getrennten Stadtteilen. In der Innenstadt sorgen dubiose Baufirmen für Apartmenttower; viele Bewohner sind pessimistisch, was ihre Zukunft betrifft.

Von Achim Nuhr | 16.09.2012
    "Hier gibt's arabische Nachtclubs! Dort sagst Du: Ich will nichts essen, ich will nichts trinken, ich will gleich auf's Zimmer! Alles kein Problem. Libanesische Frauen - syrische, palästinensische, ägyptische. Worauf stehst du denn?"

    Beirut gilt als Sündenpfuhl. Und das völlig zu Recht. In Kairo oder Dubai empfehlen die Taxifahrer Diskotheken. Hier in der libanesischen Hauptstadt geht es gleich zur Sache. Wer Drogen, Maschinengewehre oder ein paar starke Jungens braucht: auch kein Problem.

    In Beirut ist seit meinem letzten Besuch viel passiert: Der mächtigste Mann wurde bei einem Attentat ermordet. Die israelische Luftwaffe warf Bomben ab. Eine Baumafia krempelte die Innenstadt um. Und ausgerechnet die Hisbollah baute in den vergangenen Jahren viele Tausend Sozialwohnungen. Ich möchte Menschen sprechen, die diese Veränderungen erlebt haben – jenseits des Klischees vom "Paris des Nahen Ostens".

    Das Taxi hat gerade den Flughafen verlassen, da fährt es bereits durch eine Hochburg der Hisbollah: das Stadtviertel Borj el Barajneh. Hier liegt auch mein Fahrziel. Mein Taxifahrer ist zuerst enttäuscht: Im Puff hätte er eine Prämie für den angelieferten Gast kassiert. Doch er bleibt trotzdem cool und professionell. Als er hört, dass ich mit einem seiner Taxikollegen verabredet bin, geht er sogar mit dem Fahrpreis runter. Alles Verhandlungssache. Taxameter gibt's in Beirut nicht. Das Viertel Borj el Barajneh liegt im Südwesten von Beirut.

    Farouk Jeik öffnet die Wohnungstür. Er ist noch ein bisschen dicker geworden seit unserem letzten Treffen vor sechs Jahren. Damals wohnte er noch woanders. Dort hatte ich ihn erst kennengelernt und gefilmt. Jetzt ist er Anfang 50, hat eine Halbglatze und trägt Beirut casual: gelbes Polohemd, graue Stoffhose und Straßenschuhe. Eine Änderung fällt gleich ins Auge: Sein neuer Vollbart gilt als Zeichen der Frömmigkeit.

    Auf der Fahrt hierher waren an den Hausfassaden viele Hisbollah-Plakate mit vollbärtigen Männern zu bewundern. Herr Jeik hat bereits am Telefon erzählt, dass er jetzt öfter in die Moschee geht. Bei meinem letzten Besuch war von Beten noch nicht die Rede gewesen. Da lebte er noch mitten im Stadtzentrum. Doch dann wurde er von dort verjagt, stellt sich heraus:

    "Ungefähr ein Jahr nach unserem ersten Treffen tauchten die ersten Immobilienhaie in unserem Viertel auf. Diese Menschen waren sehr mächtig und reich. Bald erzählte mein Vermieter, dass er das Haus an sie verkaufen müsse. Ich hatte 15 Tage Zeit, eine neue Bleibe für meine Familie zu finden. Aber mein Vermieter war schon in Ordnung: Weil wir so schnell umziehen mussten, zahlte er mir eine Abfindung von 2.500 Dollar."

    Damals bewohnte Herr Jeik mit seiner Frau und den fünf Kindern noch ein ganzes Haus: im Wohnviertel Bashoura, von hier aus sechs Kilometer Richtung Norden im Stadtzentrum. Nun liegt die neue kleine Wohnung weit draußen in der "Dahieh" – arabisch für: südliche Vorstadt. So nennen die Libanesen die südliche Hälfte des Beiruter Stadtgebiets. Hier herrscht chaotischer Verkehr und die Gegend ist für ihre schlechte Infrastruktur berüchtigt.

    Die neue Wohnung der Familie Jeik sieht allerdings gar nicht so schlecht aus: Die Wände sind frisch gestrichen, die Möbel neu, und es riecht frisch in der neuen Wohnung, anstatt nach feuchtem Mauerwerk wie damals in dem Innenstadthaus. Sie hat 80 Quadratmeter und liegt in der zweiten Etage eines achtstöckigen Wohnhauses. Jetzt stottert Herr Jeik gerade einen Hypothekenkredit ab, mit dem er die Wohnung gekauft hat. Den Kaufpreis hat er angeblich vergessen. In der Innenstadt von Beirut wäre er jedenfalls mit seinem Eigenkapital von 12.500 Dollar ausgelacht worden. Dort werden immer mehr alte Häuser abgerissen, um für neue, luxuriöse Apartmenttower Platz zu schaffen. Herr Jeik hat gehört, dass sein altes Wohnviertel Bashoura bald ganz zerstört werden soll.

    "Dort stehen mittlerweile viele Häuser leer. Eine richtige Baumafia soll jetzt das Sagen haben. Da bin ich noch rechtzeitig davon gekommen: Jetzt sagt man den Bewohnern einfach, dass sie abhauen sollen. Vielleicht kriegen sie etwas Geld. Aber nicht viel."

    Schon damals waren Herr Jeik und seine Nachbarn bedrängt worden, das Viertel zu verlassen. Polizisten der Stadtverwaltung versuchten, die Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben. Der vorgeschobene Grund: In Bashoura würden viele Häuser gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen. Das stimmte zwar, aber nach diesen Maßstäben müsste man halb Beirut abreißen. Auch in Herrn Jeiks neuem Domizil würden die Treppengeländer jeden deutschen TÜV-Prüfer erblassen lassen.

    In Wirklichkeit ging es damals in Bashoura um ganz andere Dinge: Das Viertel war eine Hochburg der Hisbollah. Deshalb war ich damals überhaupt erst aufmerksam geworden: Während in den umliegenden Innenstadtvierteln für Alkohol, Sportwagen und gewagte Schlüpfer geworben wurde, hingen um die Ecke in Bashoura überall Plakate und Banner der "Partei Gottes". Die Hisbollah setzt sich vor allem für schiitische Muslims ein; und in Bashoura waren die meisten Anwohner Schiiten gewesen, wie Herr Jeik. Bewaffnete Hisbollah-Trupps hatten damals dann auch die Polizisten vertrieben und später sogar einmal Regierungssoldaten. Herr Jeik hat das nicht vergessen.

    "Die Hisbollah half schon damals den einfachen Menschen, wo sie nur konnte. Bis heute kümmert sie sich um viele soziale Probleme und lässt uns nie allein. Deshalb bin ich bereit, alles zu geben, um die Partei Gottes zu unterstützen: Was immer sie verlangen mag, betrachte ich als meine Pflicht."

    Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz beurteilt die Hisbollah völlig anders: Sie würde "Partei und Terrororganisation unter einem Dach vereinen". Die deutsche Bundesregierung nimmt "zur Kenntnis, dass die Hisbollah ein Faktor der libanesischen Innenpolitik ist". Das ist noch untertrieben, denn mittlerweile führt die Hisbollah sogar die Regierung des Libanon an. Herr Jeik erlebt sie als Helfer im Alltag. Doch nun will er zum Beten in die Moschee aufbrechen. Zum Schluss meint er noch:

    "31 Jahre habe ich in Bashoura gelebt – die meiste Zeit meines Lebens. Dort habe ich meine Familie gegründet und meine Kinder bekommen. Deshalb ist es mir sehr schwer gefallen, die Innenstadt zu verlassen und hierher zu ziehen. Meine neuen Nachbarn respektieren mich. Das zumindest ist gut. Aber ich wäre lieber in meinem alten Viertel geblieben."

    Beim Abschied zweifle ich, ob wir uns noch einmal wiedersehen werden. Vielleicht, weil Herr Jeik sich viel reservierter verhält als früher. Könnte sein, dass er in mir mittlerweile einen Ungläubigen sieht.

    Etwa vier Millionen Menschen leben im Libanon, davon zwei Millionen in der Hauptstadt Beirut. Der Süden der Stadt erinnert an orientalisch geprägte Städte wie Damaskus oder Kairo: tosender Verkehr, unzählige Straßenstände, die Bürgersteige versperren, und Fußgänger, die über wild geparkte Autos klettern müssen. Es gibt praktisch keine öffentliche Polizei in der "südlichen Vorstadt". Stattdessen hat sich hier die Hisbollah als einzige Autorität durchgesetzt: Sie schickt inzwischen sogar eigene Ordnungshüter auf die Straßen der Dahieh.

    Hier lebt bereits etwa die Hälfte der Einwohner Beiruts - Tendenz: stark steigend. Nach Nord-Beirut möchte ich wieder im Taxi fahren – ein öffentliches Verkehrsnetz gibt es in Beirut ohnehin nicht. Viele Taxifahrer sprechen englisch. Plötzlich hält ein alter Mercedes. Dieser Taxifahrer scheint sich im muslimischen Teil der Stadt nicht wohlzufühlen.

    "Ich mache ihnen einen guten Preis. Bitte helfen sie mir. Mein Freund: bei der Heiligen Maria, bei Gott! Ich muss hier Geschäfte machen - mitten in Arabien. Da müssen sie doch auf meiner Seite stehen. Das verstehen sie doch? Ich bin nicht wie die anderen. Mein Taxi ist ein Klasse-Taxi. Ich bin ein katholischer Christ. Bitte helfen sie mir."

    Das Taxi sieht aus wie ein christlicher Devotionalienladen auf Rädern: Kreuze und eine Dornenkrone baumeln neben Marienbildern. Ich fühle mich beobachtet und schaue auf. Tatsächlich: Aus einem Auto, das auf der anderen Straßenseite parkt, schaut ein muskulöser Mann feindselig zu uns herüber. Der Taxifahrer kann den Muskelmann nicht sehen, weil der in seinem Rücken steht.

    "Kennen sie zufällig George Hamilton? Er ist aus Detroit, Michigan. Dorthin hat er mich eingeladen, aber ich kann hier nicht weg. Sind sie aus Amerika? Aus Deutschland! Dies ist ein deutsches Auto. Ich liebe Deutschland."

    Mich macht der Muskelmann im Hintergrund nervös. In Süd-Beirut wachen unzählige Anhänger der Hisbollah: Sie schauen, ob Fremde im Viertel auftauchen und verweisen unerwünschte Eindringlinge einfach aus der Gegend. Nach einer Rechtsgrundlage zu fragen, ist nicht ratsam.

    "Die muslimischen Taxifahrer kommen an mein Autofenster und fragen: 'Nun, heißt Du vielleicht Josef?' Dann sage ich: 'Nein'. Sie fragen: 'Bist Du etwa Muslim?' Und ich sage lieber: 'Ja'. Dann meinen sie: 'Oh, da sind wir aber froh!' Ich sage nur: Gefickt seien sie! Und Du: Komm' bitte mit mir. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Im Krieg haben wir alles verloren: unser Haus, unser Land und unsere Ersparnisse."

    Nun winkt von hinten der Muskelmann. In Beirut können solche Szenen leicht ausarten: Die große Christenshow des Taxifahrers gefällt in Beirut mit Sicherheit nicht jedem. Ich lasse diesen Taxifahrer stehen und nehme später einen anderen.

    "Komm doch! Ich mache einen guten Preis. Wo kann ich dich finden? Sag deinen Namen!"

    Nord-Beirut liegt am Mittelmeer und erinnert an südeuropäische Metropolen wie Istanbul oder Athen. Hier werden Straßenampeln in der Regel nicht beachtet. Die Polizisten tragen Uniform und werden vom Staat bezahlt – zumindest, wenn der gerade zahlungsfähig ist. Bis zum Bürgerkrieg, der 1975 begann, konnte sich eine sehr gemischte Einwohnerschaft über diese zivilen Errungenschaften freuen.

    Dann mussten während des Bürgerkriegs viele Menschen aus dem Stadtzentrum flüchten, weil dort besonders heftig gekämpft wurde. Seit dem Kriegsende im Jahr 1990 werden immer mehr alte Wohnquartiere abgerissen und neue, teure Luxusviertel hochgezogen. Vielen Bürgern geht es wie Herrn Jeik: Sie mussten irgendwann gehen und fanden sich in Süd-Beirut wieder. Wie viele Bewohner bis heute abgewandert sind, weiß niemand – es gibt keine Statistik.

    Noch markiert die Ruine eines Bürohauses den Eingang zu Herrn Jeiks früherem Viertel Bashoura. Das Gebäude mit den kugeldurchsiebten Leuchtreklamen stand direkt an der Front des Bürgerkriegs: der "Grünen Linie", die Beirut in eine muslimische und eine christliche Hälfte teilte. Während des Krieges mauerten die Bewohner alle Fenster an der Frontseite des Hauses zu, um vor Heckenschützen sicher zu sein. Nach dem Krieg wurde die Ruine zuerst jahrelang von Flüchtlingen bewohnt. Nachdem die von den Behörden vertrieben worden waren, wurden auch die Gebäudeseiten zugemauert: damit niemand mehr dort wohnen konnte. So hatte es mir Herr Jeik damals erzählt.

    Nun ist auf der ehemals belebten Wohnstraße nichts mehr los: Zwar stehen viele Fenster offen, und auf einigen Fensterbänken liegen Kleidungsstücke. Aber auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass das nur Lumpen sind und dass in den Erdgeschossen schon Pfützen stehen. Nur wenige Wohnungen werden noch bewohnt. Ein trauriger Anblick. Als ich gerade gehen möchte, blicke ich zufällig in einen Innenhof. Dort sitzen drei alte Männer an einem Campingtisch und trinken Kaffee. Wir schauen uns überrascht an. Als ich nach den alten Zeiten frage, tauen die Männer auf:

    "Hier in Bashoura lebten vor dem Bürgerkrieg alle Glaubensgemeinschaften friedlich zusammen, Tür an Tür. Es gab ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Hier gleich um die Ecke steht noch eine Kirche neben einer Moschee. Heute ist das ganz anders: Die Menschen leben in unterschiedlichen Stadtvierteln, nach Konfessionen getrennt. Ich zum Beispiel: Als Schiit gehe ich heute kaum noch in die Quartiere der anderen Religionen. Und umgekehrt: Die Christen kommen nicht mehr hierher zu uns. Weil es weiterhin Spannungen gibt zwischen den Konfessionen. Das ist wohl ganz normal - nach den langen Jahren des Bürgerkriegs."

    Die drei alten Männer haben in einer leeren Garage ein provisorisches Café eingerichtet, aber es gibt keine Gäste. Die Männer wohnen ein paar Straßen weiter stadtauswärts, wo noch nicht so viele Häuser geräumt wurden. Sie sind alle Schiiten – wie Herr Jeik. Hier flüchteten die Christen schon zu Anfang des Bürgerkriegs: zum Beispiel über die Grüne Linie direkt ins nahe Gemayze, wo die meisten von ihnen bis heute geblieben sind. Von Gemayze flüchteten wiederum viele Muslims hierher und blieben ebenfalls. Doch wie kam es eigentlich dazu, wo die Menschen doch zuvor so friedlich miteinander gelebt hatten? Die Männer lächeln nachsichtig.

    "Die Anwohner blieben ja durchaus friedlich. Aber bald zogen Milizen durch die Wohnviertel, auch hier in Bashoura. Die Milizionäre kamen von außerhalb. Sie teilten die Menschen auf: Wer aus ihrer Sicht der falschen Religion folgte, konnte allein deswegen umgebracht werden. Und wenn zum Beispiel irgendwo anders in Beirut ein Schiit umgebracht worden war, suchten sie hier nach einem Christen oder einem Sunniten, den sie töten konnten. Aus Rache. Deshalb hatten bald alle Angst, mit Andersgläubigen zusammenzuleben."

    So ging es in vielen Vierteln zu. Dass Bashoura vor dem Krieg einmal ein Stadtbezirk der Mittelschicht gewesen war, lässt sich heute nur noch an den Fassaden der Häuser erkennen: Viele besitzen ausgesprochen schöne Ornamente und Verzierungen.

    Doch nun droht Bashoura, von Spekulanten ausgelöscht zu werden: Über 100 Häusern stehen bereits leer – auf einer Fläche von 400 mal 400 Metern in bester Innenstadtlage. Die drei alten Männer haben bisher nur Gerüchte gehört: Der Bodenpreis soll bereits von 1.000 Dollar auf 15.000 Dollar pro Quadratmeter gestiegen sein.

    In anderen Städten wäre diese Entwicklung ein Politikum und über die Zukunft des Innenstadtviertels würde öffentlich debattiert. Doch nicht in Beirut: Politiker kümmern sich nicht um Stadtplanung. Es gibt keine Bebauungspläne, nicht einmal einen nennenswerten Denkmalschutz. In der Zeitung "Daily Star" ist immerhin von einer Architektin zu lesen, die sich für den Erhalt von Bashoura einsetzt. Mona Hallak ist bereit, gleich am nächsten Tag für ein Interview nach Bashoura zu kommen. Ich frage sie, wie die Politik die Entwicklung der Stadt beeinflussen könnte.

    "In ganz Beirut haben die Behörden bisher kein einziges Bauprojekt abgelehnt. Der Generaldirektor für Stadtplanung winkt letztlich jedes Projekt durch. Angesichts der Gesetzeslage bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig. Man hätte den Kahlschlag in Vierteln wie Bashoura verhindern müssen. Aber es gibt kein Gesetz dazu. Deshalb ist in Beirut alles möglich. Wir brüsten uns zwar immer noch, dass Beirut eine 6000-jährige Geschichte aufweist. Aber was bleibt übrig? Ein bisschen Archäologie im Nationalmuseum und ein paar einzelne, isolierte alte Bürgerhäuser."

    In Bashoura zeigt Mona Hallak auf eine riesige Baugrube: Mit Baggern, Kränen und einem hohen Zaun sieht sie zuerst aus wie viele andere auf der Welt. Doch beim zweiten Hinschauen fällt auf, dass keine Bauschilder zu sehen sind. An den nächsten Gruben hängen kleine Zettel auf Pappdeckeln – mit Namen von dubiosen Baufirmen, die nachher weder im Telefonbuch noch im Internet zu finden sein werden. Auf den Zetteln stehen Handynummern und x-beliebige E-Mail-Adressen von Gmail, Hotmail oder Yahoo. Später wird dort auf meine neugierigen Mails niemand antworten. So gibt es keine verwertbaren öffentlichen Informationen, wer in Bashoura abreißt oder baut. Selbst die erfahrene Architektin Hallak fand erst nach Monaten heraus, was dahinter steckt:

    "Nur langsam kam ich dahinter, dass einige mittelständische Bauunternehmer die alten Häuser systematisch aufkaufen. Und dass diese Unternehmer allesamt für einen mächtigen Familienclan arbeiten. So läuft das hier in Beirut. Niemand kommt und sagt: Ich werde alles aufkaufen. Denn das treibt aus Sicht der Spekulanten nur die Preise hoch. Stattdessen werden Strohmänner vorgeschickt. Und die kaufen einzeln. Aber jetzt ist mir klar geworden, dass es hier um ein riesiges Entwicklungsprojekt geht. Und dass bald das ganze Viertel daran glauben muss."

    Am Ende unserer Tour stehen wir an der alten, zugemauerten Hausruine am Rande von Bashoura. Der Innenhof, in dem die drei alten Männer Kaffee getrunken hatten, ist heute geschlossen. Ein dickes Eisentor verwehrt den Zugang. Bald werden auch hier Bulldozer anrücken. Da ist sich Mona Hallak sicher.

    "Wenn sie in fünf Jahren nach Beirut zurückkommen, werden hier überall neue Gebäude stehen. Die alte Bausubstanz wird kaum noch zu sehen sein. Das steht außer Frage. So wird es kommen."

    Dann werden in Bashoura reiche Menschen wohnen. Die Ironie dabei: Die oberen fünf Prozent der Libanesen schauen zuerst aufs Geld und nicht auf die Konfession. Deshalb könnten hier bald wieder Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenfinden. Ob das hilft, wird sich zeigen. Auf dem Weg zum Flughafen klingt mein Taxifahrer pessimistisch.

    "Alle Gruppen haben noch Maschinengewehre im Libanon. Die Schiiten mögen die Sunniten nicht und die Drusen auch nicht. Die Christen mögen wiederum die Muslime nicht – und andersrum. Nicht alle Libanesen sind schlechte Menschen. Die Parteilosen möchten einfach nur leben. Aber was meinen sie, wenn einer von den Parteigängern jemanden hasst - und er besitzt dann außerdem noch ein Maschinengewehr? Bam, bam, bam. Davor hat hier jeder Angst."